Verkleiden soll Spaß machen, aber nicht verletzen: Es gibt so viele tolle Kindheitsheld*innen, Filmfiguren und Ikonen – deshalb muss endlich Schluss damit sein mit einem Kostüm rassistische Strukturen zu reproduzieren!
Verkleidungen? Immer gerne!
Ich liebe schon mein ganzes Leben Halloween, Karneval und Mottopartys. So leidenschaftslos ich gegenüber der peinlichen Trinkgelage und schlechter Schlagermusik bin, so enthusiastisch bin ich beim Thema Verkleidungen. Das allerdings nicht nur ein Besäufnis mit Fehltritten und nicht selten auch mit Idiotie oder gar Verletzungen verbunden sein kann, sondern auch der Spaß beim Verkeiden, wurde mir erst relativ spät bewusst. Noch sehr viel später als die Erkenntnis, nicht von jedem x–beliebigen Panzerknacker einen Schluck Vodka–Irgendwas anzunehmen.
Eines der vielen Privilegien, die ich als weiße Frau habe, ist, keine Berührungspunkte mit Rassismus zu haben. Zumindest keine, von denen ich direkt selbst betroffen bin. Und das führt leider auch dazu, dass wenn ich über selbstpraktizierte, rassistische Verhaltensweisen reflektiere, ich kein unbeschriebenes Blatt bin. Klar, niemals war das bewusst verletzend und niemals bewusst rücksichtslos – aber das ist eben auch keine Entschuldigung.
Zu meinen vielen Privilegien gehört also dazu, dass ich mich lange nicht mit „verstecktem“ Rassismus beschäftigen musste und gewisse Verkleidungen bis vor einiger Zeit überhaupt nicht hinterfragt habe. Wenn ich mir heute allerdings Karnevalsumzüge, Halloween– und Mottopartys oder Schminktutorials ansehe und es dort von Federkronen, Plastik–Hularöcken und Menschen mit schwarz gemalten Gesichtern wimmelt, frage ich mich, wie ich das je übersehen konnte. Wie das für mich so lange „normal“ und harmlos wirken konnte.
Verkleidung als Pocahontas
Als Kind waren für mich die besonders blonden Disney–Prinzessinen, wie Dornröschen und Cinderella, auch immer die besonders schönen Prinzessinnen – und damit meine absoluten Lieblinge. Und einmal im Jahr konnte ich an Karnval so aussehen wie sie. Selbst in dem Jahr, als meine Mutter mir ein Minnie Maus-Kostüm herausgelegt hatte, bestand ich darauf, eine Krone zu tragen. Denn ich wollte eigentlich nur eines: Prinzessin sein. Und am allerliebsten, wollte ich eine blonde Prinzessin sein. Woher kommt dieser komische Blond–Fetisch? Auch das wurde mir erst später bewusst.
Dieser Hype um blonde Haare hat sich auch nicht nur auf die Auswahl meiner Lieblingsheldinnen beschränkt, sondern hat sich genauso daran gezeigt, welchen Typ Mann ich damals anhimmelte. Deswegen durfte sich auch Pocahontas trotz fehlendem Ballkleid und blonder Lockenmähne zu meinen Lieblingen gesellen, weil John Smith, mit seinen hellen Haaren, ja so unglaublich hot war. Die Disney-Adaption von Pocahontas ist ja sowieso eine ganz „rührende Geschichte“, wenn man mal davon absieht, dass Disney heraus kürzt, dass das eine Geschichte über Völkermord und Kolonialisierung ist, deren Verbrechen noch heute globale Auswirkungen haben und stattdessen die klassische Geschichte von Boy-Meets-Girl erzählt wird. Und die geht so: Junge unterschätzt Mädchen, Junge setzt Mädchen unter emotionale Erpressung, Junge unterdrückt Mädchen und Junge fährt als gefeierter Held auf weitere Reisen und lässt Mädchen zurück. Toll.
