Foto: privat, Leni Bolt

Leni Bolt: „Ich würde mir wünschen, dass die Leute auch das nicht-binäre Geschlecht akzeptieren“

Kund*in
Netflix
Autor*in
EDITION F studio
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Wer bin ich? Und wer möchte ich sein? Fragen, mit denen sich Leni Bolt lange Zeit beschäftigt hat. Heute identifiziert sich Leni als nicht-binäre Person.

Sich auf neue Lebensentwürfe einzulassen, das ist leichter gesagt als getan. Auch für Alice und Niklas aus dem neuen Netflix Film „Was wir wollten“ (gespielt von Lavinia Wilson und Elyas M’Barek), deren Kinderwunsch unerfüllt bleibt. Wir alle kommen aus den unterschiedlichsten Gründen immer wieder an den Punkt, an dem das Loslassen notwendig ist, um den nächsten Schritt zu tun.

Auch Leni Bolt kennt die Notwendigkeit, loszulassen, um den eigenen Weg zu finden. Leni teilt mit uns die Gedanken zu eigenen und fremden Erwartungen, dem Prozess des Loslassens und dem Erkämpfen der eigenen Freiheit:

Ich tue und lasse, was ich möchte. Ich ziehe das an, was ich möchte. Ich bin die Person, die ich sein möchte. Ich bin Leni, 27 Jahre jung und nicht-binär. Heißt: Ich fühle mich weder zu hundert Prozent als Mann noch als Frau, sondern bin irgendwo dazwischen.

So selbstbewusst und sicher wie jetzt konnte ich lange Zeit nicht über meine Identität sprechen. An diesen Punkt zu gelangen, hat mich viel Nachdenken, Zeit und Kraft gekostet.

Nachdem ich mit Anfang 20 von meiner Kleinstadt nach Berlin gezogen bin, habe ich mir jeden Tag die gleichen Fragen gestellt – morgens, mittags und abends: Wer bin ich? Als was fühle ich mich? Wer möchte ich sein? Wo möchte ich hin? Das war wie eine Krankheit, die mich in jeder Minute meines Lebens begleitet hat. Ich habe mich ausprobiert, bin als Drag feiern gegangen (obwohl ich das jetzt nicht mehr als „Drag“ bezeichnen würde, da hab ich eher versucht, eine Frau zu imitieren), habe mich anfangs teils hyperfeminin gekleidet, habe mir die Haare wachsen lassen, mich geschminkt und meine Bart- und andere Körperhaare entfernen lassen (etwas, das ich auf keinen Fall bereue!). Ich musste die Idee loslassen, mich final für ein Geschlecht zu entscheiden, um in der Gesellschaft existieren zu können. An manchen Tagen bin ich eben mal femininer, an anderen androgyner. Und jeder Tag, jedes Gefühl hat seine Daseinsberechtigung.

Es gibt nicht nur Lösung A oder B, sondern auch vieles dazwischen

Mir war es immer wichtig, dass ich nichts überstürze und mich weder von meinem Umfeld, der Gesellschaft oder den Erwartungen an mich selbst dazu drängen lassen, eine vorschnelle Entscheidung zu treffen. Natürlich kommt man, wenn man sich über Jahre hinweg täglich mit dem Thema auseinandersetzt, auch an den Punkt, eine Transition in Erwägung zu ziehen. Im ersten Moment scheint das dann wie die Lösung, die dir auf dem Goldteller serviert wird. Doch eine Geschlechtsangleichung oder die Einnahme von Hormonen macht nicht zwangsläufig glücklicher. Ich musste definitiv lernen, dass es nicht nur Lösung A oder B gibt, sondern auch viele Abstufungen dazwischen. Mein Umfeld musste damit auch erstmal umzugehen lernen, denn natürlich herrschte unter meinen Freund*innen sowie meiner Familie erst mal Verwirrung. Die Erwartung war, dass ich ihnen ein Statement geben soll, nach dem Motto: „So sieht es aus, das ist los“. Doch ich wusste ja bis dato selbst noch nicht, wo die Reise für mich hingehen wird. In dem Moment muss man stark bleiben, sich von dem Druck von außen frei machen, von den Anforderungen und Restriktionen der Gesellschaft oder auch einzelner Personen.

