Foto: Unsplash – Brune Cervera

Liebst du eine Frau, kızım? Eine Beziehung kurz vor dem Outing

Ein lesbisches Outing ist auch heute für junge Frauen nicht einfach. Die Deutsch-Türkin Selin* und ihre Freundin Larissa beschreiben, was Geheimhaltung und Akzeptanz für ihre Beziehung bedeuten.

„Über türkische Lesben hab ich nichts gefunden“

Schon lange bevor Selin* wusste, dass sie sich von einer Frau angezogen fühlen kann, war Larissa* in sie verknallt. Doch Selin hatte immer einen Freund. Als sie sich zufällig auf einer Veranstaltung wieder trafen, ergriff Larissa die lang ersehnte Chance und versuchte mit der geheimnisvollen Schönen zu flirten. Doch Larissa musste erst ein paar Körbe einstecken, bevor Selin begann ihre Gefühle zu erwidern. Inzwischen sind sie seit zwei Jahren ein Paar.

Warum wollt ihr offen über eure Beziehung sprechen?

Selin (24): „Als ich versuchte, Hilfe im Netz zu finden, gab es zu meiner spezifischen Situation – also deutsch-türkisch und Attraktivität zu einer Frau fühlend – keinerlei Artikel oder Videos. Wie türkische oder muslimische Lesben bzw. Bisexuelle mit ihrem Outing umgehen, ist tatsächlich etwas, das ich bei YouTube gesucht habe. Ich habe nichts gefunden und mich total verloren gefühlt. Für Schwule mit ähnlichem Hintergrund gibt es immerhin einige Erfahrungsberichte im Netz. Aber nicht so für Frauen.“

Larissa (21): „Auch ich war in der Anfangsphase meines Outings echt überfordert und habe im Internet nach Hilfestellung gesucht. Vor über sechs Jahren konnte ich dazu auch nicht viel finden. Und ich habe immerhin das Privileg aus einer sehr offenen, wenn auch sarkastischen Familie zu kommen.“

Was weiß deine Familie über dich und Larissa?

Selin: „Meine Mutter weiß, dass wir ein Paar sind. Meine Schwester auch. Ich glaube, die jüngste ist noch nicht so weit, das wirklich verstehen zu können. Der Rest meiner Familie kennt Larissa und denkt, dass sie meine beste Freundin ist. Larissa ist mittlerweile immer mit dabei, wenn ich etwas mit meiner Familie unternehme. Das Schöne ist, dass alle sie total gerne mögen und sich auch nach ihr erkundigen. Das macht mir die Vorstellung, mich zu ,outen‘ leichter. Wenn ich bei Larissas Eltern abhänge, habe ich immer vor Augen, wie es sein könnte. Dann merke ich, dass ich das auch möchte. Aber eher später als früher.“

Warum eher später?

Selin: „Ich hoffe irgendwie darauf, dass sich das auf natürliche Art und Weise aufklärt. (lacht verlegen) Ich liebe meine Großeltern und gerade deswegen möchte ich ihnen nicht die letzten Jahre ihres Lebens vermiesen. Sie wären am Boden zerstört, wenn ich ihnen eröffnen würde, dass ich eine Frau liebe und mit ihr in einer Beziehung bin, da bin ich ziemlich sicher. Ich denke nicht, dass sie Homosexualität verstehen, geschweige denn akzeptieren.“

Deine Mutter weiß, dass ihr ein Paar seid – Wie hat sie denn darauf reagiert?

„Wie meine Mutter aktuell dazu steht, weiß ich gar nicht. Sie hat mich ganz am Anfang einfach direkt gefragt, ob Larissa und ich ein Paar sind. Ich habe nur nervös gelacht und es bejaht. Sie war erst völlig fassungslos, also nicht abweisend, aber auch nicht froh. Zwei Monate später kam es noch einmal zu einem Gespräch zwischen uns.

