Jedes zehnte Paar in Deutschland hat einen unerfüllten Kinderwunsch und trotzdem wird darüber kaum gesprochen. Warum? Zeit, das Tabu zu brechen und das Thema Kinderlosigkeit so darzustellen, wie es wirklich ist, findet Regisseurin Ulrike Kofler. Wir haben mit ihr über ihren neuesten Film „Was wir wollten“ gesprochen.
Noch ein Versuch der künstlichen Befruchtung und noch einer. Und am Ende klappt es trotzdem nicht. In Ulrike Koflers neuestem Film „Was wir wollten“ wird das Thema Kinderlosigkeit so dargestellt, wie es für viele Paare wirklich ist: als ein Balanceakt zwischen Hoffnung, dem Gefühl des Versagens, Verzweiflung, Trauer. Und irgendwann, hoffentlich, können die Betroffenen akzeptieren, dass es keine Kontrolle im Leben gibt und dass der eigene Plan für das Leben nun einmal nicht immer mit dem Plan des Lebens übereinstimmt.
Kinderlos, trotz Kinderwunsch – ein Kind bekommen zu wollen bedeutet nicht automatisch auch, ein Kind bekommen zu können. In Deutschland ist laut dem bmfsfj etwa jedes zehnte Paar in Deutschland zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Doch kaum jemand spricht darüber. Umso wichtiger war es der Regisseurin Ulrike Kofler, das Tabu zu brechen und den Betroffenen in ihrem Film eine Stimme zu geben – auch vor dem Hintergrund, dass sie sich selbst schon mit einem unerfüllten Kinderwunsch auseinandersetzen musste und daher die Geschichte der Hauptfiguren Alice und Niklas mehr als nachempfinden kann.
Grundlage des Films ist eine Kurzgeschichte von Peter Stamm. Wie kam es denn dazu, dass aus dieser Kurzgeschichte ein Spielfilm wurde?
„Peter Stamms Texte sind unglaublich visuell. Immer, wenn ich seine Geschichten lese, habe ich sofort Bilder vor Augen. Deswegen ist das auch schon die zweite Kurzgeschichte, die ich von ihm verfilmt habe. Die Kurzgeschichte ,Der Lauf der Dinge‘ handelt von einem Paar, das in ein schönes Ressort in den Urlaub fährt und es sich dort gut gehen lassen möchte. Doch sie sind einfach nicht glücklich – nicht mit sich, nicht miteinander, nicht mit der Welt. Sie haben das Gefühl, dass das Glück immer da ist, wo sie gerade nicht sind.“
Doch das Thema Kinderlosigkeit wird in der Kurzgeschichte nicht so direkt angesprochen. Wie ist denn die Idee entstanden, dieses Thema im Film als Erklärung für das Unglück des Paares zu integrieren?
„Peter Stamm selbst sagt, das Thema Kinderwunsch sei schon in der Geschichte verankert, auch wenn es in dem Text kaum direkt angesprochen wird. Für mich hatte das jedoch vor allem zwei Gründe:
Zum einen ist Kinderlosigkeit ein extrem wichtiges Thema unserer Zeit, das viel zu wenig behandelt wird, wenn man bedenkt, dass so viele Paare davon betroffen sind. Wir leben mittlerweile in einer Wohlstandsgesellschaft, die uns weismachen möchte, dass alles machbar und käuflich ist. Auch der Kinderwunsch. Wenn es dann trotzdem nicht klappt, obwohl man das Geld investiert, gesund lebt, Sport macht und diese Behandlungen über sich ergehen lässt, entsteht das Gefühl des persönlichen Versagens. Obwohl das natürlich nicht der Fall ist.
Zum anderen habe ich zu dem Thema einen persönlichen Bezug. Ich bin in Tirol in einem großen Haus mit mehreren Geschwistern aufgewachsen und hatte den festen Plan, dass ich nicht nur ein Kind kriege, sondern sicher mehrere. Nachdem ich mit 33 mein erstes Kind bekommen habe und der Wunsch nach einem zweiten Kind ein paar Jahre später unerfüllt blieb, geriet ich in eine sehr schwere Lebenskrise. Mir ist in der Zeit vor allem klar geworden, dass das Thema extrem tabuisiert und einfach nicht darüber gesprochen wird. Das möchte ich mit diesem Film ändern.“
Wie können Sie sich erklären, dass das Thema in der Filmwelt trotz großer Relevanz bisher noch nicht ausreichend behandelt wurde?
„An erster Stelle liegt das definitiv an der Tabuisierung des Themas. Abgesehen davon ist es natürlich eine Herausforderung, das Thema überhaupt filmisch umzusetzen und die Geschichte dann auch noch so zu erzählen, dass sie spannend bleibt und auch die Zuschauer*innen abholt, die davon selbst betroffen sind. Ich wollte auf keinen Fall einen Film mit Happy End vorlegen, in dem der Kinderwunsch am Ende doch erfüllt wird. Vielmehr wollte ich aufzeigen, dass es viele Fenster gibt, durch die man schauen und hinter denen man sein eigenes Glück finden kann.“
Doch bis man an den Punkt gelangt, andere Lösungen zulassen zu können, braucht es viel Kraft und Energie, aufkommende Gefühle zu durchleben und sich von alten Ideen zu verabschieden. Wie definieren Sie denn „Loslassen“ für sich?
