Junggesellinnenabschiede haben die meisten schon mal mitgemacht. Aber auch schon mal einen Afghanischen? Ich hatte das große Vergnügen und bin um einige Erkenntnisse reicher wieder herausgekommen.
Unsere afghanisch-deutsche Familie wird größer
„Ramin heiratet!“, kreischt mir Arthur ins Ohr. „Wen denn bitte?“, frage ich völlig verdutzt. Ramin ist 26 Jahre alt und der älteste Sohn der afghanischen Familie, die wir unterstützen. Er redet seit Tag eins davon, heiraten zu wollen. Möglichst schnell. Er findet Familie einfach das Großartigste. Arthur und ich konnten ihn nur mit Mühe davon abhalten, auf der Straße wildfremde Frauen mit den Worten anzusprechen: „Willst du mich heiraten?“
„Das ist keine so gute Idee in Deutschland“, versuchten wir ihm zu erklären und er nickte brav und freundete sich stattdessen auf Facebook mit allem und jeder an, die nicht bei Drei auf den Bäumen war.
„Also, wen heiratet er? Was habe ich denn verpasst?“, frage ich Arthur wieder. Das letzte Mal zeigte Ramin mir das Facebook-Profil eine sehr, sehr blonden Madame aus Schottland. „Die Schottin etwa?“
„Nee, der heiratet diese Afghanin, die er mir mal vor ein paar Wochen vorgestellt hat. Coole Tante! Die hat es faustdick hinter den Ohren, spricht perfekt Deutsch, hat Englisch studiert und trägt kein Kopftuch. Da wird er sich ordentlich strecken müssen! Großartig! Und ach ja, alle Männer der Familie gehen am Freitag zu der Familie der Braut und alle Frauen der Familie gehen am Samstag zu der Braut. Das heißt, ich und Marc sind Freitag dran und du am Samstag.“
Ja, so ist das. Wir sind schon längst eingemeindet. Und ja, die Entscheidung, wen man wann heiratet ist auch anders als bei uns.
Was trägt man denn da?
Samstag stehe ich also vor meinem Kleiderschrank und habe keine Ahnung, was ich anziehen soll. Emma, unsere Partnerin bei „Be an Angel“, unserer Organisation für Flüchtlingshilfe, und ebenfalls neu-afghanisches Familienmitglied, steht zeitgleich vor ihrem Kleiderschrank und hat dasselbe Problem. Wir konferieren per Handy. „Ich glaube, Dezenz ist Schwäche am heutigen Tag!“, sage ich, „Aber ich bin auch keine Afghanin, darum muss hier irgendwie eine Mischung her.“ Ich entscheide mich für ein Cocktailkleid mit leichtem Glitzer und High Heels.
Treffpunkt ist 13 Uhr im Haus des Bräutigams. Die Männer hocken in Joggingbutzen auf der Couch, man führt mich ins Nachbarzimmer. Die Tür wird nur einen Spalt aufgemacht, ich werde reingestoßen und die Tür schließt sich. Eine Wolke aus Haarspray und Nagellackduft umgibt mich. Hier drinnen herrscht absolutes Männerverbot. Fünf gackernde Mädels einschließlich der Mutter und Omas des Bräutigams machen sich schick für die Verlobungsfeier.
„Alter Schwede“, denke ich, während ich auf Yaldas goldenes Paillettenkleid starre. Ihr Schmuck glitzert so sehr, dass ich die Augen zusammen kneifen muss, ich komme mir in meinen dunklen High Heels und dezentem Glitzer-Cocktailkleid vor wie Aschenputtel.
„Gib alles, Emma!“, simse ich Emma schnell, „und wenn ich sage alles, dann meine ich alles!“ Sie textet zurück: „Komme mir jetzt schon vor wie ein Weihnachtsbaum.“„Dann liegst du wahrscheinlich am unteren Segment der Outfit-Hitliste“, ist meine Antwort.
Nachdem ich eine Stunde lang mit offener Kinnlade den Mädels zugeschaut habe, wie sie einen perfekten Lidstrich ziehen und sie sich in Schale geworfen haben (Ich sage nur Mini-Mini–Mini-Röcke, Pailletten, Glitzerschmuck an allen Ecken, alle Farben der Make-up- Palette und gaaaaanz viel Haut!), sind wir zum Abflug bereit.
