Debatten über Sexarbeit tappen oft in eine Falle: Sie sind frauenfeindlich und entmündigend. Das zeigt sich auch an der Reform des Prostitutionsschutzsgesetz.
Iiiih, ein Escort!
In den letzten Tagen regte sich die Digitalbranche über das so genannte „Escortgate“ auf: die Beobachtung, dass an der Abendveranstaltung einer großen Internetkonferenz in Berlin auch Frauen teilnahmen, die als Escort sexuelle Dienstleistungen anbieten. Der Tenor, der über Branchenmedien verbreitet wurde, lautete „Das geht gar nicht“, da dies frauenfeindlich, sexistisch und respektlos sei. Eine Konferenzteilnehmerin, die auf der Party war, schilderte gegenüber EDITION F, warum sie sich unwohl fühlte: „An der Konferenz haben ohnehin kaum Frauen teilgenommen. Auf der Party waren wir nur eine Handvoll, hinzu kamen sicherlich über 100 Escorts und Models. Ich fühlte mich, als wäre ich dort als Fachfrau nicht erwünscht, sondern als wollten die Männer unter sich sein – mit Unterhaltung.“
In der Berichterstattung zum Abend geriet dann aber einiges durcheinander: Zwar wurde das Frauenbild der Netzbranche kritisch hinterfragt und der existierende Sexismus benannt, wie jedoch die Sexarbeiterinnen beschrieben wurden, reproduzierte Frauenfeindlichkeit und Sexismus. Erst auf Kritik hin, wurden Beschreibungen der Escorts in einem Artikel als Zitate von Partygästen gekennzeichnet, darunter zum Beispiel der Spruch „Nutten halt“. Aus der Feder der Redaktion stammt dennoch folgende Beschreibung: „Zumal sich einige der Frauen offensiv Männern an den Arm schmissen, Schmeicheleien säuselten und ihre Kärtchen verteilten.“ Neutral klingt anders.
Aber bitte heimlich
Die Doppelmoral, in der sich eben auch Menschen verstricken, die sich als offen und modern verstehen, ist: Sexarbeit ist okay, so lange die Frau nicht meine Nachbarin ist.
Let’s face it: Dass es gerade in gebildeteren Kreisen Konsens ist, dass Prostitution okay ist, aber man selbst damit nichts zu tun hat oder haben will, ist eine Form der Frauenfeindlichkeit und des Klassismus, der mit einer vermeintlichen Toleranz verschleiert wird. Aber was ist diese Toleranz wert, wenn sie den Effekt hat, Sexarbeiter_innen auszugrenzen und zu diskriminieren? Am besten sollte Prostitution öffentlich nicht sichtbar sein, während die Nachfrage danach jedoch groß ist. Dabei ist beides okay: Sowohl sie selbstbestimmt anzubieten, als auch sie zu fairen Bedingungen in Anspruch nehmen zu wollen. Käuflicher Sex ist kein Fetisch, sondern ein Bedürfnis, das sehr breit in allen gesellschaftlichen Gruppen und Einkommensklassen nachgefragt wird, mehrheitlich von Männern.
Wie groß die Nachfrage tatsächlich ist, lässt sich nur schätzen, da es wenig Forschung in diesem Bereich gibt. Laut einer repräsentativen Umfrage des Playboys von 2015 hat jeder vierte Mann schon einmal für Sex bezahlt. Die Anzahl der Menschen, die mit Sex ihr Geld verdienen, hat bislang niemand zuverlässig erheben können, die Zahl 400.000, die oft in Medien zu lesen ist, ist reine Spekulation. In einer Hochrechnung der Welt von 2013 bewegen sich die Zahlen zwischen 60.000 und 200.000.
Für Sex zu bezahlen ist also eher ein Massenphänomen, zu dem die Haltung „Sexarbeit, aber bitte heimlich“ nicht passt. Sie stigmatisiert Prostituierte und Freier. Der Wunsch „Bietet es bitte so an, dass ich es nicht sehen muss“ führt dazu, dass insbesondere diejenigen es schwerer haben, die sich diesen Job als Einkommensquelle ausgesucht haben oder brauchen.
Es ist ein Job
Und warum soll es irgendjemanden etwas angehen, warum eine Person als Escort arbeitet? Musst du dich ständig erklären, warum du eine Ausbildung im Einzelhandel gemacht hast und nicht Tierärztin geworden bist? Warum du lieber prekär als Autor lebst, anstatt Wirtschaftsinformatik studiert zu haben? Und hey: Machst du deinen Job im Café eigentlich freiwillig?
Zum Thema Sexarbeit gehört freilich auch: Hartz IV reicht manchmal nicht zum Leben oder andere Menschen bekommen aus unterschiedlichen Gründen gar keine Sozialleistungen, Menschen haben Schulden oder brauchen Geld für notwendige Dinge, Menschen möchten ihre Familie versorgen können, ohne dass ein Kind hungrig bleibt. Manchmal bleibt nur die Sexarbeit als die Option, die besser ist als andere. Und die weit verbreitete Annahme, dass jede Sexarbeiterin einen anderen Job machen würde, wenn sie ihn bekäme, ist schlichtweg falsch: Es gibt genug Frauen, die sich eben diese Form der Arbeit ausgesucht haben, weil sie ihren vorigen Job als Ausbeutung empfunden haben oder weil er sie krank gemacht hat. Ausbeutung gibt es auch in Bürojobs. Krank von ihrer Arbeit werden auch Menschen in Jobs, die ein hohes Prestige haben. Sexarbeit ist nicht per se der schlechtmöglichste Job. Vielleicht ist er sogar der Job, der den Eintritt zu einer anderen Karriere oder anderem Leben ermöglicht: Weil er Ausbildung und Studium finanziert. Weil er der Person erlaubt, auf eigenen Beinen zu stehen, vielleicht sogar, sich als einer gewalttätigen Beziehung zu lösen. Sexarbeit ist in sehr vielen Fällen nicht das Problem, sondern die Lösung.
