Verrückte Frauen sind ein beliebtes Element in Filmen und Serien. Orange Is the New Black geht damit allerdings ganz anders um. Eine Auseinandersetzung mit dem Seriencharakter „Crazy Eyes“.
Erfolgskonzept durchgeknallte Frau
Was wäre die Filmindustrie nur ohne die durchgeknallte Frau? Von Catherine Deneuve als verwirrte Hausfrau in Belle de Jour über die rachsüchtige Glenn Close in Fatal Attraction (Eine verhängnisvolle Affäre), hin zu der vom Teufel besessenen Laura Blair in The Exorcist – die Liste der Filme, in denen neurotische, gestörte, psychotische oder schizophrene Frauen die Hauptrolle spielen, ist lang. Sie umfasst, um genau zu sein, über 250 Filme, etliche Serien und literarische Werke.
Meistens verläuft das Erfolgsrezept nach einem der beiden Schemata ab: a) Frau dreht durch, Mann rettet sie, Happy End! Oder b) Frau dreht durch, Mann bringt sie um die Ecke, Happy End! Auch im echten Leben werden extrovertierte oder exzentrische Frauen nur allzu gerne als verrückt, schrullig oder sonst irgendwie unattraktiv abgestempelt (man denke nur an das Frauen-mit-Katzen-Klischee), während die gleichen Charakterzüge Männer zu richtig coolen Socken machen. Bei Orange Is the New Black ist das anders.
„Crazy Eyes“ wird zum Ruhepol von Orange Is the New Black
In der fünften Staffel von Orange Is the New Black drehen die Frauen aus dem Gefängnis von Litchfield auch durch – aber so richtig, und aus gutem Grund: sie fordern Gerechtigkeit für den Mord an Poussey Washington, eine der Insassinnen. Die Tatsache, dass ihr Tod keine Konsequenzen nach sich ziehen soll, führt zu einer Revolte, um die sich die gesamte neue Staffel dreht. Der Ausnahmezustand führt zu vielen irrationalen Taten und Entscheidungen, die zum Teil in Trauer, zum Teil in blinder Wut über das unmenschliche US-Justizsystem begründet sind, und ausgerechnet die wortgewandte, jedoch mental instabile Suzanne „Crazy Eyes“ Warren wird während dieser Staffel zu einem Ruhepol inmitten des Chaos.
Bantu-Knots, Wutanfälle, Euphorie und ein durchdringender Blick sind Suzannes Markenzeichen. Genau wegen ihrem explosiven Temperament gehört sie auch zu den liebenswertesten Charakteren von Orange Is the New Black (Uzo Aduba wurde für ihre Darstellung der unterhaltsamsten Insassin von Litchfield zu Recht mit zahlreichen Awards ausgezeichnet). Suzanne „Crazy Eyes“ Warren macht ihrem Spitznamen alle Ehre: sie machte Piper vorübergehend zu ihrer „Prison Wife“ und urinierte als Reaktion auf ihre Zurückweisung vor ihr Bett. In ihren düstersten Momenten schlug sie auf Kommando hemmungslos auf Menschen ein, die ihr nahestanden.
Sie hat aber auch eine andere Seite: Suzanne ist hilfsbereit, hat einzigartige Dance-Moves im Repertoire und ist die talentierte Verfasserin surrealer Erotik-Sci-Fi-Stories. Ihre Erzählungen wurden von den anderen Insassinnen so sehr gefeiert, dass sich innerhalb kurzer Zeit ein Fanclub formierte, der ungeduldig auf neue Geschichten wartete. Während der Gefängnisrevolte veranstaltet sie eine Mahnwache im Gedenken an die verstorbene Poussey Washington und es gibt viele weitere Momente, in denen sie auf ihre Weise alles tut, um den grauen Alltag in Litchfield ein wenig erträglicher zu machen.
Auf der Suche nach Selbstliebe
In der Rückblende zu ihrer Kindheit sehen wir, dass sie immer schon eine Außenseiterin war und von anderen Kindern oft als Weirdo bezeichnet wurde. Trotz aller Bemühungen ihrer weißen Adoptiveltern wurde sie von ihrem Umfeld in den Suburbs nie so richtig akzeptiert und verstanden. Suzannes Bedürfnis nach Akzeptanz, gepaart mit ihrem explosiven Temperament führten auch zu dem tragischen Unfall, der sie ins Gefängnis brachte. Spätestens als sie Piper die Frage stellt, warum sie von allen Crazy Eyes genannt wird, wird jedoch klar, dass sie gar nicht so anders ist und einfach nur dazugehören will.
Suzanne macht in Litchfield vieles zum ersten Mal durch. Sie erfährt, was wahre Freundschaft bedeutet. Sie spürt, wie es ist, wenn Liebe erwidert wird, und sie erlebt, wie es ist, wenn die Menschen, die ihr nahestehen, sie verletzen und ihr das Herz brechen. Staffel für Staffel kann mitverfolgt werden, wie sie sich entwickelt und zu einer Frau wird, die lernt, sich selbst zu lieben – mit all ihren komplexen Problemen und Schwächen.
Zuneigung statt Schubladen
Die Insassinnen haben alle ein Verbrechen begangen, das irrational war. Jede von ihnen war auf ihre Art irgendwann einmal Crazy Eyes, hatte ihre Emotionen nicht unter Kontrolle und musste mit sich selbst ins Reine kommen. Genau deshalb findet Suzanne auch ausgerechnet an einem Ort, wo Menschenwürde mit Füßen getreten wird, endlich eine Familie, die sie genauso akzeptiert, wie sie ist und ihr das gibt, was ihr ein Leben lang fehlte: bedingungslose Freundschaft, Zuneigung und Anerkennung.
Auch wenn das Schicksal von Suzanne und ihrer Familie in Litchfield am Ende der neuen Staffel noch ungewisser ist als vorher – Orange Is the New Black macht die vielen Mikro-Aggressionen, denen Frauen wie Suzanne ihr Leben lang ausgesetzt sind sichtbar und zeigt, dass diese kleinen Sticheleien langfristige Auswirkungen auf den Selbstwert haben können. Suzanne „Crazy Eyes“ Warren gibt mental instabilen Menschen ein Gesicht. Ihre Geschichte veranschaulicht, welche Auswirkungen ein toxisches Umfeld haben kann, und welchen Unterschied es macht, wenn Frauen wie sie die Fürsorge und Zuneigung bekommen, die sie brauchen anstatt in Schubladen gesteckt zu werden. Jede neue Staffel von Orange Is the New Black auf Netflix erinnert aufs Neue, dass Empathie für die Schwachen genauso wichtig ist wie die Liebe zu sich selbst und dass in Zeiten des Chaos manchmal Menschen wie Crazy Eyes die vernünftigsten im Raum sind.
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