Anna Bojic verschenkt Geschichten. Die Merisier-Gründerin erzählt von der großen Bedeutung von Aufmerksamkeiten: unter Freunden und im Geschäftsleben.
Anna Bojic ist eine ungewöhnliche Unternehmerin: Die studierte Bildhauerin und Filmwissenschaftlerin sitzt mit ihrem Onlineshop Merisier in einer Remise und blickt in den Garten der Factory, dem neuen Berliner Startup-Zentrum, in dem Technunternehmen wie Google, Twitter und Soundcloud ihr neues Zuhause gefunden haben. In dem kleinen Gartenhaus stapeln sich Boxen und Packmaterial bis unter die Decke. Die Geschenke werden hier von Hand zusammengestellt und verpackt. Mit ihrem Versandunternehmen nimmt Anna Bojic sie nun großen Einfluss auf zwischenmenschliche Beziehungen. Sei es die enge Familie, Freunde oder Geschäftspartner: Anna und ihr Partner Marc Lampe haben im Internet einen Ort geschaffen, an dem Kunden Geschenke finden, die eine ganze Geschichte erzählen.
Seit 2011 ist ihr Shop im Netz. In dieser Woche soll die Website das erste Mal gerelauncht werden. Für Anna Bojic war es im Rückblick die beste Entscheidung, mit einer Beta-Seite zu beginnen, die noch nicht perfekt war. „Wenn ich auf den Zeitpunkt gewartet hätte, an dem alles für mich gestimmt hätte, wären wir nie gestartet”, erzählt sie heute. Für 2014 ist auch der erste Unternehmensfilm geplant, der gemäß der Natur der Künstlerin kein klassischer Werbefilm werden soll, sondern eben ein Kunstprojekt – eine der Freiheiten, die Anna für sich bewahren will und wichtig findet. Außerdem arbeiten ihr CTO, ihr Co-Gründer und sie an einer Software-Lösung, die Kunden wie ein guter Verkäufer bei der Suche nach dem richtigen Geschenk beraten soll, ohne dass er sich durch hunderte von Produkten klicken muss.
EDITION F hat mit Anna Bojic über die Kunst des Schenkens und Kreativität im Unternehmertum gesprochen.
Die einen lieben es, zu verschenken. Andere finden nie das passende Geschenk. Entstand die Idee für Merisier aufgrund eigener Erfahrungen?
„Die Idee kam hunderprozentig von Herzen – aber auf Umwegen. Es sind zwei Dinge, die zusammengekommen sind: Das eine war, dass ein Bekannter auf Marc und mich zukam und sagte: ‘Wir suchen noch Weihnachtsgeschenke für unsere Firma und haben keine Idee. Du bist doch immer so gut im Schenken, kannst du mal recherchieren?’ Dann habe ich geguckt und fand es richtiggehend erschreckend, dass es genau das Gleiche gab wie in den 80ern, als ich als Siebenjährige mit meinem Papa Dinge im Werbemittelkatalkog rausgesucht habe als Weihnachtsgeschenk. Das hatte sich überhaupt nicht verändert. Irgendein Zeug, Logo drauf, fertig. Das fanden wir seltsam, aber daraus ist die Firma noch nicht entstanden. Es kam dann, als ich mehr darüber nachdachte und fand, dass es sich eigentlich nicht unterscheidet, was man als Firma schenkt und was man als Mensch schenkt und die Probleme auch irgendwie die gleichen sind.
Außerdem habe ich viele Freunde, die über die ganze Welt verteilt sind, und eine Gastfamilie in den USA. Es war jedes Jahr eines Katastrophe zu sagen: Ich schick denen mal was zu Weihnachten. Ich wollte es immer hinbekommen und hab die Sachen auch teilweise gekauft, es aber nicht geschafft, sie zu verpacken, zur Post zu bringen und wegzuschicken. Diese beiden Sachen kamen zusammen und haben für mich klargemacht, es gibt ein großes Bedürfnis mit Leuten in Kontakt zu bleiben. Und eine E-Mail oder Facebook reicht bei manchen Sachen einfach nicht. Es ist zwar nett, auf die Pinnwand zu posten: ‘Herzlichen Glückwunsch zum neuen Baby’, aber wenn es eine wirklich gute Freundin ist – selbst wenn sie in China sitzt – möchte ich schon anders partizipieren.”
Was bedeuten Geschenke für dich?