„Loslassen heißt für mich, dass man die Illusion hinter sich lässt, dass man das Leben kontrollieren kann. Es gibt keine Kontrolle. In meinem allerersten Regiestatement habe ich ein Zitat von John Lennon aus dem Song ‘Beautiful Boy’ mit einbezogen, das ich wunderbar passend fand: ,Life happens while you’re busy making other plans‘. Das trifft für mich den Kern des Loslassens.“
Alice und Niklas zeigen in dem Film auf, dass zwei Personen dieselbe Idee auf ganz unterschiedliche Art und Weise loslassen können. Denn jeder Mensch trauert anders. Warum war es Ihnen so wichtig, das darzustellen?
„Trauer ist etwas wahnsinnig Wichtiges und eben auch ein Thema, dem man am liebsten aus dem Weg geht. Aber wenn man sich dem nicht stellt, kommt man damit auch nicht weiter. Es ist sicher eine Kunst der Liebe, sich zu finden, auch wenn man unterschiedliche Formen der Trauer lebt. In dieser Situation muss man einfach akzeptieren, dass es keine Kontrolle im Leben gibt – und das muss jede*r auf seine eigene Art und Weise erleben.“
Durch die Tiroler Familie, auf die das Paar im Urlaub trifft, kommt ein weiterer Faktor im Prozess des Loslassens hinzu: zu erkennen, dass der Schein nach außen oftmals nicht mit der Realität übereinstimmt.
„Absolut. Die Tiroler sind das Symbol für die Wohlstandsgesellschaft und für eine Form, die nichts anderes zulässt außer: ,Es geht uns gut, es hat uns gut zu gehen‘. Sich vom Gedanken zu lösen, dass es bei allen anderen läuft und auch bei der Tiroler Familie nicht alles im Reinen ist, hilft. Denn das stimmt einfach nicht. Wenn man erkennt, dass jeder Mensch sein Päckchen zu tragen hat und einfach das Leben leben muss, das er hat – dann kann man loslassen.“
Inwiefern konnten Sie Ihre eigenen Erfahrungen in den Film mit einfließen lassen?
„Zum einen natürlich in die Geschichte selbst. Mir war von Anfang an klar, dass ich mit meiner Geschichte sehr offen umgehen und das Tabu brechen will. Während der Ideenentwicklung wurde ich oft gefragt, warum ich nicht einfach meine eigene Geschichte erzähle. Manche Filmemacher*innen können das vielleicht, aber ich brauche die Distanz und kann nur eine andere Geschichte erzählen.
„Man soll das Leid der Hauptfiguren durchaus spüren. Es war mir immer sehr wichtig, dass man die Figuren versteht und dass man ihren Schmerz nicht klein redet.“
Ulrike Kofler
Zum anderen konnte ich mein Erlebtes natürlich auch in meine Hauptfiguren mit einfließen lassen, die ich während des Prozesses auch immer wieder aufs Neue verteidigen musste (lacht). Es wurde oft angemerkt, dass Alice keine sehr sympathische Frauenfigur ist. Ich finde jedoch, dass Alice durchaus eine ausgesprochen sympathische Frau ist, aber sie hat halt ein Päckchen zu tragen. Und das soll man auch spüren. Es war mir immer sehr wichtig, dass man die Figuren versteht und dass man ihren Schmerz nicht klein redet.“
Gibt es etwas, das Sie während der Dreharbeiten gelernt haben?
„Auch das Loslassen – in vielerlei Hinsicht. Zum Beispiel, dass der Film über die Zeit ganz anders wurde, als ich es mir ursprünglich vorgestellt hatte. Wie ein Baby, das groß wird und sich dann ganz anders entwickelt, als man denkt. Ein anderer Prozess des Loslassens hat im Schneideraum stattgefunden. Ich habe mit meiner langjährigen Freundin und Kollegin Marie Kreutzer für den Film die Rollen getauscht. Bisher habe ich immer ihre Filme geschnitten, dieses Mal hat sie meinen geschnitten. Auch da musste ich loslassen und das ein Stück weit abgeben. Auch wenn es mir nicht immer leicht gefallen ist, ist das ein wunderschöner Prozess, das kann sehr viel Spaß machen!“
Zum Abschluss: Welche Botschaft möchten Sie mit dem Film anderen Paaren in ähnlicher Situation auf den Weg geben?
„Das Allerwichtigste ist in meinen Augen, dass man loskommt von dem Gefühl, dass man versagt hat. Bei vielen klappt es, bei anderen nicht. Das kann man, glaube ich, schon Schicksal nennen. Wichtig ist, dass man die Selbstliebe dabei nicht verliert. Und dass man die Augen offen hält und weiterhin sieht, wie schön die Welt ist. Man muss selbst den Punkt finden, an dem man aus seiner Blase wieder herauskommen und loslassen kann. Loslassen ist ein so subtiler Prozess, den kann man nur ganz schwer in Worte fassen.“
Der Film „Was wir wollten“ ist ab sofort auf Netflix zu sehen.