Josefa Nereus ist Sexworkerin aus Hamburg. Sie setzt sich für die Entstigmatisierung von Sexarbeit ein und kämpft für die Rechte von allen in der Sexarbeit tätigen Menschen. Wir haben mit ihr gesprochen.
Wissen. Macht. Sex
Die Sexarbeit wird weltweit immer wieder kontrovers diskutiert. In Deutschland fordern Prostitutionsgegner*innen seit Jahren ein absolutes Prostitutionsverbot, wie es in Schweden existiert. Gleichzeitig kämpfen Sexworker*innen dafür, dass ihre Arbeit gesellschaftlich und wirtschaftlich anerkannt wird. Menschen, die ihr Geld in der Branche verdienen, müssen das oft heimlich tun. Zu groß ist die Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung und Diskriminierung.
Die Sexworkerin Josefa Nereus möchte das ändern. Sie ist Sprecherin des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen und arbeitet seit sechs Jahren in der Branche. Auf ihrem Youtube-Kanal Wissen.Macht.Sex klärt die Sexworkerin auf. Nicht nur über ihr Leben, die Branche und ihre Gäste, sondern auch über die Sexualität im Allgemeinen. Sie spricht in ihren Videos Themen an, die zwar viele Menschen interessieren, zu denen sich die meisten jedoch nicht trauen Fragen zu stellen. Aus Scham. Weil Sex in unserer Gesellschaft zwar „omnipräsent“, aber immer noch „Tabuthema“ ist, wie sie erklärt.
Im Gespräch erzählt Josefa Nereus von ihrem eigenen Lebensweg und ihrem Einstieg in den Beruf. Sie erklärt, warum sie nicht glaubt, dass die Sexarbeit und der Feminismus sich gegenseitig ausschließen und warum einige Gesetze, die offiziell zum Schutz von Sexarbeiter*innen erlassen worden sind, mehr Schaden als Nutzen verursacht haben.
Wie bist du zur Sexarbeit gekommen?
„Ich fand den Beruf schon als junges Mädchen faszinierend. Als Berufswahl kam das aber damals nicht wirklich in Frage. Ich habe erst einmal Mediengestalterin gelernt und mehr oder weniger normale Sachen gemacht. Irgendwann war ich dann in einer Beziehung, in der Sex mit der Zeit immer weniger wurde. Nach drei Jahren stellte sich heraus, dass mein Partner und ich ein anderes sexuelles Verlangen hatten. Wir haben uns offen darüber unterhalten. Ich wollte ihn nicht betrügen und ich wollte ihn auch nicht verlassen, weil es mir ja nur um den Sex ging. Im Laufe dieser Gespräche bin ich darauf gekommen, dass ich Geld dafür nehmen könnte. Das hat den Rahmen geschaffen, den ich mir damals gewünscht habe: Sex, ohne die Verbindlichkeit von Beziehungen. Die wollte ich raushalten und mich ums Wesentliche, in dem Fall um die Sexualität zu kümmern. Im ersten Jahr hat sich daraus ein richtiger Erwerb für mich entwickelt.“
Wann hast du dich dazu entschieden an die Öffentlichkeit zu treten und dich auch aktivistisch zu betätigen?
„Das hat ein bisschen gedauert. Die ersten anderthalb Jahre wussten nur mein Partner und eine Freundin Bescheid. In der Zeit, habe ich versucht an Informationen zu kommen, um mir das Arbeiten leichter zu machen. Das ist in der Branche im Übrigen ein ganz großes Problem: Es gibt kaum Infrastrukturen zur weiteren Ausbildung. Bei einem Bondage-Workshop für Escorts, habe ich andere Menschen aus dem Bereich kennengelernt. Da bin ich ganz langsam hineingewachsen. Vor kleinen Gruppen konnte ich einfach erzählen, was ich mache und mir wurden dazu Fragen gestellt. Eins kam zum anderen und ich habe angefangen Pressearbeit zu machen und Videos zu drehen.“
Du hast in den ersten anderthalb Jahren nur zwei Menschen von deinem neuen Beruf erzählt. Hattest du Angst davor, wie der Rest deiner Umgebung reagieren könnte?