„Geschenke sind ein wunderbares Kommunikationsmittel, und das sollte man auch so begreifen und sie schöner machen. Ich habe in der Vorphase der Gründung auch erkannt, dass es wichtig ist, den ganzen Service mit drin zu haben. Und da gab es keinen Anbieter. Das hat mich wirklich überrascht. Uns wurde extrem schnell klar, dass wir damit auf einer sehr heißen Spur waren und dass es funktioniert – und das hat mich umgehauen.“
Ist Schenken ein echtes Talent?
„Ich war sehr sehr lange unser einziger Kreativkopf. Wir hatten große Schwierigkeiten jemanden zu finden, der es auch kann. Alle, die dachten, dass sie es können, sind relativ schnell an ihre Grenzen gestoßen. Sie konnten außerhalb der Standardklischees von einer Flasche Wein nicht denken und dachten sich: ‘Na dann eine Flasche Wodka.’ Jetzt haben wir endlich Leute, die mit uns zusammen an Konzepten arbeiten und ihre eigenen Geschmäcker einbringen. Denn ich finde es wichtig, dass es nicht zu stark in eine Richtung eingefärbt ist.“
Kann man Schenken denn lernen?
„Definitiv. Das Talent liegt eher im Kommunikativen und Geschichten erzählen. Das muss man mitbringen – und kann es später mit einem Repertoire kombinieren. Von Produkten die man kennt, von Dingen, die man schon mal gesehen hat, von Themen, mit denen man sich schon mal befasst hat. Es verlangt auch, sich in Themen hineinzuarbeiten. Ich bin mit der Zeit auch definitv besser geworden und finde meine Anfangskreationen jetzt beinahe peinlich. Ob ich gerade einen Bestseller kreiert habe, kann ich oft gar nicht sagen. Manchmal stimmt das Gefühl, andere Male verkaufen sich Geschenke erst nach ein paar Monaten gut.“
Was hast du in den letzten Jahren dazugelernt?
„Ich höre jetzt viel stärker heraus, was Menschen mit ihrem Geschenk eigentlich sagen wollen – denn es geht ja um mehr, als jemandem schlicht eine Freude zu machen. Mir war am Anfang höchstens instinktiv klar, was das für eine große Sache ist. Und wie sehr es in Beziehungen von Menschen eingreift und sie verändert. Es ist famos! Man merkt ja, was passiert, wenn man mit einem Geschenk wirklich richtig gibt. Oder es gibt Geschenke, die einen jahrelang begleiten. Wenn man sich so geballt wie ich jeden Tag damit auseinandersetzt, merkt man: Es rettet wirklich Beziehungen. Es ist ein neuer Kanal für Menschen, um zum Beispiel Liebe auszudrücken, die sie vorher vielleicht nicht kommunizieren konnten. Das ist toll, wenn man plötzlich merkt, dass man Medium für Menschen ist, die sich wichtige Dinge sagen.“
Das klingt, wie eine breit angelegte kulturwissenschaftliche Studie.
„Ja, da komme ich ja auch her. Ich habe auch angefangen viel über das Schenken zu lesen und denke öfter darüber nach. Ich müsste es mal komplett festhalten. Wir haben das große Glück, dass Kunden uns ellenlange E-Mails darüber schreiben, was sie gut fanden und wie Sachen angekommen sind, wofür sie es nutzen, wer es ihnen warum empfohlen hat. Ich hätte nie gedacht, dass Menschen einfach nur so Feedback schicken, ohne sich selbst darstellen zu wollen. Denn es wird ja nicht öffentlich gepostet. So gewinnen wir sehr viel Einblick in das, worüber unsere Kunden nachdenken und was es für sie tut, wenn es plötzlich gut funktioniert.“
Wie sieht der Produktzyklus aus?
„Wir machen es in jedem Fall saisonal. Ich würde gern aber noch viel mehr berücksichtigen, vor allem mehr als die christlichen Feiertage. Ich wäre gern gelauncht und hätte schon muslimische und jüdische Feiertage mit drin gehabt, um eben auch da Medium sein zu können. Es kann ja auch schwierig sein Geschenk zu finden, wenn die Kultur nicht darauf ausgelegt ist. Ich würde gern auch stärker rotieren, aber da wir oft Lieferanten haben, die nur in kleiner Auflage liefern können, hält uns das davon ab damit ein Päckchen zu machen. Weil wir jetzt noch relativ klein sind, sind limitierte Produkte noch zu viel Aufwand, um sie auf die Plattform zu heben. Ich persönlich würde gern mehr mit Produkten und ihren Laufzeiten spielen. Das ist wie ein Schmetterling: Er ist kurz da und dann wieder weg!“
Ist die Kategorie „Geschäftsfreunde“ stark nachgefragt?
