Die Terroranschläge in Paris, die ausländerfeindlichen Angriffe in Heidenau und anderswo lassen Amina keine Ruhe mehr. Was die Feindseligkeiten und der Alltagsrassismus für sie persönlich bedeuten, hat sie für uns aufgeschrieben.
Hoffen, dass es besser wird
Weiße Menschen in Deutschland haben die Möglichkeit, Rassismus auszublenden, ihn einfach zu ignorieren. Als nicht-weiße Person, die nach „Migrationshintergund“ aussieht, habe ich dieses Glück nicht. Für mich ist Rassismus ein ständiger Begleiter im Alltag. Jetzt ist es ziemlich genau ein Jahr her, dass ich das erste Mal öffentlich über meine Angst schrieb. Und heute muss ich es wieder tun. Weil sich so viel verändert hat, weil so viel passiert ist, müssen wir offen darüber reden, was in Deutschland geschieht.
Seit letztem Jahr hat sich unglaublich viel verändert: Wir haben in Deutschland über eine Million Geflüchtete willkommen geheißen. Viele tolle Menschen, die täglich etliche Stunden ihrer Freizeit dafür aufgeben, um Menschen, die vor dem Schlimmsten flüchten, zu helfen. Die Bilder der Helfenden, die Gespräche, die ich führen durfte, gaben mir immer wieder Hoffnung – und zwar darauf, dass es besser werden wird, dass ich keine Angst mehr vor rassistischen Übergriffen haben muss. Hoffnung, dass sich die Gesellschaft verändert. Aber leider waren das immer nur Teile aus einem Gesamtbild, das weniger Anlass zur Hoffnung gibt. „Ich wollte nie die ,Ausländerin‘ sein“ Jeden Morgen, über Monate hinweg, war das Erste, was ich recherchierte, ob und wo wieder eine Unterkunft von Geflüchteten angegriffen wurde. Wo es wieder gebrannt hat, wo wieder ein rassistischer Mob vor einer Unterkunft aufmarschiert ist und Menschen bedroht hat.
Pegida ist präsenter denn je und die AfD ist inzwischen so weit rechts, dass zur NPD nicht mehr viel fehlt. Rechte Parolen werden in den sozialen Medien sogar unter Klarnamen gepostet. Und seit Anfang dieses Jahres gründen sich Bürgerwehren, die gezielt diejenigen Menschen angreifen, die ihrer Meinung nach nicht nach Deutschland gehören.
Vor einem Jahr schrieb ich darüber, dass ich nie die „Ausländerin“ sein wollte und trotzdem immer als solche gesehen wurde. Dabei werde ich oftmals einfach auf mein Äußeres reduziert, darauf, dass ich nicht weiß bin, dass ich keine „westliche“ Kleidung trage. Das hat sich im letzten Jahr noch einmal verstärkt. Noch häufiger werde ich nun gefragt, wo ich herkomme und, weshalb ich so gut Deutsch spreche. Ich rege mich auch heute noch über diese Zuschreibung als „Nicht-Deutsche“ auf. Schließlich lassen sich meine Persönlichkeit und mein Ich nicht einfach mit einem Begriff zusammenfassen. Ich versuche den Menschen dann zu erklären, dass sich hinter meinem Äußeren viel mehr verbirgt. Dieses Aufklären kostet mich aber jedes Mal unglaublich viel Kraft und Energie.
Was bedeutet Migrationshintergrund überhaupt?
Mittlerweile, so kann ich beobachten, verallgemeinern sich die Nachfragen zunehmend und beziehen sich nicht mehr nur auf mich. Immer wieder höre ich inzwischen Anmerkungen wie „Du bist ja nicht das Problem, aber…“. Dann zu erklären, dass genau das die Grundlage für rassistische Ressentiments ist, ist jedes Mal anstrengend und ermüdend. Ich versuche zu erklären, dass Menschen, die so argumentieren, durch ein kollektives „Wir“ nur eine Abgrenzung von „ihnen“ rechtfertigen, dass die Idee von der „Wir“-Gruppe und einer (deutschen) Identität in einem engen Zusammenhang mit Ausgrenzung und deshalb zu rassistischen Ideologien steht – und dass sie dabei völlig außer Acht lassen, dass nationale Identitäten soziale Konstruktionen sind. Doch leider habe ich dabei meistens das Gefühl, gegen Mauern zu rennen.
Wenn ich nicht als Ausländerin gelesen werde, werde ich als Frau mit Migrationshintergrund gesehen – ich will mich aber gar nicht als solche definieren. Ich selbst empfinde den Begriff „Migrationshintergrund“ als eine sehr ungenaue Bezeichnung. Ab welcher Generation hat man keinen Migrationshintergrund mehr? Sehr verschiedene Menschen werden durch den Begriff zu einer Masse, ohne dass differenziert auf die Unterschiede eingegangen wird. Auch hier wird wieder ein „ihr“ konstruiert, was nach meinem Empfinden durchaus problematisch ist.
