#wirsindmehr – aber wir müssen uns viel stärker fragen, was wir mit diesem Potenzial anfangen können. Jeden Tag, immer und immer wieder. Wie können wir Menschen in unserem Umfeld unterstützen, die mit Rassismus konfrontiert sind?
Unsere Privilegien, unsere Verpflichtungen
Diskriminierende, rassistische Gewalt geschieht – nicht irgendwo, sondern überall. Wenn wir schweigen und nichts tun, leben wir in einer friedlichen Symbiose mit dem Rassismus. Wir akzeptieren ihn. Wir legitimieren ihn damit. Dabei sind es die Stimmen von weißen Personen, die das Privileg genießen, gehört und ernst genommen zu werden. Unsere Privilegien sind unsere Verpflichtung.
Ich als weiße Cis-Frau kenne die Angst, nachts allein nach Hause zu gehen. Ich kenne nicht die Angst, mit der man als Person of Color zurzeit durch Chemnitz läuft. Oder jederzeit, durch viele andere Orte in Deutschland. Rassismus ist kein individuelles Problem, es ist ein strukturelles. Es beginnt nicht bei körperlichen Übergriffen und hört auch nicht bei verbalen Auseinandersetzungen auf. Vielmehr ist Rassismus in unseren Alltag so eingebunden, dass er für Nichtbetroffene unsichtbar werden kann. Das bedeutet beispielsweise, dass weißen Personen die Tragweite von Fragen über die Herkunft oder dem unerlaubten Berühren der Haare nicht bewusst ist.
Es ist wichtig zu erwähnen, dass bei dem Vergleich „nachts allein nach Hause gehen“/„als Person of Color an bestimmten Orten unterwegs sein“ unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen angesprochen werden. Sexismus und Rassismus sind auf keiner Ebene gleichzustellen und entspringen unterschiedlich gelagerten Machtverhältnissen. Dennoch veranschaulicht der Vergleich vielleicht, inwiefern man sich als Subjekt – also ich als Frau in einer Belästigungssituation – in diesem Moment machtlos fühlen kann und sich wünscht, dass man von außen solidarisches Verhalten erfährt.
Über Alltagsrassismus und wie weiße Personen ihn erzeugen
Was bedeutet es also, uns zu solidarisieren? In meinem Feed auf Instagram erschien vor Tagen eine Story von @exe_.cute, in der sie beschrieb, wie es uns möglich, ist ein „Ally“, also ein*e Verbündete*r , zu sein: also welcher Handlungsspielraum einer weißen Person gegeben ist und welche Verantwortung damit einhergeht, nicht bloß in akuten Situationen wie Chemnitz, sondern auch sich selbst gegenüber. Jerin Arifa beschrieb in einem Interview mit der „Huffington Post“, dass Courage die wichtigste Qualität eines Allys sei und dass damit einhergehe, sich stetig seiner Privilegien bewusst zu sein; und man müsse sich sich der unbequemen Tatsache stellen, dass man – trotz bester Intentionen – Teil des Status quo unterdrückender Strukturen sei. Das Stichwort ist hier Alltagsrassismus.
Um diesen aufzudecken, ist die Bereitschaft essentiell, sich selbst zu hinterfragen und sich einzugestehen, dass man Fehler gemacht hat, machen wird, so Arifa. Die Selbsterkenntnis, nämlich dass man Teil eines unterdrückenden Systems ist und selbst oft rassistische Denkmuster reproduziert hat – bist du wirklich unvoreingenommen, wenn du einen ausländisch klingenden Namen in einer WG-Zimmer-Bewerbung liest? –, ist notwendig, um sich aktiv gegen Rassismus zu engagieren. Denn: Wer Rassismus bekämpfen will, muss ihn verstehen. Dabei geht es zum Beispiel um bestimmte Worte und Witze. Spezifischer: sowohl darum, sie auszusprechen, aber auch, sie kritiklos stehen zu lassen. Es ist wichtig, zu verstehen, dass man als weiße Person nicht in der Definitionsgewalt steht, zu entscheiden, was rassistisch ist und was nicht.
Das bedeutet nicht, dass nun People of Color in eine „Erklärrolle“ verfallen sollen oder uns stetig unsere Unsicherheit und unser Unwissen nehmen müssen. Das soll nicht ihre Verpflichtung werden. Vielmehr steht man als weiße Person ohne jegliche Rassismuserfahrungen in der Verantwortung, zuzuhören und sich selbst weiterzubilden. Und wenn doch eine Korrektur, eine Kritik an einem Ausdruck oder einem Verhalten geäußert wird, sollten wir diese annehmen und verstehen. Damit wäre ein erster Schritt in die Richtung, ein*e Ally zu werden, getan.