Das Prostitutionsschutzgesetz
Leider zeichnet sich aktuell ab, dass die Reform des Prostitutionsschutzgesetzes, das aktuell im Bundestag debattiert wird, die Arbeitsbedingungen für Prostituierte nicht verbessern wird. Die „Verbesserungsideen“ basieren in Teilen auf Vorurteilen gegenüber Sexarbeiter_innen und wollen sie nicht als mündige Menschen behandeln. Die Berliner Beratungsstelle Hydra e.V. kritisierte in ihrer Stellungnahme dazu: „Mitbestimmung durch die Betroffenen und den Rückgriff auf deren Expertise in Bezug auf ihre eigene Lebensrealität vermissen wir im vorliegenden Gesetzesentwurf.“
Das Klischee der unmündigen Sexarbeiterin kommentiert Ulrike Lembke, Professorin für Öffentliches Recht, in der Süddeutschen Zeitung: „Welche Vorstellung von Prostituierten dem Gesetzentwurf der großen Koalition zugrunde liegt, verrät eine bemerkenswerte Formulierung (…) Demnach müssen die Kommunen die Anmeldung einer Prostituierten ablehnen, wenn Anhaltspunkte bestehen, dass diese ‚nicht über die zum eigenen Schutz erforderliche Einsicht’ verfügt. (…) In keinem anderen Gewerbe maßt sich der Staat eine regelhafte Prüfung der Frage an, ob diese Frauen reif genug für den von ihnen gewählten Job sind.“
Die Dresdner Sozialarbeiterin Sybille Homt glaubt zudem nicht, dass Zwangsberatungen dabei helfen können, Opfer von Menschenhandel zu identifizieren, so wie es Absicht des Gesetzes sein soll: „Unsere Erfahrung zeigt allerdings, dass vor allem Vertrauen und Anonymität notwendig sind, damit sich Sexarbeiter*innen zu verschiedenen Themen öffnen können.“ Bemerkenswert ist zum Thema Zwangsberatungen außerdem, dass es bislang in Deutschland kein flächendeckendes Netz aus anonymen und kostenlosen Beratungsstellen zum Thema Sexarbeit oder Menschenhandel gibt, es also vielmehr unerfüllten Bedarf auf Seiten der Sexarbeiterinnen gibt, als dass verpflichtende Beratungen mehr Menschen als jetzt erreichen könnten.
Wer bietet Alternativen?
Zudem birgt eine weitere Neuerung des Gesetzes eine Gefahr für Menschen, die mit Sexarbeit ihr Geld verdienen, wie Sonja Dolinsek beim Missy Magazine erklärt: Der so genannte „Prostituiertenausweis“ liefere „Sexarbeiter*innen der lebenslangen Gefahr einer Erpressung aus: Wer ein Foto davon macht, kann mit einem Outing bei Familie, aktuellen oder zukünftigen Arbeitgeber*innen und der allgemeinen Öffentlichkeit drohen. Weil Sexarbeit immer noch so stigmatisiert ist, können Sexarbeiter*innen damit de facto am Berufswechsel gehindert oder zur Sexarbeit gezwungen werden“.
Damit gefährdet das Gesetz, dass Sexarbeit als temporäre Verdienstmöglichkeit genutzt werden kann, da Datenschutz für die Ausweise schlicht nicht zu garantieren ist. Auch für andere berufliche Perspektiven und einen gewünschten Umstieg sehen Expertinnen es vor allem als notwendig an, Beratungsstellen auszubauen und besser zu finanzieren. Denn Sexarbeit zu erschweren ist keine Antwort darauf, wie sich die Frauen stattdessen ihren Lebensunterhalt verdienen sollen.
Damit es möglich ist, dass Sexarbeiter_innen ihrer Arbeit selbstbestimmt und sicher nachgehen können, ist es nicht nur wichtig über Gesetze zur Entstigmatisierung beizutragen und den Beruf als vollwertige Arbeit anzuerkennen. Denn die Stereotype von Prostituierten, die in privaten Gesprächen und medialen Diskursen immer wieder bedient werden, ermöglichen es, dass die rechtlichen und gesellschaftlichen Bedingungen sich nicht verbessern.
Keine Frauenfeindlichkeit – für alle
Wenn ihr also das nächste mal über Sexarbeiterinnen schreibt oder redet – und das am besten mit ihnen direkt – verzichtet auf die herablassende Art und Weise, die man so oft hört und liest. Wie im Rahmen des #escortgate über Sexarbeiterinnen geschrieben wurde, ist frauenfeindlich. (Hier ein Lesetipp.) Überprüft euch bitte dahingehend. Denn so tragt ihr zum Stigma bei, das Sexarbeit bis heute hat – und genau das trägt großen Anteil daran, dass Sexarbeit gefährlich und prekär sein kann. Dabei ist das einzige, was euch von Sexarbeiter_innen unterscheidet, etwas ganz Simples: eure Berufswahl. Und die sagt bekanntlich nichts darüber aus, was ihr für ein Mensch seid. Eure Wortwahl macht das hingegen sehr genau klar.
Hier noch ein Ted-Talk-Tipp, den wir aus der Community bekommen haben: „The law that sex workers really want“.
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