In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Der Luxus, sich über die Freizeitvorlieben der eigenen Kinder aufregen zu können.
Aktivitäten mit Kindern: eine inhaltliche Zumutung
Jedes vierte Kind in Deutschland lebt in relativer Armut, bleibt von Aktivitäten, die viel Geld kosten, ausgeschlossen. In Berlin trifft es sogar jedes dritte Kind. Der Paritätische Gesamtverband Deutschland hat dazu vor einigen Tage eine neue Studie vorgelegt. Die Studie mag neu sein, das Problem der Kinderarmut ist es nicht.
Egal wie viel Geld man als Familie zur Verfügung hat: Irgendwie hat man ja das Gefühl, seit man Kinder hat, muss man ständig Sachen machen, die erstens viel zu viel Geld kosten und zweitens inhaltlich eine Zumutung sind. Und dieses Gefühl, das machen sich wahrscheinlich viele Eltern, die nicht auf jeden Euro schauen müssen, wenn sie mit dem Kind ins Schwimmbad wollen oder in den Zoo, gar nicht klar – ist in Wahrheit ein Privileg.
Schöne, kostenlose Dinge, wie stundenlang in der Natur herumlatschen oder an einem Flussufer picknicken oder einen Berg besteigen, goutieren viele Kinder ja leider nicht auf Dauer. Und wenn, dann nur, wenn man das Ganze mit dem üblichen in Eis-Limo-Pommes-Gummibärchen-Rahmenprogramm umkleidet, um die Aktivität irgendwie durchzustehen, und dann ist man am Ende auch wieder ein halbes Vermögen los.
Mit 15 Euro kommt man in der Musikschule nicht weit
Aber genau dieses halbe Vermögen haben sehr, sehr viele Familien in Deutschland gar nicht, bei ihnen geht es um ein absolutes Minimum, das ihren Kindern zumindest ein wenig Teilhabe möglich machen soll. Das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung wurde übrigens am 1. August reformiert, mit ein paar Verbesserungen, aber weiterhin relativ realitätsfern, was die stärkere Teilhabe armer Kinder angeht: Mit einem Gutschein von neuerdings 15 Euro pro Monat statt zehn kommt man zum Beispiel in den meisten Musikschulen weiterhin nicht weit – damit lässt sich oft nicht mal eine Stunde bezahlen, geschweige denn vier Stunden pro Monat. Und wenn sich mit dem Geld der Beitrag für den Fußballverein decken lässt, steht man trotzdem vor Problemen, wenn man Schuhe, Trikots, Fahrten zu den leidigen Wochenendturnieren bezahlen muss.
Und: Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit haben im vergangenen Jahr nur 670.000 Kinder, die Hartz IV bezogen, Leistungen aus dem Bildungspaket in Anspruch genommen. Das sind gerade mal 28 Prozent von 2,5 Millionen Kindern aus Hartz-IV-Familien.
Der Präsident des Paritätischen Gesamtverbandes Ulrich Schneider zeigte sich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk durchaus genervt: Nur weil die einzelne Familie nun einen Gutschein von 15 statt 10 Euro kriege, werde man am Problem der Kinderarmut nichts ändern. Er plädierte dafür, direkt in die Strukturen reinzugehen, also etwa Fußballverbände zu bezuschussen, und die Vereine sollten dann am Ende direkt mit den zuständigen Stellen abrechnen – Hauptsache, die Familien müssen nicht ständig Anträge stellen und Nachweise erbringen.
Manche Events einfach streichen
Ich selbst, so fantasiere ich manchmal vor mich hin, würde ja eher mit der Holzhammer-Methode vorgehen: Die Zahl der Besuche von Event-Bauernhöfen, Themenparks und ähnlich grauenhaften, nervtötenden und gleichzeitig sauteuren Freizeitangeboten würde ich grundsätzlich für alle Familien limitieren, öfters als einmal im Jahr sollte das kein Elternteil ertragen müssen, das wäre erheblich billiger für alle und niemand hätte das Gefühl, etwas zu verpassen.
Solche Orte täuschen nämlich aus der Ferne vor, dass dort das Kinderglück zur vollen Entfaltung kommt; in Wahrheit hast du einfach nur: Stress. Bezahlst horrenden Eintritt, kaufst Eis, spendierst fettige Chicken Nuggets und Pommes, musst Fanta kaufen, steckst ständig Münzen in irgendwelche Vorrichtungen und Süßigkeitenschleudern, die zusätzlich Geld kosten, und trotzdem wird ständig gemault. Meine Standardantwort auf die sehr oft gestellte Frage: „Mamaaa, wann können wir endlich mal wieder ins Lego Discovery Center???“ lautet in der Regel: „Nie, nie wieder zu meinen Lebzeiten. Außer vielleicht wenn Großmama und Großpapa zu Besuch sind.“
Mir ist natürlich völlig klar: Das ist ein extrem privilegiertes „Problem“. Vielen Eltern dürfte es total wurscht sein, ob sie auf dem Event-Bauernhof einen Koller kriegen; das einzig Wichtige für sie ist, dass ihr Kind die Möglichkeit hat, das zu machen, was Kinder um sie herum eben auch machen, und sich nicht ausgeschlossen fühlt. Deswegen spiele ich meine ganz privaten Limitierungsfantasien natürlich nur in der Theorie durch.