Frau im rötlichen Schatten, auf ihr sind digitale Codes zu sehen, Person als Projektionsfläche
Foto: Cottonbro Studio | Pexels

Identitätsmissbrauch, Diffamierung, Online-Stalking: Häusliche Gewalt setzt sich im Netz oft fort

THEMENWOCHE zum Orange Day | Wenn die Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, den Schritt gewagt haben und der gefährlichen Situation entkommen sind, heißt das oft nicht, dass es aufhört. Sehr häufig wird die häusliche Gewalt mit digitalen Mitteln fortgesetzt.

Am 25. November 2022 wird überall auf der Welt der Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen* begangen – auch „Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen“ (International Day for the Elimination of Violence against Women) oder Orange Day genannt. Die Frauenhauskoordinierung e.V. (FHK) fordert in diesem Rahmen dazu auf, dass auch die digitale Gewalt berücksichtigt wird.

Vielen erscheint die digitale Gewalt als relativ neues Phänomen. Dabei setzt sie existierende Gewaltdynamiken und Machtverhältnisse nur weiter fort. Sämtliche Beratungsstellen und Frauennotrufe verweisen auf einen Anstieg verschiedener Formen digitaler Gewalt – oft im Kontext von häuslicher und sexualisierter Gewalt. „Besonders Frauen, Women of color, Schwarze Frauen, Frauen mit Behinderungen und LGBT*IQ sind betroffen. Als strukturelles Phänomen trägt digitale Gewalt zur Ungleichheit der Geschlechter bei.“ (bff, frauen-gegen-gewalt.de).

Die Auswirkungen auf Betroffene müssen viel ernster genommen werden und es bedarf eines umfassenden Schutzes, der aktuell noch nicht gegeben ist. Polizei, Justiz und Unterstützungssystem sind von diesen neuen digitalen Formen der Gewalt häufig überfordert, Betroffene werden mit den schwerwiegenden Folgen alleingelassen.

Die Frauenhauskoordinierung vernetzt über 260 Frauenhäuser und 270 Beratungsstellen. Mitarbeiter*innen der FHK stellen fest, „dass häusliche Gewalt gegen Frauen zunehmend mit digitalen Mitteln fortgesetzt wird, Behörden und Schutzeinrichtungen jedoch häufig nicht adäquat für die Unterstützung Betroffener ausgerüstet sind.“

„Er wusste, welche Bilder ich mache, er wusste wann ich auf die Toilette gegangen bin, wann ich rausgegangen bin, wann ich mit wem was geredet habe, und das war einfach zu viel. Man ist nicht mehr frei.“ 

– Betroffene digitaler Gewalt –

In Deutschland wird alle zweieinhalb Tage eine Frau durch ihren (Ex-)Partner getötet. Jeden Tag kommt es zu Tötungsversuchen durch den (Ex-)-Partner. Jedes Jahr verzeichnet die Polizeiliche Kriminalstatistik einen Anstieg häuslicher Gewalt. Im Zuge dessen wird seit 2020 Gewalt mit dem „Tatmittel Internet“ gesondert aufgeführt – die Dunkelziffer ist dabei vermutlich immens hoch.

Katrin Frank, Vorstandsvorsitzende von FHK, erklärt: „Die Bandbreite digitaler Mittel, mit der Männer Gewalt gegen die eigene (Ex-)Partnerin ausüben, ist mittlerweile riesig: Stalking über GPS-Tracker, Identitätsdiebstahl oder das Anlegen von Fake-Profilen, um Falschinformationen über eine Person zu streuen. Die Überwachung von Handy- und E-Mail-Kommunikation. Die Veröffentlichung intimer Bilder gegen den Willen der Frau. Oder Deep-Fakes, bei denen das Gesicht der Betroffenen in Pornoaufnahmen montiert wird – um nur einige Beispiele zu nennen.“ Für die Betroffenen sei das psychisch extrem belastend, mitunter traumatisierend. Zumal alles, was sich online abspiele, einerseits in physische Gewalt umschlagen könne und andererseits oft eine öffentliche Bloßstellung bedeute, die sich nicht rückgängig machen lasse. „Inhalte, die einmal im Netz sind, bleiben dort in der Regel.“

Der GREVIO-Bericht, der jüngste Evaluierungsbericht des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul Konvention), bestätigt, dass Polizei, Justiz und Schutzeinrichtungen in Deutschland oft nicht adäquat mit Knowhow und Ressourcen ausgestattet sind, um auf die technischen Entwicklungen im Bereich häuslicher Gewalt kompetent zu reagieren.

„Wenn sich Betroffene an Polizei oder Unterstützungseinrichtungen wenden – aber man dort die Tragweite des Problems nicht (an)erkennt oder sie aus Überforderung einfach wegschickt, ist das fatal für die Sicherheit der Frauen, aber auch für das Vertrauen in unseren Rechtsstaat“, sagt Katrin Frank.

FHK appelliert daher eindringlich an Bund und Länder,

  • alle beteiligten Berufsgruppen angemessen zum Schutz vor digitaler Gewalt fortzubilden und entsprechende Ressourcen bereitzustellen
  • die Datenlage zu digitaler Gewalt in Partnerschaften zu verbessern, um effektive Maßnahmen entwickeln zu können.

Über Frauenhauskoordinierung e.V.

Frauenhauskoordinierung e. V. (FHK) wurde auf Initiative der Wohlfahrtsverbände (AWO Bundesverband e. V., Diakonie Deutschland, Der Paritätische Gesamtverband, Sozialdienst katholischer Frauen Gesamtverein e. V./Deutscher Caritasverband e. V.) gegründet, um sich im Auftrag der Mitglieder für den Abbau von Gewalt gegen Frauen und für die Verbesserung der Hilfen für betroffene Frauen und deren Kinder einzusetzen. FHK koordiniert, vernetzt und unterstützt das Hilfesystem, fördert die fachliche Zusammenarbeit und bündelt Praxiserfahrungen, um sie in politische Entscheidungsprozesse sowie in fachpolitische Diskurse zu transportieren.

Weiterführende Infos auf den Seiten der FHK und bff

Was ist eigentlich digitale Gewalt? – Super wichtige Infos dazu findest du auf den Seiten der FHK und bff.

Brauchst du Hilfe?

Rund 35 Prozent aller Frauen in Deutschland sind mindestens einmal in ihrem Leben von physischer und/oder sexueller Gewalt betroffen – so das Ergebnis einer Untersuchung der Europäischen Grundrechteagentur (2014). Doch nur circa 20 Prozent der Frauen, die Gewalt erfahren, wenden sich tatsächlich an eine Beratungsstelle. Hier setzt das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ an: Unter 08000 116 016 und über hilfetelefon.de können sich betroffene Frauen, Menschen aus dem sozialen Umfeld der Betroffenen und Fachkräfte zu allen Formen von Gewalt gegen Frauen beraten lassen.

*Mit Frauen sind grundsätzlich alle cis Frauen, trans Frauen, inter- geschlechtliche Frauen sowie alle Menschen gemeint, die sich als Frauen oder Mädchen verstehen.

Quelle: Frauenkoordinierung e.V.

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