„Da soll mal einer sagen, dass die Afghaninnen es nicht so krachen lassen können wie wir. Außer Prosecco und vielleicht die Auswahl der Kleidung, könnte das auch ein deutscher Junggesellinnenabschied sein“, denke ich und will schon gehen, aber die Mädels deuten mir an zu warten, denn so kann man ja nicht vor die Tür, beziehungsweise. an den Jogginghosen-Männern an der Couch vorbei. Jetzt werden die Leggings unter die Miniröcke gezogen, die dicken Socken über die nackten Knöchel, die Kopftücher über die dicken schwarzen, frisierten Haare gelegt und die Mäntel verdecken den Rest. Ach so! So geht das also.
Emma trifft uns vor der Tür, sie hat sich für ein langes türkisfarbenes Kleid entschieden mit viel Schmuck: „Na so, aufgebretzelt sind die aber auch nicht!“, flüstert sie mir zu und ich raune nur zurück: „Du hast keine Ahnung, was unter den Mänteln los ist.“
Tanzen, tanzen, tanzen
45 Minuten später sind wir im tiefsten Osten Berlins bei der Familie der Braut angekommen. Ich bin halb im Nagellackkoma, weil sich die Cousinen des Bräutigams auf der Fahrt laut schnatternd noch schnell allesamt die Nägel lackiert haben. Was für coole Tanten.
Es sind natürlich nur Frauen da, und mir und Emma stockt der Atem, als wir die Outfits sehen. Die jüngeren Schwestern der Braut haben ihre sowieso schon unfassbar großen schwarzen Kulleraugen mit schwarzem Kajal und Lidschatten umrandet, dazu sind die Kleider sowas von kurz, eng und glitzernd und die High Heels sind Minimum 15 cm hoch. Verflucht, sind die sexy. Während ich auf die Absätze schaue, erinnere ich mich an die
Ladys in Abu Dabhi, die vor unserem Hotel komplett verschleiert in ihrem Ferrari vorfuhren und nur beim Aussteigen blitzten die 17 cm hohen Absätze ihrer mit Strass besetzen High Heels unter ihren schwarzen Gewändern hervor.
Wir sollen uns auf die einzigen Stühle setzen, aber Emma und ich weigern uns: „Nee, wenn ihr alle auf dem Boden sitzt, dann machen wir das auch!“
Und dann sitzen wir. Fünf Stunden lang. Alle sitzen auf dem Boden. Die Mutter der Braut, die Schwestern, die Frauen aus der Familie des Bräutigams, Cousinen, Freundinnen und auch Jutta, eine entzückende Ossi-Nachbarin mit kurzen rotgefärbten Haaren. Nur die Braut ist nirgends zu sehen.
Die Schwestern der Braut bringen Tee, Gebäck, dann Obst und zwischendrin wird getanzt. Auf dem Fernseher laufen die Musikvideos iranisch-afghanischer Popstars, alle irrsinnig coole Jungs mit Ray-Bans, die über die Liebe singen und sich an ihre Background-Sängerinnen kuscheln. Immer zwei Frauen tanzen in der Mitte und, Leute, was tanzen wir deutschen hüftsteif und brav gegen das, was hier abgeht.
Alle Frauen, die noch auf dem Boden sitzen, klatschen im Takt. Außer Emma, die klatscht konstant neben dem Takt. „Emma, was machst du?“, frage ich sie und sie antwortet: „Ich höre keinen Takt! Hab ich noch nie.“ Das gibt es doch gar nicht. Ich habe in meinem Leben noch nie eine so gut gelaunte, euphorisch klatschende, dabei aber völlig unmusikalische Frau gesehen.
Digitales Mitfeiern
Es wird ein Tablet rumgereicht. Darauf zu sehen: Die Schwestern des Bräutigams, die zurzeit im Iran sind und ebenfalls mitfeiern. Halt via Skype. Die Outfits identisch zu ihren Vertreterinnen in Europa. Wir winken nach Iran, man winkt zurück. Das sind moderne afghanische Hochzeitsfeiern.
Wir werden höflich gefragt, ob auch wir tanzen möchten. Wir kriegen auch angeboten, uns unsere eigene Musik auszusuchen.
„Och nö, wir tanzen zu eurer Musik“, sagen wir unisono und gehen in die Mitte des Raumes. Man hat ja so selten die Gelegenheit, sich vor 20 Afghaninnen zum Horst zu machen. Das wollen wir uns nicht entgehen lassen.
