Foto: Dar Salma

Amani Abuzahra: „Für mich hat Loslassen sehr viel mit Vertrauen zu tun“

Kund*in
Netflix
Autor*in
EDITION F studio
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Sie will sich einmischen und ihre Stimme erheben – vor allem dort, wo Ungerechtigkeit herrscht: Amani Abuzahra ist Aktivistin, Autorin und Speakerin und sie setzt sich insbesondere für muslimische Frauen ein. Sie gibt uns einen Einblick in ihr Leben, in dem sie immer wieder loslassen musste.

Sich auf neue Lebensentwürfe einzulassen, das ist leichter gesagt als getan. Auch für Alice und Niklas aus dem neuen Netflix Film „Was wir wollten“ (gespielt von Lavinia Wilson und Elyas M’Barek), deren Kinderwunsch unerfüllt bleibt. Wir alle kommen aus den unterschiedlichsten Gründen immer wieder an den Punkt, an dem das Loslassen notwendig ist, um den nächsten Schritt zu tun.

Auch Amani Abuzahra kennt diese Notwendigkeit:

Ich möchte meine eigenen Entscheidungen treffen und umsetzen, ohne von äußeren Faktoren eingeschränkt zu werden. Und wenn es diese Hürden gibt, bin ich trotzdem in der Lage, Lösungen zu finden und darauf zu reagieren. Höre ich den Satz „Nein, das geht nicht, das hat noch nie jemand so gemacht“, bin ich die Erste, die es trotzdem ausprobiert. Ich bin Amani, arbeite als Autorin, Speakerin und Aktivistin und mir ist es ein besonderes Anliegen, Frauen innerhalb der muslimischen Community zu fördern.  

Wie es oft so ist, wenn man verschiedene Berufsbilder ausübt, gibt es doch einen Punkt, der alle Bilder verbindet. Bei mir ist es das Thema Gerechtigkeit, für das ich mich immer versucht habe, einzusetzen. Ich kann mich daran erinnern, dass ich mich auch schon in der Schulzeit eingemischt habe, wenn Lehrer*innen andere ungerecht behandelt haben. Einmischen und Gebrauch von meiner Stimme machen, das zieht sich durch mein Leben und hat sich mit der Zeit immer weiterentwickelt. 

Wenn Erwartungshaltungen und Realität aufeinanderprallen 

Früher dachte ich immer, ich werde Ärztin. Mein Vater hat mir den Beruf ein Stück weit vorgelebt. Und anderen Menschen zu helfen, das hat mich fasziniert. 

Das tut es auch noch immer, nur eben in anderer Form. Ich habe vier Jahre lang Medizin studiert und die Zeit auch gebraucht, um mir einzugestehen, dass das doch nicht ganz der Weg ist, der zu mir und meiner ganzheitlichen Denkweise passt. Trotzdem sehe ich diese Zeit nicht als verlorene Zeit, sondern vielmehr als eine Chance, mich besser kennenzulernen und mir mit der nächsten Studienentscheidung umso sicherer sein zu können. Anschließend habe ich daher Philosophie und Intercultural Studies studiert – der Bereich, in dem ich auch heute tätig bin und Seminare gebe sowie Vorträge halte. 

Wo stehen wir? Wo verorten wir uns individuell gesamtgesellschaftlich und wie können wir es anders machen? Und ja, wir sind alle verschieden, doch wie können wir diese Verschiedenheit am besten nutzen? Das sind Fragen, mit denen ich mich im Alltag und im Job beschäftige. Bevor wir zu diesem Zugang kommen, soll es darum gehen, gewisse Erwartungshaltungen zu entschlüsseln und Klischees, Vorurteile sowie Rassismen zu bearbeiten.

Mittlerweile hat sich schon einiges verändert, doch früher wurde ich häufig mit bestimmten Erwartungshaltungen konfrontiert. Von der Überraschung, dass ich als Muslimin so gut deutsch spreche, über die Skepsis gegenüber dem, was ich sage, bis hin zu der Erwartung, dass ich doch mit Sicherheit in Abhängigkeit zu einem Mann stehe, der das letzte Stimmrecht hat: meinem Partner, Vater, Onkel, Bruder oder sonstwem aus der Familie. Oder ein anderes Szenario: Ich halte einen Workshop zum Thema „Selbstbestimmte Frauen“ und bin durch mein Kopftuch sichtbare Muslimin und wie aus dem Nichts kommt die Frage auf: „Wer weiß, ob sie das Kopftuch freiwillig trägt?“. Leider wird man noch immer sehr schnell auf die religiöse Identität reduziert. 

„You made me do it“

Ich kann mich noch genau an meine erste mediale Debatte erinnern, bei der mir hinter den Kulissen Ähnliches passiert ist. Damals war ich noch Studentin und gemeinsam mit Bassam Tibi, einem damals sehr präsenten Islam-Experten in Europa, beim ORF in einer Talkshow zu Gast. Natürlich war ich aufgeregt, aber die Diskussion lief gut. Nachdem die Kameras ausgeschaltet waren, meinte Bassam Tibi zu mir: „Na, jetzt kannst du deinen Freund*innen aber sagen, dass du es mir gezeigt und mich argumentativ k.o. geschlagen hast.“ Wow, was für ein interessantes Selbstbewusstsein von seiner Seite. Man ist jung, Frau, Muslimin und das soll dann heißen, dass man argumentativ sowieso nicht mithalten kann? 

