Statt ihre Energie in eine Beziehung zu stecken, entscheiden sich laut einer Studie viele junge Frauen dafür, sie lieber für den Job oder das Studium aufzuwenden. In dieser Woche geht Silvia in ihrer Thirtysomething-Kolumne der Frage nach, ob das eine gute Nachricht ist – oder der Selbstoptimierungswahn nicht zu stoppen ist.
Ich will keinen Beziehung, ich will lieber Selbstverwirklichung im Job!
Ach, romantische Liebe ist ja sowas Schönes. Aber ehrlicherweise auch etwas, das eben viel Zeit kostet. Beziehungen sind schließlich viel Arbeit. Und das ist jetzt weder schlecht noch gut, es ist einfach so. Aber hey, ist das nicht der Preis, den man zahlen muss? Möglich, aber offensichtlich sind viele junge Frauen nicht mehr bereit, diese Rechnung ohne Weiteres zu begleichen, wie die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage von Tinder zeigen, für die 1.000 Singles befragt wurden, warum sie denn nun Single sind.
Ein Drittel (34 Prozent) der befragten Frauen nannte die Karriere als Grund oder auch das Studium, in das sie lieber ihre Zeit und ihre Kraft investieren möchten als in eine Beziehung. Bei den Männern waren es etwas weniger, die ihre Arbeit vor eine Beziehung stellen wollen (28 Prozent). Und gar 68 Prozent der Frauen gaben an, sich schon bewusst gegen eine Beziehung entscheiden zu haben, weil sie sich lieber auf sich selbst konzentrieren wollten. Soweit, so wenig überraschend, oder doch?
Eigentlich nur Single – und schon „Power-Frau“
Während die einen nun wieder wegen der vermeintlichen Gefühlskälte und der „Generation Beziehungsunfähig“ aufjaulen werden, gibt sich Tinder in seiner Pressemitteilung zu den Ergebnissen begeistert! Da heißt es: „Wir haben es ja schon lange gewusst: deutsche Frauen sind Power-Frauen!“ Ja okay … Natürlich musste nun wieder „Power-Frau“ hinter dem Ofen vorgeholt werden, hinter dem sie eigentlich so lange verstauben könnte, bis wir dazu übergehen, bei Männern auch von echten Power-Männern zu sprechen, wenn sie irgendwas (vermeintlich) Starkes machen oder leisten.
Die Power muss aber nur bei den „tollen“ Frauen, was auch immer das heißen soll, extra genannt werden. Versteht ja sonst keiner, dass sie so richtig toll sind. Aber ich schweife ab. Man ist also beseelt von den Ergebnissen. Warum auch nicht, es ist eine ziemlich legitime Entscheidung, seine Kraft lieber in die Arbeit zu stecken als in Zwischenmenschliches, und sich auf sich selbst zu konzentrieren, statt romanischen Nestbau zu betreiben, ja ganz genauso. Aber braucht es dafür eine Pressemitteilung? Ein High-Five?
Sich selbst in den Mittelpunkt seines Lebens zu stellen ist für Frauen nicht selbstverständlich
Vielleicht schon, denn die Selbstverwirklichung im Job und nicht im Privaten zu suchen bzw. die Selbstverwirklichung auf beide Bereiche auszudehnen – denn Single zu sein heißt ja noch lange nicht, dass man sich privat nicht ziemlich herrlich selbstverwirklicht hätte – ist für eine weibliche Biographie immer noch weniger selbstverständlich als für eine männliche. Das Leben ohne fest*n Partner*in also ganz natürlich als möglich zu betrachten, ist für Frauen eher neu. Und auch die Entscheidung, sich selbst ohne Abstriche in den Mittelpunkt des eigenen Lebens zu stellen und sich nicht in erster Linie liebevoll um andere sorgen und sie auch (emotional) versorgen zu wollen, ist auch nichts, was Frauen ohne weiteres und wertfrei zugestanden wird. Also auch ziemlich gut, wenn man sich darum nicht mehr schert. Mit „Power“ hat all das aber wenig zu tun, sondern einfach damit, ein Leben nach ganz persönlichen und individuellen Vorstellungen zu führen. Und nicht anhand von Geschlechter-Stereotypen oder Lebensläufen nach Blaupause.
Aber Tinder kann das kuppeln dann doch nicht ganz lassen, auch nicht in der Meldung zu den neuen „Power-Frauen“. Klar, ist ja auch das Geschäftsmodell. Denn zu guter Letzt kommt noch eine „Dating-Expertin“ zu Wort, die den „Single-Ladies“, die offensichtlich Karrierefrauen sind, dann zu erklären, was man von seinem Arbeitsleben fürs Dating lernen kann. Etwa, wie im Job auch seine Stärken herauszustellen, dass man seine Zeit weder mit langweiligen Meetings, noch mit langweiligen Dates verschwenden soll („es ist okay, sich nach einem Getränk höflich zu verabschieden“) oder dass Frau doch echt den Mut zusammennehmen soll, um bei dem Wunsch, ein zweites Date zu haben, das doch einfach auch zu sagen. Tja, so richtig heiße News sind das ja nicht – und irgendwie verpufft da die hochgejazzte Power schon wieder so schnell wie sie angedichtet wurde. So richtig scheint man dem neuen Selbstbewusstsein der Frauen doch nicht zu trauen. Aber sei’s drum, wenn es hilft: Ist doch prima.
Eigentlich also nichts Neues, und doch irgendwie ein schöner Gedanke, dass sich viele jüngere Frauen nicht mehr grüblerisch mit Labeln wie „beziehungsunfähig“ auseinandersetzen, sondern Single-Sein auch schlicht als das begreifen, was es schon immer sein konnte: Ein ganz großes Ja zu sich selbst. Nämlich, in dem sie einfach sagen, was Phase ist, wo ihre Prioritäten liegen und dann auch danach handeln. Wie so Power-Menschen eben. Aber man könnte natürlich auch grundsätzlich fragen, warum wir in einer Welt leben, in der einige das Gefühl haben, sich zwischen Beruf und Beziehung entscheiden zu müssen – und ob nicht viel mehr Kraft in der Idee steckt, sich ein Leben gestalten zu können, in dem man sich nicht entscheiden muss.
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