„Angst ist vielleicht das falsche Wort, aber ich hatte schon deutliche Bedenken. Mir war klar, dass das nicht unbedingt ein Thema ist, mit dem man auf Partys Gespräche beginnt. Als ich mich an den inneren, harten Kern meines sozialen Umfeldes gewagt habe, kamen sehr negative Reaktionen zurück. Ich sei geisteskrank, gestört, oder unwürdig Beziehungen zu führen. Das war schon hart. Ein Großteil meines Freund*innenkreises ist tatsächlich weggebrochen. Manchmal ist auch eine unangenehme, voyeuristische Sicht auf mein Leben entstanden. Auf der einen Seite wollen die Leute ganz viele Informationen, auf der anderen Seite möchten sie nicht mit gängigen Klischees aufräumen. Ich habe mal jemanden kennengelernt, der meinte: ,Du kannst noch so häufig sagen, dass dir keine Gewalt widerfährt, ich glaube dir das nicht’. In so einem Fall macht es dann auch keinen Sinn die Beziehung weiterzupflegen.“
In einem deiner Youtube-Videos hast du dich kürzlich zu dem Interview von Roger Schawinski mit der Sexworkerin Salomé Balthus geäußert. In diesem wurde sie von Schawinksi gefragt, ob sie in ihrer Kindheit sexuell belästigt worden sei. Eine sehr übergriffige Frage, die direkt in die Privatsphäre zielt. Warum trauen sich Menschen Sexarbeiter*innen Fragen zu stellen, die sie im Normalfall niemals einer fremden Person stellen würden?
„Viele Menschen vergessen, dass auch Sexworker*innen ein intimes Sexleben haben. Zwar monetisieren wir Sexualität und machen ein Gewerbe daraus, das bedeutet aber nicht, dass wir unsere persönliche Sexualität in die Öffentlichkeit tragen. Die Öffentlichkeit ist aber der Meinung, und das sieht man auch bei vielen anderen Themen, die die weibliche Sexualität betreffen, dass sie ein Recht darauf hat solche Themen zu besprechen. Hinzu kommt, dass viele Menschen denken, Sexworker*innen wüssten sowieso nicht, was sie tun.
Hinter dieser Missbrauchsfrage steht ja eigentlich die Frage, ob jemand, der im Kindheitsalter sexuell missbraucht wurde, überhaupt fähig ist, als erwachsener Mensch sein Sexualleben selbstbestimmt zu leben. Die Leute glauben, sie könnten das von außen bewerten. Deshalb werden solche unangemessenen Fragen auch nicht als Fragen, sondern als Aussagen in den Raum gestellt.
Außerdem gibt es in unserer Gesellschaft ein ganz großes Bedürfnis über Sexualität zu sprechen. Sex ist omnipräsent, gleichzeitig ist es ein riesiges Tabu. Wir reden nicht über authentischen Sex. Wir sprechen nur über eine Vorstellung von Sex. Für manche Menschen bricht bei Sexworker*innen vielleicht dieser Damm und sie trauen sich offen über Sexualität zu sprechen. Ungeschult, mit viel Scham und Berührungsängsten. Es können aber auch aus Unwissenheit Grenzen überschritten werden.“
Du sagst es: viele Menschen haben Schwierigkeiten über Sex zu sprechen, auch im privaten Bereich mit der*dem Partner*in. Hinzu kommt, dass für viele Sexualität immer etwas mit Liebe zu tun haben muss.
„Das ist ein Grund, warum in Partnerschaften nicht offen über Sex gesprochen wird. Wenn ich meinem Gegenüber sage, der Sex, den wir haben, gefällt mir nicht, dann wird das oftmals auf die Liebe, die ich für die andere Person empfinde, projiziert. Natürlich traue ich mich dann nicht klar zu formulieren, was ich möchte. Sowohl Männer als auch Frauen müssen erkennen, dass Sexualität und Liebe zwei unterschiedliche Dinge sind. Die kann man verknüpfen und daraus können wunderbare, neue Dinge entstehen, überhaupt keine Frage. Sie müssen aber nicht zwingend nebeneinander existieren. Die Liebe kann auch für sich alleine existieren. Wenn wir mal nachzählen würden, wie viele sexlose Ehen es in Deutschland gibt, dann würden das wahrscheinlich auch mehr Menschen einsehen.“
Feminist*innen rund um Alice Schwarzer und die Emma behaupten Sexarbeit sei mit dem Feminismus nicht vereinbar. Wie stehst du dazu?
