Foto: Süddeutsche Zeitung Magazin

Warum #ActOut eine kleine Revolution ist

Mit #ActOut outen sich 185 deutsche Schauspieler*innen als queer, lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, inter und nicht-binär. Eine kleine Revolution für die Sichtbarkeit queerer Menschen und eine Chance für die Kulturbranche. Ein Kommentar.

In der neuesten Ausgabe des „SZ Magazins“ outen sich 185 lesbische, schwule, bisexuelle, queere, nicht-binäre, inter und trans* Schauspieler*innen – und fordern mehr Anerkennung und Akzeptanz in der Kulturbranche. Mit der Initiative #ActOut und einem gemeinsamen Manifest wollen die Kulturschaffenden eine Debatte anstoßen. Dieses gemeinschaftliche Coming-Out ist eine kleine Revolution in Zeiten, in denen James Corden – ein cisgeschlechtlicher, heterosexueller Schauspieler – für die verletzende und problematische Darstellung eines schwulen Mannes eine Golden Globe Nominierung bekommt und es noch immer normal ist, dass trans* Personen von cis Schauspieler*innen gespielt werden.

Aber woran liegt es eigentlich, dass authentisch queere Charaktere, vor allem im deutschen Fernsehen, so rar gesät sind? Bestimmt nicht am Mangel queerer Schauspieler*innen, denn eigentlich müsste der Anteil ebenso hoch sein, wie bei der Gesamtbevölkerung. In Deutschland sind das laut Dalia-Studie um die 7,4 Prozent der Menschen. Trotzdem lässt sich die Anzahl der offen queer lebenden deutschen Schauspieler*innen, die mir bekannt waren, vielleicht nicht an meinen beiden Händen abzählen, aber vielleicht an den Händen meiner Corona-Isolations-Bubble.

Strukturen verändern

Ziel von #ActOut sei es, ein Zeichen zu setzen und die Strukturen zu verändern – sagt die Schauspielerin Karin Hanczewski im Interview mit dem SZ-Magazin. Anderthalb Jahre haben sich die Schauspieler*innen gemeinsam mit der Queer Media Society (QMS) auf diesen Schritt vorbereitet und ein Manifest geschrieben, in welchem sie besonders anprangern, dass sie für bestimmte Rollen nicht mehr gecastet werden, wenn sie sich öffentlich outen. Sätze wie „Der ist zu schwul, den besetze ich nicht“ seien in der Schauspielbranche an der Tagesordnung. Bei weiblichen Schauspielerinnen, so Hanczewski, gehe es in erster Linie darum, „fuckable“ zu sein. Das führe dazu, dass man Jobs bekomme. Und das sei bei lesbischen Frauen nicht der Fall, denn sie seien eben lesbisch und deshalb für Männer nicht mehr verfügbar.

Eine Vermutung, die gleich mehrere Menschen in meinem Umfeld äußerten: Viele Personen, die sich im Zuge von #ActOut geoutet haben, seien bestimmt bisexuelle Frauen. Denn für sie habe es weniger berufliche Konsequenzen, sich in der Filmbranche zu outen: Schließlich seien sie weiterhin „fuckable” für Männer, samt der Option, einen Dreier mit einer anderen Frau zu haben. Die Vermutung mag zwar stimmen, ist aber auch wieder Ausdruck gesellschaftlicher Bi-Feindlichkeit, die das Coming-Out für bisexuelle Frauen nicht unbedingt leichter macht. Denn: Die eigene Identität immer wieder abgesprochen zu bekommen, ist nicht nur anstrengend, sondern kann erhebliche negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben.

Queere Vorbilder

Die beteiligten Personen scheinen mit #ActOut Erfolg zu haben: Unter dem Hashtag haben sich seither weitere Schauspieler*innen geoutet, Theater und andere Institutionen wie der Berufsverband Schauspiel solidarisierten sich. Letzteres ist nicht überraschend, denn die Schauspielbranche gibt sich nach außen hin gerne liberal.