Nur sowas reflektiert man ja als Kind nicht, nein. Stattdessen schlüpfte ich in ein hübsches Fransenkleid, bastelte eine Federkrone und habe bestimmt auch einen Regentanz vorgeführt. Früher war das weder für mich, noch für mein Umfeld problematisch. Ich war die lustige kleine „Indianerin“.
Rassistische Muster, die sich schon ganz einprägen
Genau deshalb ist es auch wichtig, dass schon Kinder diverse Sehgewohnheiten haben und nicht nur Stereotype vorgesetzt bekommen. Denn es macht natürlich etwas mit ihnen, wenn ihnen als Vorbilder vor allem die blonden, weißen, dünnen Prinzessinnen vorgesetzt werden. Um das zu ändern, muss man sich mit dem Thema Repräsentation auseinandersetzen. Ich kann mich natürlich mit denjenigen leichter identifizieren, die mir ähnlicher sind und wenn ich als Kind eine wunderbare, dicke Prinzessin als Vorbild gehabt hätte, hätte ich meinen Körper vielleicht nicht mit so viel Selbsthass gequält. Und wenn ich dazu noch viele verschiedene Held*innen unterschiedlicher Kulturen gehabt hätte, die keinen rassistischen Klischees entspringen, dann hätte mich das vielleicht auch sensibler und früh schon reflektierter gemacht.
Darum geht es nämlich bei Verkleidungen auch: sie sollen Spaß machen – müssen dabei aber auch sensibel, respektvoll und reflektiert gewählt werden. Und Ikonen aus anderen Kulturen zu haben ist toll und wichtig, aber wenn sie so romantisiert dargestellt werden wie Pocahontas, ist das alles andere als respektvoll gegenüber der Kultur von Native Americans.
Es geht dabei nämlich um kulturelle Aneignung. Wenn ich mich als Pocahontas oder als „Indianerin“ verkleide, – was nebenbei auch kein selbstgewählter Begriff ist, sondern eine westliche Zuschreibung, die völlig falsch ist – ignoriere ich, dass ich die Kleidung und Attribute einer Bevölkerungsgruppe entfremde, die durch uns Weiße erst unterdrückt und misshandelt wurden.
Es geht dabei nicht um meine eigene Befindlichkeit und ob ich es okay oder gut finde, was und wen ich als lustige Vorlage für eine Verkleidung empfinde. Wie immer gilt: was rassistisch und diskriminierend ist, entscheidet nicht die Person in der gesellschaftlichen Machtposition, sondern diejenigen, die jahrelang marginalisiert und diskriminiert wurden. So schwer ist es doch wirklich nicht. Und es wurden mittlerweile wirklich schon ausreichend Stimmen dazu laut, dass Kultur keine Verkleidung ist. Gerade als weißer Mensch sollte man da endlich zuhören.
Verkleidung als Geisha
Ein anderes Beispiel ist die Verkleidung als Geisha. Mir war schon ziemlich früh bewusst, dass Körperkommentare schädlich für mein Selbstbild sind. Dass ich nicht für irgendwen sexy oder schön aussehen muss oder will, außer für mich selbst. Aber ob mich diese Gedanken daran gehindert haben, ein billiges Kimonokostüm mit verschnörkelten Mustern, Blümchen und Vögeln zu kaufen, mir das Gesicht weiß anzumalen und Plastikblumen ins Haar zu stecken, um als sexy Geisha durch die Gegend zu spazieren? Nö.
Das ist gerade vor dem Hintergrund vor einem Vorurteil gegenüber Geishas schwierig, das im weitesten Sinne mit Verkleidungen zu tun. Nach dem zweiten Weltkrieg ließen sich alliierte Streitkräfte auf Sexarbeiterinnen ein, die sich wie Geishas anzogen und erzählten in ihrer Heimat das Gerücht, dass sich Geishas prostituieren – und das hängt ihnen noch nach. Obwohl eine Geisha eigentlich eine japanische Unterhaltungskünstlerin ist, die traditionelle japanische Künste darbietet.