„Es gibt ja nicht den Feminismus. Das ist ein Überbegriff. Es gibt feministische Strömungen, die alle Frauen ausschließen, die mit Sex Geld verdienen und es gibt Strömungen, die erkennen, dass das auch Frauen sind, die Bedürfnisse und Meinungen haben und sich verwirklichen und realisieren möchten. Ich persönlich glaube, dass Sexarbeit von Grund auf feministisch geprägt ist. Ich glaube auch daran, dass Frauen sich Männern gegenüber durchsetzen können. Allerdings, müssen sie das auch lernen. Ich selbst habe das erst in der Sexarbeit gelernt, nicht Zuhause, durch die Medien oder in der Schule. Mit den richtigen Vorbildern aus der Branche, habe ich mich selbstständig gemacht. Und ich habe festgestellt, dass ich meine Stimme nicht erheben muss, um mich durchzusetzen, sondern auch mit ruhiger Stimme Macht ausüben kann.“
2002 wurde in Deutschland das Prostituiertengesetz verabschiedet, das vor allem von der Organisation HYDRA gefordert worden war. Wie hat sich die Situation für Sexarbeiter*innen in Deutschland seitdem verändert?
„Mit dem Gesetz wurde die Sexarbeit für nicht sittenwidrig erklärt. Ab diesem Zeitpunkt konnte man sich als Sexworker*in fest anstellen lassen und der Lohn wurde einklagbar. In der Branche hat das für mehr Selbstbewusstsein gesorgt, weil wir als Beruf anerkannt worden sind. Der Staat hat dann es nur leider versäumt, die Sexarbeit weiter ins Gewerberecht zu integrieren. Dieser Schritt hat leider auch nicht in Folge des Prostituiertenschutzgesetz von 2017 stattgefunden.“
Warum hat das Prostituiertenschutzgesetz von 2017 nicht zur Verbesserung der Situation für Sexarbeiter*innen in Deutschland beigetragen?
„Im Prostituiertenschutzgesetz wurde eine Anmeldepflicht für Sexworker*innen festgelegt. Die geht über die Anmeldepflicht beim Einwohnermeldeamt oder Finanzamt hinaus. Es wurde ein eigenes Ausweisdokument für Prostituierte geschaffen, in dem der Klarname, Adresse und Foto vermerkt sind. Viele Sexworker*innen arbeiten ganz bewusst mit einem Künstlernamen, wie es Schauspieler*innen oder auch Musiker*innen tun, weil sie die Stigmatisierung fürchten, die der Beruf mit sich bringt. Wir verlieren immer noch unsere bürgerlichen Jobs, uns werden die Kinder weggenommen oder wir verlieren unsere Wohnung, wenn unser Beruf rauskommt. Was das angeht, haben wir keine Rechtssicherheit. Knapp anderthalb Jahre nach Erlass des Gesetzes haben sich deshalb 80 Prozent der Sexworker*innen nicht angemeldet. Die sind dadurch mit einem Schlag kriminalisiert worden. Das ist kein Fortschritt.
Außerdem hieß es, mit dem Gesetz könnten mehr Betriebe konzeptioniert werden. Das ist nicht völlig verkehrt, aber dafür müssen unglaublich viele, realitätsferne Auflagen erfüllt werden. Das führt jetzt dazu, dass gerade die kleinen Puffs, für die sich drei bis vier Frauen zusammenschließen, von den Behörden geschlossen werden. Stattdessen werden die Großbordelle, in denen 100 bis 150 Sexworker*innen pro Schicht arbeiten, bevorzugt, weil sie die bürokratischen Auflagen erfüllen können. In einem Großbordell mit 150 Kolleg*innen in Konkurrenz herrschen natürlich ganz andere Bedingungen. Du kannst dir nicht die eigenen Preise und Angebote aufrufen, sondern musst dich unterordnen.“
In Schweden gibt es seit 20 Jahren ein Prostitutionsverbot. Ein Modell, dass manche Menschen auch in Deutschland implementieren wollen. Offiziell heißt es, stünden damit die Freier unter Strafverfolgung und nicht die Sexworker*innen. Inwiefern beeinflusst das Gesetz das Leben von Sexworker*innen?