Nach anderthalb Monaten totaler Funkstille haben wir uns dann auf einem Schulfest meiner kleinen Schwester wieder getroffen. Es lief alles höflich ab, aber distanziert. Seit ein paar Wochen – Larissa ist seit der Begegnung mit meiner Mutter öfter mal bei meinen Eltern gewesen – hat es sich gelegt. Merkwürdigerweise scheint sie es akzeptiert zu haben. Sie hat das Thema auch nach dem Streit, den wir hatten, nicht noch mal angesprochen.“

Larissa: „Letztens beim Grillen hat sie sogar gesagt, dass wir vom Sternzeichen her gut zusammenpassen!“ (lacht)

Das mit der „Phase“ hat dich schon sehr getroffen

Selin: „Ja, total! Wahrscheinlich hatte das auch etwas damit zu tun, dass ich am Anfang ja selbst nicht sicher war, ob es nicht wieder vorbei geht. Also die Verliebtheit in Larissa.“

Sprechen deine Eltern denn offen miteinander? Denkst du dein Vater weiß auch Bescheid?

„Nein, überhaupt nicht. Und ich glaube, meine Mutter wird da auch sicher dichthalten.“

Was wäre das Traumszenario für ein Outing vor deinem Vater?

„Dass er sagt, er habe es schon geahnt. Wenn er es aber weiß, bekommt es auch der Rest der Familie mit. Meine Mutter ist loyal, aber meinem Vater traue ich diese ständige Lügerei nicht wirklich zu.“

Wünschst du dir, dass Selin sich vor ihrer Familie outet, Larissa?

„Das schlimmste, was man in so einer Situation von seiner Partnerin verlangen kann ist, dass sie sich vor der gesamten Familie outet. Ich finde, meine Meinung dazu oder mein Befinden, ist deshalb absolut zweitrangig. Natürlich fühle ich mich unwohl dabei, Selins Eltern etwas vorzuspielen. Ich muss mich konstant zusammenreißen und eigentlich die ganze Zeit auch lügen. Und das missfällt mir schon.“

Welche Risiken geht ihr mit eurer Beziehung ein?

Larissa: „Für Selin war es sicher hart, sich einzugestehen, dass sie mich mag – nicht nur freundschaftlich, sondern auch körperlich.“

Selin: „Und wenn es hart auf hart kommt, werde ich meine Familie verlieren. Meine Großeltern würden mich verstoßen, da bin ich mir ziemlich sicher.“

Was ist die größte Angst, die dich umtreibt, Selin?

„Das Outing, das bald bevorsteht. Noch ist es wie eine Gewitterwolke; über mir donnert es schon ein wenig und sie kommt näher. Ich weiß aber, dass ich mich dem stellen muss. Ich gehe Konfrontationen gerne aus dem Weg, deshalb verdränge ich es gerade noch soweit es geht.“

Gibt es etwas, das du dir als Deutsch-Türkin für Homosexuelle wünschst?

Selin: „Ich erhoffe mir, dass durch ganz alltäglichere Situationen ein bisschen Aufklärung passiert. Letztens waren Larissa und ich auf einem Konzert und neben uns standen zwei recht junge Mädels, die die ganze Zeit mit einander geflirtet haben. Um den beiden zu zeigen, dass es in Ordnung ist, haben wir ganz offensichtlich Händchen gehalten und uns geküsst. Es sollte einfach endlich als normal angesehen werden.“

Was denkst du, muss in der Türkei passieren, damit sich das ändert?

Selin: „Es wird immer schwerer, aber es ist so wichtig, dass auch Lesben sich in der Türkei sichtbar machen und für ihre Rechte einstehen, so wie das schon vor Jahren in Deutschland passiert ist. Hundertprozentig ist das natürlich noch nicht angekommen, aber dennoch ist Deutschland da etwas weiter, finde ich. Und es gibt ein Problem, das es noch erschwert: Der Sexismus ist viel zu präsent.“

Bist du trotz allem glücklich, Selin?

„Ja. Denn egal was passiert, ich weiß, Larissa wird immer an meiner Seite sein.“

*Namen wurden von der Redaktion geändert.

Der Originaltext von Melis Yeşilkaya ist bei unserem Kooperationspartner renk. erschienen, ein deutsch-türkisches Kunst- und Kulturmagazin zur Aufdeckung deutsch-türkischer Klischees. Hier könnt ihr renk auf Facebook folgen.

Fotos: Annette Etges

Mehr bei EDITION F

Warum meine Kolleginnen nicht wissen, dass ich lesbisch bin. Weiterlesen

Was du gegen Homophobie im Büro tun kannst. Weiterlesen

Mythos Bisexualität? Schluss mit den Klischees und der Marginalisierung. Weiterlesen

Anzeige