Meine Freiheit musste ich mir selbst Stück für Stück erkämpfen, gute und auch schlechte Erfahrungen machen. Zum Beispiel beim Dating, aber auch im Job. Ich arbeite im Bereich Social Media Management und Marketing – da hatte ich beispielsweise große Angst davor, auf neue Kund*innen zuzugehen und dass die Leute aggressiv oder irritiert auf mich reagieren könnten. Denn das sind Dinge, die mir auch schon in meinem privaten Umfeld passiert sind.

Lasst uns die stereotypen Schubladen neu ordnen!

Ich würde mir einfach wünschen, dass ich diese Angst gar nicht mehr haben muss. Dass die Leute offener werden und auch das nicht-binäre Geschlecht annehmen und akzeptieren. Wo ist das Problem dabei, die genderstereotypen Schubladen neu zu sortieren und auch Raum zu lassen für Leute, die sich da nicht zu hundert Prozent einordnen können? Ich kann mir vorstellen, dass sich viele Leute, die eigentlich nicht-binär sind, trotzdem für ein Geschlecht entscheiden, weil es schlichtweg einfacher ist, damit in der Gesellschaft zu leben.

Das fängt bei ganz banalen Dingen im Alltag an, wie zum Beispiel beim Abschluss eines Handyvertrags, wo man oftmals nur die Möglichkeit hat, „Mann“ oder „Frau“ als Geschlecht anzugeben. Eine dritte Option? Fehlanzeige. Das sind so Momente, in denen ich mich frage, warum das überhaupt eine Rolle spielt. Oder wenn ich von queeren Freund*innen höre, dass sie lieber in einer Bar oder einer Organisation arbeiten, wo sie von gleichen Menschen umgeben sind, um sich diesen blöden Situationen im Alltag nicht aussetzen zu müssen. Das soll und muss auch anders gehen. Nicht-binär ist valide in dieser Gesellschaft und jede Person hat das Recht, sich so zu geben, wie sie oder er ist.

Das Leben ist eine Reise – für jeden von uns

Ich habe mehr als fünf Jahre gebraucht, um diese Lockerheit zu gewinnen, unser Gesellschaftskonstrukt nicht allzu ernst zu nehmen und für mich zu beschließen: Das Leben ist eine Reise – sowohl, was Job und Karriere angeht, aber auch Beziehungen und die eigene Identität. Für jeden von uns. Und nur, weil uns die Gesellschaft bestimmte Bahnen vorgibt oder Bilder vorlebt, heißt das nicht, dass wir uns ausschließlich innerhalb dieser bewegen dürfen. Ich habe für mich herausfinden dürfen, dass meine Akzeptanz in der Gesellschaft nicht mit einer endgültigen Entscheidung anfängt, sondern mit der Erkenntnis, dass ich so sein kann, wie ich sein möchte. Und ich habe das Recht, diese Entscheidung jeden Tag aufs Neue zu fällen.

Loslassen – der Podcast zum Film „Was wir wollten“

Zeitgleich zum gerade neu erschienenen Netflix Film „Was wir wollten“ erscheint der Podcast von Friedemann Karig, der mit den hochkarätigen Gäst*innen Mirna Funk, Andrea Petković, Tarik Tesfu, Anna Wilken und Charlotte Würdig über ihre ganz persönliche Definition des Loslassens spricht: Wo hat der Plan des Lebens nicht mit dem eigenen Plan für das Leben zusammengepasst? Wie haben sie gekämpft, erkannt, akzeptiert und danach weitergemacht? Wann hat so ein Abschied wehgetan und wann fühlte er sich befreiend an? – Neugierig? Alle Podcast-Episoden findet ihr dort, wo es gute Podcasts gibt. Hört rein!

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