Klar, darf man sich sexy anziehen, wenn man das möchte. Klar, darf man sich auch sexy verkleiden. Aber es ist ein himmelhochschreiender Unterschied eine „sexy Catwoman“ zu sein oder ein Kostüm zu wählen, dass vor Stereotype und Vorurteilen nur so strotzt und sich als „sexy Roma“ zu verkleiden. Oder eben wie ich, eine dämliche Verkleidung als Geisha wählen, mit der ich genau das selbst reproduziert habe. Wieder ohne irgendein Hintergrundwissen, ohne es zu reflektieren, ohne mich schlau zu machen – sondern lediglich mit dem Gedanken, dass das doch ganz hübsch und attraktiv aussehen würde.
Aber ganz gleich, ob sexy Geisha, wilde „Indianerin” , leidenschaftliche Bollywood–Tänzerin oder das temperamentvolle Roma-Mädchen – all das sind Exotisierungen einer Kultur und eine Objektivierung des weiblichen Körpers. Und damit sind diese Verkleidungen ausschließlich eines: nicht in Ordnung.
Süßes Bindi zwischen die Stirn
Und das betrifft ja nicht nur Verkleidungen, sondern zeigt sich auch in der Modeindustrie. So sieht man auf den großen Laufstegen immer wieder Models, überwiegend weiße Frauen, die Kopftücher oder Rastalocken tragen. Was für manche eine Lebensrealität bedeutet, die stark mit Diskrimierung und Vorurteilen verbunden ist, wird in der Modeindustrie dann auf einmal schick. Und wenn man da dann mit Repräsentation argumentieren will, sollte man sich überlegen, wie authentisch das ist, wenn sie nur an weißen Körpern stattfindet. Denn auch wenn „Rasse“ als biologische Merkmal nicht existiert, ist sie doch als soziale Kategorie wirksam. So erleben Menschen mit Kopftuch oder mit Dreads täglich diskriminierende Reaktionen darauf.
Die Reaktionen auf mein Glitzersteinchen, das ich mir früher zu manchen Partys ganz frech auf die Stirn geklebt habe, waren andere. Eher so in Richtung, dass das ja süß aussehe, ob ich noch eines dabei hätte oder eben warum ich Lust habe, das zu tragen. Aber nicht, warum ich mich Symbolen einer fremden Religion bediene? Sondern, warum ich so ein Accessoire wähle. Und auch ich habe das ja nicht hinterfragt. Das große Problem, wenn man ein Bindi als Schmuckstück trägt, ist, dass die neue Adaption den religiösen, historischen und kulturellen Kontext ignoriert und es marktfähig macht. Und das ist ziemlich beleidigend.
Es geht auch anders
Es gibt unzählige tolle Ideen für Kostüme. Und unzählige bedenkliche Kostüme. Und dazu sollten wir uns endlich alle mal Wissen aneignen. Das gibt‘s mittlerweile sogar schon auf Instagram: So hat etwa Fabienne Sand, Journalistin bei this is Jayne Wayne, eine tolle Story gemacht, die erklärt, warum wir mit unseren Kostümen rassistische Strukturen reproduzieren.
Und auch wenn meine Fehlgriffe sich vermehrt auf Fasching und Mottopartys beziehen, müssen wir natürlich auch über Halloween-Kostüme sprechen. Halloween ist ja schon lange kein Tag mehr, an dem Menschen sich verkleiden, um böse Geister abzuwehren. Menschen verkleiden sich nicht mehr nur als Gespenster und Monster, sondern auch als einander. Das ist der Punkt, an dem die Dinge kompliziert werden. Das ist der Punkt an dem wir sensibel und respektvoll sein müssen.
Es ist nicht so schwer sich ein wenig zu hinterfragen, ein bisschen mehr zu lesen und nicht einfach Muster zu wiederholen, weil das schon immer so war und vorher nie jemand was dazu gesagt hat. Das stimmt nämlich nicht. Es sind die Leute, denen wir zuhören, die Kreise, in denen wir uns bewegen, die Rassismus und Diskriminierung legitimieren.
Wir müssen mit unseren Kostümen nicht die Gefühle anderer verletzen, wenn es doch so viele andere Möglichkeiten gibt.
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