Kitas und Schulen werden aufgrund der Corona-Krise voraussichtlich erst im Sommer wieder den Regelbetrieb aufnehmen. Für Eltern bedeutet das weiterhin eine bisher nie dagewesene Zerreißprobe zwischen Kinderbetreuung, Homeschooling und Job – eine perspektivlose Ausbeutung der ohnehin schwachen Ressourcen vieler Familien, die so nicht länger hingenommen werden kann.
Wie soll das zu schaffen sein?
Besonderen Belastungen sind gerade jene Eltern ausgesetzt, die bereits seit über einem Monat im Homeoffice arbeiten. Wer behauptet, Homeoffice und Kinderbetreuung ließen sich leicht vereinbaren, der hat die Welt nicht verstanden. Wie soll man konzentriert am Laptop sitzen oder wichtige Kund*innengespräche führen, wenn das Kind im Hintergrund weint, weil gerade der Bauklotz-Turm umgefallen ist? Wie sollen die Eltern schulpflichtiger Kinder zu Hause arbeiten, wenn die beiden verfügbaren Computer vormittags für den Videounterricht gebraucht werden?
Wie schafft man das erhöhte Arbeitspensum, nachdem man zusätzliche Aufgaben erhalten hat, weil sich ein Großteil der Belegschaft in Kurzarbeit befindet? Viele Eltern sind gezwungen, die Kinder stundenlang vor dem Fernseher zu parken, um in Ruhe Videocalls zu machen, viele können nur nachts arbeiten, wenn die Kinder schlafen. Das Arbeitszeitgesetz, das Pausen, Nacht-, Sonn- und Feiertagesarbeit streng reguliert, scheint mit der Corona-Krise plötzlich außer Kraft gesetzt worden zu sein. Damit muss jetzt Schluss sein – die Arbeit von zu Hause belastet auf Dauer das psychische und körperliche Wohlbefinden der Familie – besonders betroffen sind dabei Mütter, die zusätzlich noch den Großteil der Sorgearbeit stemmen müssen.
Welche Gesetze schützen?
In diesem Dilemma drängt sich die Frage auf: Gibt es denn keine Gesetze, die Eltern und Kinder in dieser vermutlich noch monatelang andauernden Ausnahmesituation schützen und entlasten? Tatsächlich hat unser Gesetzgeber vor kurzem das Infektionsschutzgesetz ergänzt und einen weiteren Entschädigungstatbestand geregelt. § 56 Abs 1a) IfSG, der bislang kaum vertieft in Politik und Presse diskutiert wurde, sieht seit dem 30.03.2020 eine besondere Eltern-Entschädigung vor, falls Betreuungseinrichtungen aufgrund einer Pandemie geschlossen wurden.
Anspruchsberechtigt sind angestellte und selbstständige Eltern, die Kinder unter 12 Jahren, oder ältere behinderte Kinder selbst betreuen, weil sie keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit sicherstellen können und dadurch einen Verdienstausfall erleiden. Die Entschädigung wird längstens für sechs Wochen gezahlt und beträgt 67 Prozent des Nettoeinkommens, gedeckelt auf monatlich 2.016,00 EUR. Die Auszahlung übernimmt der*die Arbeitgeber*in, diese*r kann sich das Geld dann bei der zuständigen Behörde – in der Regel beim örtlichen Gesundheitsamt – erstatten lassen.
Keine gute PR
Es verwundert nicht, dass bisher nur wenig über diese Entschädigungsregelung gesprochen wurde – leider hat der Gesetzgeber keine gute PR gemacht. Auf den Seiten des Familien- und Arbeitsministeriums fehlen detaillierte Erklärungen und Links, die zu den zuständigen Stellen und Antragsformularen führen. Auch die Webseiten der einzelnen Landesbehörden helfen nicht immer weiter. So liest man auf der Seite des Berliner Senates:
„Zur Beantragung von Erstattungen für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und für Selbständige im Falle notwendiger Betreuung durch Sorgeberechtigte und Pflegeeltern werden die entsprechenden Formulare ab Mai ebenfalls auf dieser Internetseite der Senatsverwaltung für Finanzen abrufbar sein.“
An den Bedürfnissen vorbei
Vermutlich ist die Regelung aber vor allem deswegen untergegangen, da sie schlichtweg an den Bedürfnissen vieler Eltern vorbeigeht. Eine der größten Schwächen ist, dass der Anspruch dann nicht besteht, wenn eine Arbeit im Homeoffice möglich ist. Der Gesetzesbegründung zu § 56 Abs. 1a) IfSG ist zu entnehmen, dass eine zumutbare Betreuungsmöglichkeit besteht, „soweit eine Möglichkeit des ortsflexiblen Arbeitens („Homeoffice“) besteht und diese zumutbar ist“.