Dahingestellt bleibt, welche Schritte konkret eingeleitet werden, um queere Schauspieler*innen zu unterstützen und zu vermeiden, dass homo- und trans*feindliche Personen weiterhin für die Besetzung von Rollen zuständig sind. Die bei #ActOut beteiligten Schauspieler*innen fordern zwar, dass queere Rollen mit queeren Schauspieler*innen besetzt werden, betonen aber auch, dass sie weiterhin alle Rollen spielen können und auch wollen.

Ein Lichtblick für junge, queere Menschen

Beim Lesen des Artikels stets präsent: Der Gedanke, dass vielleicht ein*e Schauspieler*in dabei sein könnte, den*die kenne und gern mag – um mir dann denken zu können, dass ich mich von dieser Person schon immer irgendwie ein bisschen repräsentiert gefühlt habe. Das war nicht der Fall, ist aber auch egal. Denn: Hier geht es gar nicht um ein einzelnes Coming-Out.

„Bei dem Gedanken, dass es in Deutschland tatsächlich trans* und nicht-binäre Schauspieler*innen gibt, die öffentlich out sind, überlege ich unweigerlich, welchen Einfluss das vor zehn-fünfzehn Jahren auf mich als queere Person gehabt hätte.”

Die #ActOut-Kampagne ist eine Chance für die Branche und ein Lichtblick für junge, queere Menschen. Denn die Schauspieler*innen, die sich trotz der Trans*- und Homofeindlichkeit der Branche geoutet haben, werden nun Vorbilder für eine neue Generation queerer Menschen sein. Auf Preisverleihungen und öffentlichen Veranstaltungen werden häufiger Schauspieler*innen mit gleichgeschlechtlichen Partner*innen zu sehen sein. Vielleicht werden authentischere queere Rollen geschrieben und besetzt. Und bei dem Gedanken, dass es in Deutschland tatsächlich trans* und nicht-binäre Schauspieler*innen gibt, die öffentlich out sind, überlege ich unweigerlich, welchen Einfluss das vor zehn-fünfzehn Jahren auf mich als queere Person gehabt hätte.

Eine kleine Revolution

Was wäre gewesen, wenn ich den Begriff „nicht-binär“ in früheren 2000er Jahren schon gekannt hätte, als ich angefangen habe, sogenannte Boyfriend-Jeans zu tragen und nicht genau einordnen konnte, warum ich mich darin so wohl fühle? Hätte ich mich dann getraut, diese Jeans weiterhin zu tragen, als sie nicht mehr „trendy“ waren? Wenn irgendeine öffentliche Person die eigene Geschlechtsidentität zum Thema gemacht hätte? Hätte ich mich da wiedererkannt?

Was wäre gewesen, wenn sich Miley Cyrus schon bereits damals als pansexuell geoutet hätte, als meine homophoben Klassenkameradinnen gerade einem Hannah-Montana-Fankult anhingen? Hätte mir das mein queeres Coming-Out leichter gemacht? Hätte ich vielleicht weniger Ausgrenzung wegen meiner queeren Familie erfahren? Ich weiß es nicht genau.

Sicher bin ich mir aber, dass nicht nur queere Menschen queere Vorbilder brauchen. Die ganze Gesellschaft braucht queere Vorbilder, weil wir alle davon profitieren, wenn Darstellungen in Film und Fernsehen weniger stereotyp werden.

In ihrem Manifest schreiben die Schauspieler*innen: „Wir sind in einer Zeit aufgewachsen, in der Homosexualität noch unter Strafe stand und wir sind jünger als Elliot Page. Wir kommen vom Dorf, aus der Großstadt, wir sind People of Color, Menschen mit Migrationserfahrung und Menschen mit Behinderung; wir sind keine homogene Gruppe.“ Queere Lebensrealitäten sind intersektional und das muss sich auch in kulturellen Darstellungen widerspiegeln. Im Moment ist das nicht der Fall und deswegen fühlt sich für mich jeder Schritt in die richtige Richtung an wie eine kleine Revolution.

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