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Viele können sich ihren Kinderwunsch nicht erfüllen – und die Debatte darüber ist scheinheilig und überheblich

Paare mit unerfülltem Kinderwunsch müssen sich regelmäßig anhören, zu weit zu gehen. Während ethische Diskussionen wichtig sind, gibt es bei den Dingen, die in Deutschland erlaubt sind, ohnehin schon viel zu verbessern.

Ein Geschäft mit der Not?

In Berlin hat am Wochenende das erste Mal eine Kinderwunsch-Messe stattgefunden, die schon im Vorhinein Kritik auslöste, da dort Aussteller aus dem Ausland über ihre reproduktionsmedizinischen Angebote informierten, die in Deutschland teilweise illegal sind, wie zum Beispiel die Eizellenspende oder die Leihmutterschaft. Aus Sorge um ihr Image sagten einige deutsche Kliniken und der Bundesverband der reproduktionsmedizinischen Zentren e.V. ihre Teilnahme an der Messe sogar ab. In der FAZ schreibt Julia Schaaf im Nachbericht zur Veranstaltung: „Das Ergebnis ist eine Veranstaltung, die tut, als wäre der ausländische Standard die Norm. Als wäre alles, was machbar und möglich ist, auch wünschenswert.“

In der Medienkritik, die man an den Kinderwunschtagen nun liest, lautet das Urteil immer wieder: ein Geschäft mit der Not. Paare oder Alleinstehende, die sich sehnlichst ein Kind wünschten und auf diesem Weg schon viel probiert hätten, würden auf der Messe über teure Angebote informiert, die ihnen kein Kind garantieren würden oder rechtliche Probleme mit sich bringen könnten. Sowohl Anbieter als auch die Interessierten würden ethische Fragestellungen ausblenden, um entweder Profit zu machen oder das lang gewünschte Kind endlich zu bekommen. Das Klischee: Verzweifelte Paare machen alles, egal wie teuer oder ethisch strittig es sei, um an ein Baby zu kommen. Der überzogene Wunsch nach leiblichen Kindern mache vor Methoden, die in Deutschland kriminalisiert würden, nicht Halt.

Und nun – Aufschrei – wagen diese Menschen es auch noch, sich auf einer Veranstaltung über Möglichkeiten zu informieren, die in anderen Ländern erlaubt sind (was die meisten von ihnen sonst zunächst im Internet tun).

Doch so auf Menschen mit Kinderwunsch zu blicken, stigmatisiert sie zusätzlich. Davon auszugehen, dass sie sich für ihren Wunsch zum einen uninformiert finanziell ausbeuten lassen würden und zum anderen ethischen Bedenken keine Sekunde widmen würden, diffamiert sie.

Strenge Regeln in Deutschland

Die deutschen Regelungen zur Reproduktionsmedizin setzt im Vergleich zum Ausland engere ethische Grenzen. Die Eizellenspende, die in Deutschland verboten ist, ist zum Beispiel in vielen europäischen Ländern erlaubt, oft unter der Voraussetzung, dass der Samen dann vom Partner der austragenden Frau stammt. Die Samenspende eines Fremdspenders hingegen, mit der eine Frau mit einem unfruchtbaren männlichen Partner befruchtet werden könnte, ist in Deutschland erlaubt.

So schrieb auch eine Autorin in einer Reportage zur Eizellenspende in der Allegra:

„In Deutschland sollte das Embryonenschutzgesetz eine gespaltene Mutterschaft verhindern und sicherstellen, dass die genetische und biologische Mutter eines Kindes eine Person ist. Doch Adoptivkinder haben auch zwei Mütter. Und warum akzeptiert das Gesetz eine gespaltene Vaterschaft bei Samenspenden? Weshalb werden Mütter juristisch anders behandelt als Väter?“

Muss man das auf den ersten Blick verstehen? Geht ein Paar, das von einer Eizellenspende in Dänemark Gebrauch macht, zu weit? Überschreitet es eine andere ethische Grenze als ein Paar in Deutschland, das mit Samen eines Spenders schwanger wird?

Zusätzlich zu einer völlig unterschiedlichen ethischen Auslegung, was reproduktionsmedizinische Grenzen betrifft, bewegt sich die Kritik am kommerziellen Reproduktionstourismus jedoch auf dünnem Eis: Denn günstig ist die medizinische Unterstützung auch innerhalb des rechtlichen Rahmens in Deutschland nicht. In der Bundesrepublik kommt sogar noch hinzu, dass die Gesetzeslage durch die Blume suggeriert, von welchen Paaren Kinder erwünscht sind: Verheiratet und gut situiert.