Innere Unruhe
Vor einem Jahr schrieb ich, dass ich seit einigen Wochen mit meinen Gedanken oft woanders bin und nicht zur Ruhe komme. Dieser Zustand ist inzwischen zur Routine für mich geworden. Damals war der Anschlag auf Charlie Hebdo im Januar 2015 ein Höhepunkt meiner inneren Unruhe. Seitdem ist aber noch viel mehr passiert: Im Sommer 2015 kam es in Heidenau zu rechten und fremdenfeindlichen Krawallen. An zwei Abenden hintereinander kam es zu Angriffen von Rechtsextremisten und „besorgten Bürgern“, sowohl auf die Polizei als auch auf die geplante Unterkunft für Geflüchtete. Das war einer der Momente, in denen ich einfach nur Angst hatte. Die Bilder, wie Rassisten und Rassistinnen so gewalttätig sind, ohne dass die Polizei es verhindern kann (oder will?), schüren Angst.
Einige weitere Monate vergehen, die Angriffe auf Unterkünfte sind noch immer präsent und leider Alltag geworden. Dann ist es November, dann ist es wieder Paris. Paris wird angegriffen und ich kann nicht anders, als wieder an Charlie Hebdo zu denken. Daran, was danach passierte, wie ich immer wieder gefragt wurde, wie ich dazu stehe, wieso ich mich nicht öffentlich davon distanziere. Ich versuche, für mich zu überlegen, was ich tun soll und bin hilflos. Ich weiß nicht, was ich tun soll, um mich selbst sowie die Menschen, die mir wichtig sind, zu schützen. Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll, was ich tun kann.
Eine Woche vergeht – eine Woche, in der ich viel darüber nachdenke, was passiert ist und was es bedeutet. Am Wochenende nach den Angriffen in Paris soll in Hannover das Länderspiel Deutschland gegen die Niederlande stattfinden – alle Medien berichten darüber, welche Bedeutung dieses Spiel hat. Dass es ein Zeichen gegen den Terror ist, dass es trotz allem stattfindet. Und dann passiert das, wovor ich Angst hatte: Das Spiel wird abgesagt. Es ist alles diffus, keiner kennt den genauen Grund. Es gibt viele Spekulationen, ich sitze vor dem Fernseher und stehe unter Schock.
„Ich habe Angst“
Meine Eltern leben in der Nähe von Hannover. Ich bin dort aufgewachsen. Ich fürchte mich davor, was es für die Menschen in Hannover, die nicht deutsch aussehen, bedeutet. Allein diese Gedanken schränken mich ein – und führen dazu, dass ich mir inzwischen viel mehr Gedanken darüber mache, wo ich hingehe, mit welchen Menschen ich unterwegs bin und welche Kleidung ich am besten trage. Wenn ich mir unsicher bin, greife ich inzwischen immer häufiger zu westlicher Kleidung statt zur traditionell pakistanischen, die ich sonst sehr viel trage. Ich habe Angst, wenn ich unterwegs bin – unabhängig davon, wohin es mich verschlägt. Jahrelang bin ich durch ganz Deutschland gereist, ganz häufig allein. Nie habe ich mich unsicher gefühlt. Mittlerweile ist das anders: Körperliche Angriffe habe ich bisher glücklicherweise nicht zu spüren bekommen, dafür gehören verbale Angriffe zu meinem Alltag. Ich habe Angst davor, dass es nicht mehr nur bei Blicken und verbalen Angriffen bleibt.
Jedes Mal, wenn ich in eine neue Stadt fahre, informiere ich mich vorab, wie die Situation vor Ort aussieht und, ob es für mich sicher ist. Im vergangenen Jahr hat sich für mich vor allem der Osten Deutschlands zu einem Bereich entwickelt, in dem ich mich nicht sicher fühle – schon gar nicht, wenn ich alleine unterwegs bin. Ich möchte meine Angst keineswegs pauschalisieren, denn mit Sicherheit trifft das nicht auf alle Orte und schon gar nicht auf alle Menschen zu, aber mein persönliches Sicherheitsempfinden ist dort einfach nicht mehr erfüllt. Ich finde es äußerst schade, dass ich als junge Frau das Gefühl habe, alleine nicht sicher in Deutschland zu sein. Die Angst bleibt, auch ein Jahr später.
Mehr bei EDITION F
Bildung, Unvoreingenommenheit, Pragmatismus: Meine drei Lehren für die Integration. Weiterlesen
Jeder von uns hat mindestens einen Flüchtling in der Familie. Wetten? Weiterlesen
Dolce & Gabbana designt jetzt für Musliminnen – würden sie diese Entwürfe tragen? Weiterlesen