Ich habe den Eindruck, dass bei uns besonders frenetisch geklatscht wird, was Emma allerdings auch nicht davon abhält, völlig gegen den Takt zu tanzen. Ich versuche, die Handverdrehungen nachzuahmen, die die anderen Mädels beim Tanzen machen, und scheitere kläglich. Nicht nur hüftsteif, nein auch handgelenksteif durch zu viel Laptopping. Aber man lobt uns überschwänglich, wie Erstklässler, die das erste Mal einen Satz schreiben in dem kein einziges Wort richtig buchstabiert ist, man sie aber nicht entmutigen will.
„Aber ein Lied suchen wir uns noch aus!“, sagt Emma und der Ehrgeiz hat sie gepackt. Nach langem hin und her wird es „Put a ring on it“ von Destiny’s Child. Wir fordern alle zum Tanzen auf, während sich Beyoncé im Musikvideo mit fast nix am Leib auf dem Flachbildschirm räkelt. Bin
ich froh, dass Ramins 85-jährige Oma erst in zwei Wochen am Grauen Star
operiert wird. Sonst würde die wahrscheinlich jetzt der Schlag treffen.
Wobei die Mädels aus den iranischen Videos auch nicht viel mehr anhaben,
beruhige ich mich selber.
Emma ist jetzt im Playlist-Fieber und nicht mehr zu bremsen. „Ich hätte da noch ein Lied!“, ruft sie und die Afghanen sind ein ungemein höfliches Volk, lächeln nur milde und gewähren Emma ihren Playlist-Rausch. Robbie Williams ist die nächste Wahl. Und Emma ist jetzt voll auf den Geschmack gekommen. Wir fordern Ramins Großmutter auf, mit uns zu tanzen.
Alle Generationen sind dabei
Und was macht diese Frau? Sie steht auf und tanzt. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder heulen soll vor Rührung. Da tanzt diese 85–jährige Frau aus Afghanistan, die mir bis zum Bauchnabel geht, die mit 13 Jahren verheiratet wurde, die von ihren Enkel über die Berge Afghanistans nach Europa getragen wurde, die mir während eines Berufsgesprächs mit Ramin mal im Nebensatz verklickerte, dass sie jetzt übrigens Medizin studieren möchte. Und diese Grande Dame tanzt zu Robbie Williams. Ganz ehrlich? Ich wünsche mir sehr, dass ich mit 85 noch so einen Mut und Forschergeist habe.
„Wo ist die Braut?“, fragen wir uns nach vier Stunden Tee trinken, tanzen und Essen. „Soll ich mal jemanden fragen oder mach ich mich dann total zum Vollidioten?“, fragt mich Emma und ich sage: „Mach dich bitte zum Vollidioten und frag. Es ist 17 Uhr, meine Mutter hat heute Geburtstag und ich habe versprochen, um 18 Uhr beim Essen da zu sein.“
„Die Braut ist im Nebenzimmer und macht sich fertig“, wird uns erklärt, „gleich kommt der Bräutigam und dann geht das Kennlernritual los.“ Oh Gott, das hört sich nach weiteren Stunden an. In Gedanken sehe ich schon, wie meine Mutter mich wegen Nichterscheinen verstößt. Dafür habe ich dann aber ja eine neue, afghanische Familie.
Plötzlich wird es hektisch. Alle Frauen ziehen sich ihre Kopftücher, Leggings und Parka an. „Gehen die rauchen?“, fragt Emma. Nein, sie gehen nicht auf den Balkon rauchen, der Bräutigam ist eingetroffen. Ramin ist so nervös, dass ich ihn gerne in ein Sauerstoffzelt stecken möchte. Kurz darauf erscheint auch die Braut: In einem goldenen Paillettenkleid, kurz, ärmellos und High Heels. Und weil sie ja ihren Mann trifft, darf der sie auch in diesem Outfit sehen. Es werden Bonbons und Rosenblätter geworfen. Das Paar setzt sich neben Mutter und Schwiegermutter. Und dann werden erst mal gefühlte drei Stunden in den unterschiedlichsten Konstellationen Fotos gemacht.
Heiraten, ohne sich zu kennen?