Seit der Gesundheitsreform 2003 (GKV-Modernisierungsgesetz) unter der rot-grünen Bundesregierung wurde die Kostenübernahme in Deutschland für künstliche Befruchtung für verheiratete Paare halbiert, was den konkreten Effekt hatte, dass in den darauffolgenden Jahren bedeutend weniger Kinder durch IVF-Behandlungen (Invitro-Fertilisation) geboren wurden, als in den Vorjahren. Für einen IVF-Zyklus liegt der Anteil für verheiratete Paare bei etwa 1.500 Euro, für das ISCI-Verfahren (Intrazytoplasmatische Spermieninjektion) bei etwa 2.000 Euro – ist ein Paar unverheiratet, liegen die Kosten doppelt so hoch, weil die Krankenkassen die Behandlung nicht bezuschussen dürfen.

Mehr Kinder wären möglich

Das IVF-Register vermerkt für das Jahr 2003 über 100.000 Behandlungen, im Jahr darauf sank diese Zahl auf knapp 60.000. Konkret bedeutete das, dass 2003 über 18.000 Kinder durch künstliche Befruchtung geboren wurde, 2004 jedoch nur noch etwa 10.000 Kinder.

Zehn Jahre später lag die Anzahl der Behandlungen noch immer unter dem Wert von 2003, obgleich die Nachfrage nach reproduktionsmedizinischer Assistenz mit jedem Jahr gestiegen ist, ebenso wie das Alter der Frauen im ersten Behandlungszyklus. „2014 war weit mehr als die Hälfte aller behandelten Frauen 35 Jahre und älter. 1996 war nur jede dritte Frau älter als 35“, heißt es im Jahrbuch 2014 des IVF-Registers. Ohne die Reform von 2003, die künstliche Befruchtung für viele Menschen unerschwinglich machte, würden heute sowohl die Behandlungszahl als auch die Anzahl der geborenen Kindern über dem Wert von 2003 liegen.

Allein das muss in einem Land überraschen, in dem insbesondere von Seiten der Politik die Geburtenrate als Indikator guter Politik und Zufriedenheit im Land angeführt. Der Staat traf eine Entscheidung, die mehrere tausend Kinder im Jahr verhindert hat, weil die Kinderwunschbehandlung für viele Paare mit dieser Reform schlicht zu teuer war.

Ihr wollt Kinder? Dann heiratet.

Dass die Kostenübernahme der Krankenkassen derzeit nur für verheiratete heterosexuelle Paare gilt – auch wenn Familienministerin Manuela Schwesig anstrebt, das zu ändern – macht die Behandlung abermals für unverheiratete Paare extrem teuer oder ist für diese der Anlass, zu heiraten. In einigen Bundesländern, aber nicht in allen, gibt es außerdem einen staatlichen Zuschuss zur Behandlung, jedoch sind auch hier verheiratete Paare besser gestellt als unverheiratete. Schade eigentlich, dass also allein eine ökonomische Erwägung zu dem Entschluss zu heiraten führen kann. Ein Tipp also am Rande: Wenn ein Paar in eurem Freundeskreis heiratet, das geschworen hatte, das nie zu tun, seid sensibel mit Nachfragen oder Kritik. Ihr Kinderwunsch könnte der Grund sein.

Fakt in Deutschland ist außerdem, dass lesbische Paare oder alleinstehende Frauen schon lange ihre Kinderwünsche realisieren, obwohl reproduktionsmedizinische Regelungen es diesen Familien sehr schwer machen. Vernünftig wäre es, auf diese Entwicklung mit einer Anpassung der Regelungen zu reagieren, um eben diesen Familien ihre Entwicklung zu erleichtern und einen sicheren rechtlichen Rahmen für alle Beteiligten zu schaffen. Schwule Paare haben es in Deutschland noch einmal bedeutend schwerer, sich einen Kinderwunsch zu erfüllen. Sie können das bislang nur in Co-Parenting-Konstellationen mit Frauen – oder eben über Leihmutterschaft oder Adoption im Ausland.

Die aktuellen deutschen Regelungen zu den Möglichkeiten, Eltern zu werden, enthalten also neben medizinisch-ethischen Überlegungen vor allem Wertvorstellungen, die die Hetero-verheiratete-gutverdienende-Kleinfamilie klar bevorzugen und finanziell schlechter gestellte und queere Menschen klar benachteiligen. Viel zu selten liest man die Fragestellung, ob der Kinderwunsch einer Kassiererin weniger wert ist als der Kinderwunsch einer Zahnärztin. Und der Wunsch Vater zu werden, weniger wichtig ist, als der Wunsch Mutter zu werden.