„Sie ist ein sehr starker Produktbereich bei uns. Ebenso ist es ein Bereich, in dem der Schmerzpunkt im Zweifel sehr viel höher liegt. Denn wenn ich privat schenke bin ich mir vielleicht sicherer oder das Fettnäpfchen ist nicht so groß. Als Geschäftspartner habe ich nicht so viel Einblick in das Leben des anderen und brauche allgemeinere Dinge. Doch man möchte ja mehr schenken als die Flasche Wein oder weiß gar nicht, ob der andere überhaupt trinkt. Man muss eine Balance finden, einerseits nicht über die Stränge zu schlagen und die Beziehung höher zu hängen, als sie gerade ist und andererseits zu signalisieren, dass das Geschenk kein Pflichtprogramm ist. Beziehungen sind heute im Geschäftsleben sehr wichtig, und es schöner zu kommunizieren als mit einer E-Mail und mit einem Anruf ist oft gar nicht so einfach.“
Schenkt man branchenabhängig? Hierarchieabhängig?
„Beides, ja! Die Nähe der Beziehung ist das Relevante. Ganz viel passiert auch intern in Firmen, denn wo man sich fast freundschaftlich nah kommt, unterscheidet es sich gar nicht mehr so viel von privaten Geschenken. Die Arztpraxis schenkt natürlich anders als ein Keramikhersteller oder ein Tiefbauunternehmen. Die haben alle ihren Charme und ich finde es großartig, denn ich beginne auch in diesen Feldern zu denken. Das strahlt auch ganz stark darauf ab, was wir für unsere Endkunden tun können, die wirklich nur privat schenken. Es sind am Ende des Tages genau die gleichen Menschen. Geschenkt wird immer von Mensch zu Mensch.“
Gibt es absolute No-Gos bei geschäftlichen Geschenken?
„Das ist wieder sehr individuell. Ich habe zum Beispiel ein Pharmaunternehmen, das regelmäßig bei uns bestellt und sehr witzig verschenkt, wenn es um Partner im Ausland geht. Die haben ein sehr herzliches Verhältnis zu den Leuten, mit denen sie arbeiten. Entsprechend trauen sie sich auch eine ganze Menge. Andere Unternehmen schenken sehr konventionell: Vielleicht eine schöne Flasche Wein mit tollen Crackern. Das passt dann aber auch zum Unternehmen oder eben mehr noch zu der Person, die es ausgesucht hat. Manchmal überraschen mich die Unternehmen jedoch und ich denke: Es geht eigentlich alles. Da sind gar keine Unterschiede und es beschenken sich eben nicht zwei Unternehmen sondern Menschen. Und das ist genau der Sinn und Zweck von dem, was wir tun: Wieder auf eine menschliche Ebene zu kommen. Schenken sollte keine Pflichterfüllung sein.“
Gehört die Beratung von Unternehmen zu euren Services dazu?
„Je größer die Anzahl von Menschen wird, die beschenkt werden sollen, desto mehr rate ich dazu, mit uns vorher zu sprechen. Ich splitte gern Zielgruppen auf. Man muss sich zum Beispiel nicht zwingen, Männern und Frauen das Gleiche zu schenken. Wenn man sich traut, das Männliche und Weibliche als etwas Positives zu sehen, kann man so oft eine viel größere Freude machen. Ein gut gegendertes Päckchen kann toll sein!“
Geschenke sind oft eine hastige Angelegenheit. Wie entscheidend sind für euch Lieferzeiten?
„Sie sind unglaublich wichtig. Deswegen haben wir auch alles auf Lager. Wir haben zwar noch keine Next-Day-Delivery auf der Seite, aber oft Kunden, die anrufen und etwas bis zum nächsten Tag brauchen. Das kriegen wir dann auch hin. Die meisten Kunden brauchen ihre Bestellung innerhalb einer Woche. Im Geschäftsbereich entstehen Anlässe auch oft spontan: So wie der Geschäftsabschluss, den man schnell feiern möchte. Oder eine Krise, für die man sich nicht erst drei Wochen später entschuldigen kann. Ein Bereich, in dem Innovationspotential liegt, ist es, ein sehr gutes Tracking anzubieten, noch über das hinaus, was der Paketdienstleister kann.“
Wie grenzt ihr euch von anderen Onlineshops ab?