Danach kommen die Geschenke des Bräutigams für die Braut auf großen, silbernen Platten herein: Eine Platte gefüllt mit Süßigkeiten, eine mit Tüchern und dem Koran, und die dritte mit einem wunderschön drapierten Kleid mit passender Tasche, Schuhen und Makeup. Jetzt tanzen Braut und Bräutigam und ich bin ganz gerührt, ihnen dabei zuzusehen. Wir sind ja so schnell mit Bewertungen. Und ich gehöre mit Sicherheit zu denen, die da besonders schnell sind. Heiraten, ohne dass man sich kennt? Haben die einen Knall? Wie soll denn das gehen?
Umso erstaunter bin ich zusehen, wie die zwei miteinander tanzen und sich dabei die ganze Zeit in die Augen schauen. Tief. Mit soviel Zuneigung und Respekt und Liebe. Und vor allem unfassbar erotisch. Ich glaube nicht, dass ich mich getraut hätte, so eine Art von Balztanz vor meinen Eltern aufzuführen. Auch nicht vor meinen Freunden. Und wenn ja, dann hätte man uns wahrscheinlich zugerufen: „Wollt ihr vielleicht mal aufs Zimmer gehen? Alleine??“
Aber wenn die Schotten fallen, dann fallen sie. Und das mit einer unglaublichen Romantik. Mit einer Poesie, die man hier schnell als Kitsch abschreiben würde.
Ich weiß, dass es bestimmt viele verabredete Ehen gibt, die unglücklich sind. Aber wie viele Ehen werden auf unsere, europäische Art geschlossen und sind trotzdem unglücklich? Also mit welchem Recht behaupten wir, dass unser Konzept das Alleinige und das Richtige ist?
„Bist du verliebt?“, fragte Arthur Ramin am Männerabend und Ramin antworte mit sanfter Entgeisterung über die Frage und voller Stolz: „Sie ist eine sehr gute Frau!“
„Es ist eine andere Art von Liebe“, erklärte mir Nuri einmal auf die Frage, wie zum Teufel, dass den gehe mit diesen verabredeten Ehen.
„Ihr bleibt nicht zum Essen?“
„Wir kommen hier nie wieder raus!“, flüstere ich Emma zu, aber ich muss wirklich los. Wir verpassen viermal den Zeitpunkt, uns einfach raus zu schleichen, bevor wir endlich einen geeigneten Moment erwischen.
„Wie, ihr müsst schon gehen?“, ist die völlig entgeisterte Frage, als wir uns verabschieden wollen. „Meine Mutter hat jetzt ihr Geburtstagessen, es tut mir so leid!“, versuche ich zu erklären und erinnere mich aber in dieser Sekunde, dass Geburtstage in diesen Breitengraden soviel zählen, wie bei uns die Abholtage der gelben Mülltonne.
„Ich bin auch eingeladen“, quietscht Emma von hinten, die dringend den Babysitter auslösenmuss, aber auch ahnt, dass dieses Argument noch weniger akzeptiert wird.
„Sie wartet schon den ganzen Tag auf mich“, versuche ich es weiter zu erklären. „Aber wir essen doch jetzt!“, ist die unverändert fassungslose Antwort. „Ja, aber meine Mutter…“, versuche ich es wieder. Es gibt eine laute und hektische Besprechung auf Farsi, gefolgt von der pragmatischen Lösung: „Na, dann packen wir euch Essen ein!“ Ich liebe diesen Pragmatismus. Wir kriegen Plastiktüten voll mit köstlichemEssen und steigen durch den Hausflur über die Männer, die auf Zeitungspapier sitzen und die Teller für die Frauen zubereiten.
Ich fahre über zehn rote Ampeln und immer 30 Stundenkilometer zu schnell, um bei meiner anderen Familie wenigstens einigermaßen pünktlich zu sein.
Mein Fazit? Ich habe selten so eine romantische und gleichzeitig ausgiebige Verlobungsfeier erlebt. Ich muss mal wieder Gedichte lesen über die Liebe. Und über die Liebe nachdenken. Ich muss mal wieder alle Klischees in meinen Kopf überarbeiten. (Das kann dauern – bei der Menge!) Ich brauche mehr Glitzerkleider und ich muss meinen Lidstrich üben. Und ich kann es kaum erwarten bis zur Hochzeit!
Der Text von Lucie Marshall ist zuerst auf ihrem Blog erschienen. Wir freuen uns sehr, dass sie ihn auch hier veröffentlicht hat.
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