How to Ally?
Aber was genau bedeutet Ally überhaupt? Anne Bishop beschreibt eine*n Ally als eine privilegierte Person, die die jeweilige unterdrückte Gruppe unterstützt und Verantwortung dabei übernimmt, die repressiven Strukturen zu dekonstruieren. Sie beschreibt, dass sie aus ihren eigenen diskriminierenden Erfahrungen als lesbische Frau erkannt hat, in welchen anderen sozialen oder individuellen Ebenen sie privilegiert ist. Damit geht einher, dass man aus diesen Erfahrungen Handlungsanweisungen ableiten kann: wie man sich selbst solidarisch verhalten kann.
Allem voran geht also eine eigene selbstkritische Haltung und die Bemühung zu erkennen, wo man selbst Rassismus reproduziert, ihn duldet und letztlich auch zu erkennen, wie omnipräsent er ist. Das ist ein schmerzhafter Prozess. Ein Prozess, in dem weiter Fehler gemacht werden und wir nicht aufhören dürfen, uns selbstkritisch zu hinterfragen. Immer und immer wieder.
Wie kann man sich dem Thema Rassismus annähern?
– Hört People of Color zu. Zweifelt nicht ihre Rassismuserfahrungen an. Akzeptiert sie und lernt daraus.
– Folgt People of Color auf euren Social-Media-Kanälen. Lest ihre Geschichten, teilt sie.
– Wenn euch eine Person auf Color auf eine rassistische Äußerung oder ein rassistisches Verhalten aufmerksam macht, verteidigt euch nicht. Ihr seid nicht in der Position, zu entscheiden, was rassistisch ist und was nicht. Versucht zu verstehen, was ihr falsch gemacht habt. Und wenn euch euer Gegenüber keine Erklärung geben kann/möchte (wozu er/sie niemals verpflichtet ist), googelt.
– Lest Bücher zu Rassismus. Und lest Bücher von People of Color.
Was kann man in konkreten Situationen tun?
Rassismus ist so viel mehr als alles, was rund um und in Chemnitz passiert ist – vieles bekommt keine so große mediale Präsenz. In Seminaren, in öffentlichen Verkehrsmitteln, im Supermarkt und an vielen Familientischen passiert Rassismus. „Die Frage nach meiner Herkunft oder übergriffiges Verhalten bei einem ersten Treffen, wo Menschen mir in die Haare fassen wollen, aus einer objektivierenden Neugier heraus, sind nur ein paar Beispiele”, beschrieb Jamie Schearer in einem Interview mit EDITION F.
Seid die unbequeme Person, die das nicht still abnickt mit der Haltung „ach, das ist doch nicht so gemeint“. Das kann sein. Aber warum passiert es überhaupt, wenn es nicht so gemeint ist? Und wie oft?
Wie du in einem solchen Fall konkret handeln kannst, lässt sich auch von anderen Diskriminierungssituationen ableiten, wie beispielsweise bei Belästigung.
Wenn du selbst Zeug*in einer Situation wirst, in der eine andere Person rassistische beleidigt/bedroht wird, ist natürlich auch deine persönliche Sicherheit wichtig. Höre auf dein Bauchgefühl und versuche im Zweifel, auch andere Menschen auf die Situation aufmerksam zu machen, um gemeinsam einschreiten zu können.
Nimm Augenkontakt auf. Du signalisierst der Person damit, dass du sie nicht übersiehst und sie nicht allein ist.
Beginne ein Gespräch mit der Person. Frag, ob alles in Ordnung ist. Ob sie Hilfe braucht. Sag ihr, dass sie nicht allein ist. Lass sie nicht allein sein.
Tritt aus deiner Komfortzone heraus, wenn Freund*innen, Familienmitglieder oder Kolleg*innen, Kommiliton*innen etwas sagen oder tun, das dir ein ungutes Gefühl gibt. Sprich das an. Oft ist man sensibel genug, um zu bemerken, wann eine Äußerung nicht okay ist und bleibt trotzdem still. Das muss sich ändern.
Rassismus ist vielfältig. Situationen, in denen wir mit Rassismus konfrontiert werden, sind zahllos. Aber wenn wir empathisch handeln und sprechen, können wir etwas verändern.
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