„Der Vorteil von Merisier ist, dass man etwas sehr schnell und direkt verschicken kann und nach wenigen Schritten im Onlineshop das Geschenk fertig hat. Die Hürde öfter im Privaten zu schenken liegt darin, dass man erst das Geschenk besorgen muss, dann zu Hause verpacken, dann verschicken. Das kostet Zeit. Eine große Gruppe von Kunden sind zudem diejenigen, die an Leute verschenken, die schon alles haben und bei denen es schwierig ist, einzelne Produkte für sie zu finden. Was der Beschenkte über Merisier zusätzlich bekommt, ist die Geschichte. Wir investieren viel Zeit in die Produktbeschreibungen, die Kunden dann auch oft adaptieren. Dass wir in Konzepten denken, macht es für die Kunden auch leichter sich zu entscheiden, da es nicht mehr um das eine Produkt geht, was perfekt sein muss.“
Kaufst du selbst noch offline ein?
„Klar. Weil ich die Haptik und den Prozess gern mag und Atmosphäre mir wichtig ist. Ich gehe viel auf Messen für den Shop und das spiegelt sich in meinem privaten Kaufverhalten wider.“
Bist du mit deinem Background im Gründerbereich eine Seltenheit?
„Unter meinen geschäftlichen Partnern gibt es zwar viele Grafikdesigner, Künstler und Leute, die aus dem Handwerk stammen, aber die Gründer, die mit uns hier in der Factory sitzen oder auch mehr in der Presse auftauchen, haben selten so einen Hintergrund wie ich. Ich finde, das müsste nicht so sein, aber die Hürde sich das zuzutrauen, ist für Leute mit einem kulturwissenschaftlichen Hintergrund hoch. Sobald man aber mittendrin ist, merkt man, dass alle nur mit Wasser kochen.“
Wie hat das eigene Unternehmen dein Arbeiten verändert?
„Ab einer bestimmten Größe wird das Gründerleben anders: Aus der Kreationsarbeit rutscht man dann raus, um sich um das Geschäftliche zu kümmern. Es herrscht das Vorurteil, dass zum Beispiel einem kreativen Menschen der Sales-Bereich nicht steht. Aber wenn man das mal macht, stellt man fest, dass man in dieser Art der Kommunikation unglaublich viel lernt über das was man tut, über das was andere Menschen darüber denken, was man tut, und man lernt über die eigene Peer-Group hinaus. Denn das ist ein Riesenproblem, wenn man anfängt zu arbeiten: Dinge, die für das Produkt wichtig sind, werden einem erst klar, wenn man aus diesen eigenen Kreisen heraustritt.“
Also rein in die Gründung, egal aus welchem Bereich man eigentlich stammt?
„Unbedingt. Von diesen Leuten braucht es sehr viel mehr. Man muss die richtigen Menschen um sich herum bringen, die einem mit bestimmten Fragen helfen können. Ich glaube, dass die Symbiose von Menschen, die schon früh wirtschaftlich gedacht haben und anderen, die das kalt gelassen hat, weil sie sich über andere Dinge Gedanken gemacht haben, unglaublich viel Kraft hat. Ich glaube, dass das bessere Unternehmen mit besseren Arbeitsbedingungen und besseren Auswirkungen auf die Welt erzeugt.“
Hast du neben Merisier noch Zeit für die Kunst?
„Ja, ich brauche sie ganz stark zum Ausgleich, um dann wieder frei denken zu können. Man braucht andere Dinge, um Inspiration zu finden. Dann kann man sehr schnell Lösungen für die eigene Arbeit finden. Eine Gefahr in der Zeit, in der alle kreativ arbeiten sollen, ist es, so zu tun, als wäre kreative Arbeit möglich unter immer den gleichen Voraussetzungen. Disziplin und Fleiß sind ein großer Teil von kreativer Arbeit, das wird jeder Künstler bestätigen. Aber man braucht Gegengewichte zu den Dingen, die man tut, und man muss sie genau so ernst nehmen. Man muss auch mal weglaufen, damit man wieder hinlaufen kann!“
In einem Audio-Ausschnitt aus dem Gespräch mit Anna Bojic erzählt sie über die Software-Lösung für individuelle Geschenkeauswahl, an der Merisier gerade arbeitet.