Leider wird „zumutbar“ nicht weiter konkretisiert – man kann nur darüber spekulieren, ob damit ein bestimmtes Kindesalter beziehungsweise eine bestimmte Anzahl von Kindern gemeint ist. Arbeitgeber*innen können sich also grundsätzlich weiter auf den Standpunkt stellen, dass die Eltern bitteschön weiter ohne Anspruch auf Entschädigung aus dem Homeoffice arbeiten mögen. Wer hat schon Zeit und Lust, in der aktuellen Situation eine Diskussion mit seiner*m Chef*in dazu zu führen, oder gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen, um klären zu lassen, was genau unter „zumutbar“ zu verstehen ist?
Null Flexibilität
Ein weiterer Knackpunkt ist, dass die Regelung keine Entschädigung im Falle einer Reduzierung der Arbeitszeit vorsieht. Viele Eltern wollen nämlich nicht komplett aussteigen, sondern einfach nur weniger im Home Office arbeiten. Diesen Fall regelt § 56 Abs. 1a) IFSG jedoch nicht. Wer die Entschädigung beanspruchen möchte, ist gezwungen, seine Tätigkeit komplett einzustellen – Gegenteiliges ist dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu entnehmen.
Die mangelnde Flexibilität der Eltern-Entschädigung kann insbesondere für Eltern, die nach der Elternzeit wieder einigermaßen fest im Sattel sitzen, zu einer Katastrophe führen. Berechtigterweise haben sie große Angst davor, dass sie nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft während oder nach der Krise ersetzt werden.
Und nicht zuletzt muss man sich die Eltern-Entschädigung auch leisten können. Von 67 Prozent des letzten Nettogehaltes können Geringverdiener*innen schlichtweg nicht leben. Hier wäre es zum Beispiel sinnvoll, den*die Arbeitgeber*in zu einer Gehaltsaufstockung zu verpflichten.
Komplett an der Lebensrealität vorbei
Beim genauen Hinsehen entpuppt sich § 59 Abs. 1a) Infektionsschutzgesetz daher als gut gemeinte Regelung, die jedoch komplett an der Lebensrealität vieler Eltern vorbeigeht. Der Gesetzgeber wird hier noch einmal dringend nachbessern müssen, damit die Eltern-Entschädigung tatsächlich für alle Eltern attraktiv ist. Aber: Angesichts der wohl noch monatelang andauernden Krise müssen zusätzlich ergänzende Regelungen geschaffen werden, die nicht nur auf sechs Wochen ausgerichtet sind.
Am Einfachsten wäre es, den Anspruch auf Elternzeit und Elterngeld auszuweiten. Solange die Betreuungseinrichtungen geschlossen sind, sollten Eltern die Möglichkeit erhalten, in eine bezahlte Corona-Elternzeit inklusive Sonderkündigungsschutz zu gehen. Wichtig: Die Elternzeit muss dabei so ausgestaltet sein, dass Eltern während der Corona-Krise ohne Widerspruchsmöglichkeit des*r Arbeitgeber*in ihre Arbeitszeit verkürzen, beziehungsweise komplett aussetzen können.
Eine Ablehnung aus dringenden betrieblichen Gründen, gegen die möglicherweise noch gerichtlich vor den aktuell pausierenden Arbeitsgerichten vorgegangen werden müsste, würde eine Corona-Elternzeit ad absurdum führen. Zusätzlich sollte in dieser Zeit zur Existenzsicherung ein spezielles Corona-Elterngeld nach den altbekannten Elterngeld-Regelungen gezahlt werden – zum Beispiel durch die Gewährung weiterer Elterngeld-Monate, angepasst an die voraussichtliche Dauer der Krise. Selbstverständlich müssen diese Erweiterungen auch entsprechend für selbständig tätige Eltern gelten.
Dringender Handlungsbedarf
Solange die Kinder-Betreuungsmöglichkeiten als wichtigste Säule der Eltern-Erwerbstätigkeit wegfällt, besteht seitens des Gesetzgebers dringender Handlungsbedarf. Es bleibt zu hoffen, dass die in den letzten Tagen immer lauter werdenden Signale gehört werden. Eigentlich bedürfte es jetzt einer großen konzentrierten Eltern-Kampagne, um die Umsetzung der genannten Forderungen zu beschleunigen. Nur schade, dass uns Eltern dazu derzeit die Kraft fehlt.
Wie erlebt ihr die Krise als Eltern? Was braucht ihr, um einigermaßen unbeschadet durchzukommen? Wie könnte die Entlastung aussehen? Erzählt es unter dem Hashtag #CoronaEltern in den Sozialen Medien oder in den Kommentaren dieses Artikels.