Wer Kinder möchte oder nicht, macht es falsch

In der Debatte um legitime Kinderwünsche taucht sehr viel Abwertung auf. Wieso eigentlich?

  • Die Fragen à la Sarrazin lauten dann: „Warum bekommen arme Menschen eigentlich noch mehr Kinder? Warum reichen da nicht eins oder zwei?“
  • Wiederum andere fragen: „Warum muss die denn überhaupt Kinder haben, die will doch Karriere machen? Braucht die ein Kind als Statussymbol?“
  • Frauen, die eine Schwangerschaft in Deutschland abbrechen wollen, wird diese Entscheidung schwerer gemacht, als sie sein müsste. Manchmal sogar ganz verwehrt.
  • Den Menschen, die sich medizinische Unterstützung holen oder jahrelang auf eine Adoption warten, wollen es hingehen zu sehr. Aber kann man das überhaupt: Zu sehr ein Kind wollen?

Jedes Paar oder jede Person, die allein versucht ein Kind zu bekommen, trifft eine eigene Entscheidung darüber, wie weit sie gehen will und kann: ethisch, körperlich, psychisch und finanziell.

Da deutsche Gesetzgeber und Krankenkassen jedoch den Reproduktionstourismus ins Ausland akzeptieren anstatt das Angebot hier auszuweiten bzw. erschwinglich zu machen, liegen keine zuverlässigen Zahlen dazu vor, wie viele Menschen tatsächlich welche Möglichkeiten ausschöpfen – und wie viele auch in Deutschland nicht im Register der künstlichen Befruchtungen auftauchen, weil die Behandlung schon für einen ersten Versuch zu teuer wäre.

Die Frage nach dem Glück

Den Anschein zu erwecken, die Angebote im Ausland würden einen Run auf Leihmütter in Bewegung setzen, die Geschlechtsselektion als neue Norm stünde kurz bevor und Menschen mit Kinderwunsch würden am liebsten Gott spielen, ist nicht nur fern der Realität, es ist diffamierend. Es geht um etwas sehr Simples: um Glück. Und es ist viel zu leicht gesagt (und anmaßend) „Ihr könnt auch anders glücklich werden“, wenn man das eigene Glück schon gefunden hat.

Der Autor Andrew Solomon beschreibt in seinem Bestseller „Weit vom Stamm: Wenn Kinder ganz anders als ihre Eltern sind“, in dem er dutzende Familien darüber interviewte, wie sie Liebe und Akzeptanz für ihre außergewöhnlichen Kinder entwickelten, zum Beispiel Kinder mit Autismus, Kleinwüchsige, Kinder, die durch eine Vergewaltigung entstanden sind oder Transgender. Er selbst hat eine außergewöhnliche Patchworkfamilie: sein Partner ist der leibliche Vater von zwei Kindern mit einem lesbischen Paar, Solomon selbst hat eine leibliche Tochter mit einer platonischen Freundin und als er und sein Partner John sich ein weiteres Kind wünschten, von dem Solomon der leibliche Vater sein sollte, bot eine der Frauen des lesbischen Paares an, das Kind für sie auszutragen – die Leihmutterschaft wurde somit nicht mit Geld ermöglicht, sondern mit gegenseitigem Verständnis und Liebe. Für die Familienwünsche von heute gibt es bereits also sehr viele Möglichkeiten, die schon im Kleinen realisiert werden aber kaum diskutiert – weder öffentlich noch in der Politik.

Solomon schreibt:

„Ich frage mich, ob ich so viel Freude an Heirat und Kindern gefunden hätte, wenn sie für mich selbstverständlich gewesen wären – wenn ich heterosexuell gewesen wäre oder 30 Jahre später in einer Gesellschaft aufgewachsen wäre, die mich mehr willkommen geheißen hätte. (…) Ich glaube, dennoch, dass dieser Kampf mir eine Sicht auf Elternschaft gegeben hat, die ich ohne ihn nicht gehabt hätte. So viel von mir war der Einsamkeit geweiht und jetzt bin ich nicht mehr einsam. Jetzt machen mich Kinder glücklich. Eine Generation früher hätte diese Liebe weiter geschlummert und wäre unerkannt geblieben. (…) Meine Familie ist radikal aus einem anderen Grund als die anderen Familien, die ich vorgestellt habe, aber wir alle sind Vertreter einer revolutionären Liebe – aller Widrigkeiten zum Trotz. (…) In Anbetracht wie undenkbar meine Familie vor 50 Jahren gewesen wäre, habe ich keine andere Wahl, als mich für Fortschritt einzusetzen. Veränderung war gut für mich und ich bin ihr verpflichtet.“

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