„Es wird immer Freierbestrafung genannt. Im Hintergrund passiert aber etwas ganz anderes. Im Grunde wird jede*r die*der zu einer Hure hält vor dem Strafgesetz automatisch zur Zuhälter*in gemacht, also sprich jemand der eine kriminelle Handlung begeht. ,Zur Hure halten’ ist im Übrigen auch der Ursprung des Wortes Zuhälter. Es betrifft die Steuerberater*innen, die uns dabei helfen unsere Steuern zu zahlen. Das betrifft die Webdesigner*innen, die unsere Homepage bei der Werbung unterstützen. Das sind die Vermieter*innen, die uns die Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Wer also in Schweden eine Wohnung an Sexworker*innen vermietet, steht mit einem halben Bein schon im Gefängnis. Das macht die Situation nicht besser. Wo sollen wir uns denn hinwenden, wenn uns niemand bei diesen Dingen helfen darf? Wie sollen wir eine Infrastruktur aufbauen, in der wir gute Arbeitsbedingungen haben? Jeder Beruf auf dieser Welt braucht so ein Netzwerk.
Bei diesem Gesetz geht es nicht darum, die Situation von Sexworker*innen zu verbessern, es geht darum, die Bedingungen zu verschlechtern, um diese Menschen zum Aufhören zu zwingen. Viele Sexarbeiter*innen haben aber weder die Möglichkeit eine andere Karriere zu starten, noch wollen sie das.“
Es gibt Frauen, die in den Beruf gezwungen werden. Wie könnten sie besser geschützt werden?
„Für Verbrechen, wie Ausbeutung, wie Zwang, wie Vergewaltigung oder Menschenhandel, gibt es bereits Straftatbestände. Um weiter gegen diese Straftaten anzugehen, wäre es hilfreich die Rolle von Fachberatungsstellen zu stärken. Das empfiehlt auch das Bundeskriminalamt in seinem jährlichen Bericht zum Thema Menschenhandel mit dem Schwerpunkt sexuelle Ausbeutung. Fachberatungsstellen werden in Deutschland immer weniger, dabei werden genau diese gebraucht. Wo sollen denn Menschen, die zum Beispiel, aus dem Ausland hierher kommen und sich nicht auskennen, hingehen? Es ist sehr schwierig von außen zu erkennen, ob ein Mensch ausgebeutet wird, auch für Polizist*innen. Das liegt nicht an der Gesetzeslage, sondern am Charakter dieser Verbrechen. Was wir dort brauchen ist kompetent, geschultes Personal, das Vertrauen aufbaut und diese Menschen unterstützt.
Es würde auch helfen, wenn wir offen darüber sprächen, wie dieses Gewerbe eigentlich wirklich aussieht. Dann könnten wir Leute viel besser darüber informieren, was Ausbeute ist. Das findet im Moment überhaupt nicht statt. Wenn uns wirklich geholfen werden soll, dann müssen Mittel zur Verfügung gestellt werden, mit denen wir uns selbst helfen können.“
Du tust dich mit dem Begriff von Freiwilligkeit bei der Sexarbeit schwer. Kannst du erklären warum?
„Ich höre immer wieder, dass es in der Sexarbeit 100 Prozent Freiwilligkeit geben muss. Nenn’ mir einen Beruf, der zu jeder Zeit 100 Prozent freiwillig ausgeübt wird. Ich würde Mal behaupten, dass 99 Prozent der Menschen arbeiten, weil sie Geld verdienen oder nicht auf der Straße leben möchten. Wenn wir das als Zwang deklarieren, wie es von der Emma und Alice Schwarzer getan wird, dann sind wir alle Sklav*innen, nämlich Lohnsklav*innen. Damit habe ich ein großes Problem.
Auch beim Anspruch der Selbstverwirklichung im Beruf wird mit zweierlei Maß gemessen. Ich glaube kaum, dass ich mich bei Penny an der Kasse besonders selbst verwirklichen kann. Auch beim Bäcker muss ich immer mal wieder nett grinsen, obwohl die*der Kund*in mich gerade schlecht behandelt. An die Sexarbeit werden Ansprüche gestellt, die kein anderer Beruf dieser Welt bestehen muss. Deshalb möchte ich, dass der Beruf entweder so wie alle anderen behandelt wird, oder alle anderen Berufe wie die Sexarbeit.“
Warum fällt es den Menschen so schwer das zu akzeptieren?
„Sexarbeit wird so kontrovers diskutiert, weil es um weibliche Sexualität geht. Es interessiert niemanden, wenn Männer andere Männer wirtschaftlich ausbeuten, aber sobald die Sexualität einer Frau mitspielt, muss unbedingt etwas getan werden. Es geht immer um Frauen und das, was sie mit ihrem Körper tun. Wenn wir diese Tatsache in der Gesellschaft annehmen, dann können wir auch anders über Themen, wie Mutterschaft und Abtreibungen, sprechen.“
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