Und dann gibt es auf der anderen Seite natürlich auch noch die Leute, die mir das alles zwar zutrauen, aber dann das Gefühl haben, mir genau erklären zu müssen, warum ich das kann oder warum ich so bin („Elternhaus und Bildung“). Man schiebt mich dann gerne in eine Position, die den anderen bequem ist. 

Aber hey, ich will mich nicht beschweren, denn: You made me do it. Nicht, dass ich darauf nicht gerne verzichtet hätte. Doch ich weiß nicht, ob ich heute so gehört werden würde, wenn diese unterschiedlichen negativen Bilder nicht existiert hätten. Als ich noch kein Kopftuch getragen habe, war das alles kein Thema. Sobald ich durch mein Kopftuch als Muslimin sichtbar war, wurde ich von der Gesellschaft plötzlich ganz anders angesehen. Doch mit welchem Recht? Ich möchte mir das nicht gefallen lassen. Und ich möchte genauso wenig, dass andere damit zu kämpfen haben. 

„Wir sollten einander bei dem begleiten, was uns guttut“

„Mehr Kopf als Tuch“, so heißt das Buch, das ich genau aus diesem Grund veröffentlicht habe. In dem Buch kommen elf verschiedene muslimische Frauen aus Österreich und Deutschland zu Wort. Da geht es nicht explizit darum, dass ich anderen eine Stimme gebe, denn die haben ihre Geschichten sowie ihre Zugänge. Sondern es geht mir darum,  den Zugang zum Verlag auch so zu nutzen, dass ebenso andere ihre Perspektiven darlegen können.

Diesen Fokus für muslimische Frauen möchte ich unbedingt noch weiter ausbauen. Dadurch, dass ich Teil der Community bin und deren Ängste und Sorgen verstehe, ist es mir ein besonderes Anliegen, die Frauen verstärkt zu fördern und ihnen die passenden Tools an die Hand zu geben. Viele junge muslimische Mädchen sehen mich auch als eine Art Vorbild, nach dem Motto: Wenn sie das geschafft hat, dann kann ich das auch. Oder: Wenn sie bei einem Verlag publiziert hat, dann heißt das, die Leute wollen doch unsere Geschichten lesen. Wenn ich so der Community helfen kann, freut mich das sehr. 

Wir haben unsere Verschiedenheiten und Differenzen und es geht nun darum, zu akzeptieren, dass wir manches gut, anderes weniger gut nachvollziehen können. Wenn ich beispielsweise von meinem Glauben an Allah spreche, kann es durchaus sein, dass das anderen aufstößt, weil ihnen der Glaube nichts gibt. Und das ist völlig okay. Doch ich finde, wir sollten einander bei dem begleiten, was uns guttut. Und erstmal mit uns selbst ins Reine kommen, Empathie mit uns selbst üben, bevor wir mit unseren Mitmenschen empathisch sein können. Denn wenn man das eigene Ungelöste nicht versteht, passiert es schnell, dass man vieles auf andere projiziert. 

Vom Herzen in die Hand

Das bedeutet im gleichen Schritt, Dinge gehen zu lassen, die nicht mehr funktionieren. Für mich hat Loslassen sehr viel mit Vertrauen zu tun. Vertrauen, dass es sich lösen wird, jedoch ohne mein aktives Zutun. Als praktizierende Muslimin kommt hier auch mein Glaube ins Spiel. Ich glaube, dass ich alles, was irgendwie in meinem Wirkbereich steht, tun kann. Doch trotzdem kann man manchmal einfach nicht die Ergebnisse erzielen, die man sich erhofft und wünscht. Daher ist es für mich so, als übergebe ich die Macht an meinen Schöpfer. Und das festigt mich und beruhigt mich auch innerlich. Die Welt ist einfach nicht so konzipiert, dass jede*r alles lösen kann. 

Bildlich stelle ich mir das immer so vor, als hätte ich etwas im Herzen. Um es gehen lassen zu können, muss es jedoch vom Herzen in die Hand. Weil alles, was in der Hand ist, kommt und geht und so kann man leichter loslassen. 

Loslassen – der Podcast zum Film „Was wir wollten“

Zeitgleich zum gerade neu erschienenen Netflix Film „Was wir wollten“ erscheint der Podcast von Friedemann Karig, der mit den hochkarätigen Gäst*innen Mirna Funk, Andrea Petković, Tarik Tesfu, Anna Wilken und Charlotte Würdig über ihre ganz persönliche Definition des Loslassens spricht: Wo hat der Plan des Lebens nicht mit dem eigenen Plan für das Leben zusammengepasst? Wie haben sie gekämpft, erkannt, akzeptiert und danach weitergemacht? Wann hat so ein Abschied wehgetan und wann fühlte er sich befreiend an? – Neugierig? Alle Podcast-Episoden findet ihr dort, wo es gute Podcasts gibt. Hört rein!

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