Wenn signifikant mehr Männer als Frauen in einer Region in Deutschland leben, befürworten die Männer öfter Gewalt gegen Geflüchtete – weil sie Angst haben, die Geflüchteten könnten ihnen bei der Suche nach einer Partnerin zur Konkurrenz werden. Das sind die Erkenntnisse einer neuen Studie.
Weniger Frauen, mehr Hasskriminalität
Geflüchtete Männer stehlen Jobs, Wohnungen und den Männern die Frauen – ein Narrativ, das Parteien aus dem rechten Lager und deren Anhänger*innen immer wieder gern bedienen. Seit 2015 hetzen insbesondere die AfD und ihre Anhänger*innen gegen Geflüchtete. Körperliche Gewalt gegen geflüchtete Menschen und Anschläge auf deren Unterkünfte gehören in Deutschland zum traurigen Alltag.
Ein Forscher*innenteam um die Wissenschaftlerin Ramona Rischke hat sich mit dieser Hasskriminalität gegen Geflüchtete auseinandergesetzt. Rischke forscht am Berliner Institut für Integrations- und Migrationsforschung (BMI) und hat sich gemeinsam mit ihren Kolleg*innen von der Princeton University gefragt, was die Ursachen für diese Gewalttaten und die Zustimmung zu solchen Taten sind. Die Erkenntnis: Die Angst einheimischer Männer, Geflüchtete könnten ihnen bei der Suche nach einer Partnerin zur Konkurrenz werden, ist ein wichtiger und bisher wissenschaftlich noch völlig unterbelichteter Faktor.
Die Studie zeigt, dass neben Wirtschaftsschwäche und Arbeitslosigkeit insbesondere der Frauen- und Männeranteil einer Region in Deutschland ein Faktor ist, der zu Hasskriminalität gegen Geflüchtete führt.
Doch was hat die Verteilung von Männern und Frauen mit Gewalt gegen Geflüchtete zu tun? Die Forscher*innen stellten fest: Leben in einer Region signifikant weniger Frauen als Männer, steigt tatsächlich die Zahl der Männer, die fürchten, dass Geflüchtete ihnen es erschweren, eine Partnerin zu finden. Diese „Sorge“ bringt manche Männer dazu, Gewalt gegen Geflüchtete zu befürworten. Und nicht nur das – wo mehr Männer Hasskriminalität gegenüber Geflüchteten gutheißen, steigt auch die Zahl der tatsächlich ausgeübten Gewalttaten.
„Man spricht viel über Konkurrenz auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt (als Motiv für die Ablehnung geflüchteter Menschen, Anm. d. Red). Unsere Studie etabliert ein weiteres Motiv: Die Konkurrenz um eine Partnerin“, sagt Ramona Rischke in einem Film, der zur Studie veröffentlicht wurde.
Frauen verlassen vermehrt ostdeutsche Bundesländer
Eine Frage, die auftaucht, wenn man eine solche Studie liest: Geben Menschen bei so einer Befragung wirklich offen zu, dass sie Gewalt gegen andere Menschen befürworten? Tatsächlich sprechen Sozialwissenschaftler*innen hier vom Phänomen der „sozialen Erwünschtheit“: Menschen neigen dazu, bei Befragungen die Antworten zu geben, von denen sie glauben, dass sie beim Gegenüber auf Zustimmung treffen. Um das zu umgehen, wurden die Studienteilnehmer, die alle Männer mit deutscher Staatsbürgerschaft waren, online befragt. So konnte das Forscher*innenteam Anonymität gewährleisten. Außerdem wurden die Fragen in unterschiedlicher Formulierungen gestellt und geschaut, ob die Teilnehmer trotzdem inhaltlich übereinstimmende Antworten gaben.
Im Anschluss an die Umfrage wurde das zahlenmäßige Verhältnis von Männern und Frauen im Alter zwischen 15 und 44 Jahren in den Jahren 2016 und 2017 in allen 11388 Gemeinden in Deutschland untersucht. Die Zahlen zeigen, dass durchschnittlich mehr Gemeinden im Osten Deutschlands einen Männerüberschuss vorweisen als im Westen – auch die Befürwortung des Hasskriminalität ist dort höher. Anfang der 90er-Jahre entschieden sich viele junge Frauen, die östlichen, insbesondere ländlich geprägten Bundesländer zu verlassen – insbesondere weil gut ausgebildete Frauen mehr Berufschancen in westlichen Bundesländern als in den industriell geprägten östlichen Ländern sahen.
Die Abwanderung von Frauen kann gefährlich für Geflüchtete sein
Die Forscher*innen kommen in ihrer Studie zum Schluss, dass es nicht ausreicht, wenn der Staat auf Länderebene bei der Verteilung der Geflüchteten allein die Einwohnerzahl berücksichtigt. Wie Geflüchtete verteilt werden, wird nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel festgelegt, der jährlich entsprechend der Steuereinnahmen und der Bevölkerungszahl der Länder errechnet wird. Laut der Studie hat nämlich der Männer- und Frauenanteil einen Einfluss auf die Sicherheit der Geflüchteten, da in Regionen, in denen ein deutlich höherer Männeranteil herrscht, die Gefahr für geflüchtete Menschen größer ist, angegriffen zu werden. Die Forscher*innen fordern daher erhöhte Sicherheitsmaßnahmen für Geflüchtete in diesen Regionen.
Und die Wissenschaftlerin Ramona Rischke befürwortet als Konsequenz ihrer Studienergebnisse den Familiennachzug von Geflüchteten. Geflüchteten Männern ihre Frauen und Kinder nachzuschicken, damit diese von deutschen Männern nicht weiter als Konkurrenz empfunden werden? Das klingt pragmatisch, und gleichzeitig deprimierend ernüchtert. Die Studienergebnisse laden zu einem größeren gesellschaftlichen Rundumschlag ein. Die Gründe, warum Frauen eine Region verlassen, beschreibt die Soziologin Julia Gabler anschaulich in diesem Interview. Die Studie zeigt also: Auch die fehlende Wertschätzung gegenüber Frauen und ihre fehlenden Perspektiven sorgen neben anderen Faktoren dafür, dass der Hass gegen geflüchtete Menschen wächst.