In ihrer Thirtysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche über das oft noch sehr falsche Verständnis von einer starken Frau.
„Starke Frauen sind toll – also, bis ihr Alleingang nervt“
„Ich finde starke Frauen großartig! Aber meistens wird es in einer Beziehung irgendwann anstrengend mit ihnen.“ Ich schaue meinen Kumpel verdutzt an: „Was meinst du damit?“ „Naja, eigentlich finde ich es sexy, wenn sie ihr Ding durchziehen, aber das kann eben auch nerven. Denn ich habe keine Lust, alles immer endlos zu diskutieren oder aber im Gegenteil, in Pläne, die uns am Ende beide betreffen, überhaupt nicht einbezogen zu werden. Da habe ich lieber jemanden, der sich auch mal zurücknimmt und mir zeigt, dass meine Perspektive wichtig ist.“ Wow, an dieser Stelle wurde sehr klar, dass wir grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen davon haben, was eine starke Frau oder auch generell einen starken Menschen ausmacht.
Ach, es ist auch kein Wunder. Schließlich gibt ja so viele, ständig wiederholte Missverständnisse, wenn es um die Idee von einer starken Frau geht. Von alles und jeden umpflügenden Amazonen, die ohne Rücksicht auf Verluste ihren Weg gehen und so spitze Ellenbogen haben, dass man nie zu nah an ihnen vorbeigehen sollte. Frauen, die durch ihren Dickkopf alles kompliziert machen. Frauen, die Männer als Anhängsel, nicht als gleichwertig sehen und dergleichen mehr. Es ist ein sich so hartnäckig haltendes Klischee wie die ewig lila Latzhosen tragende, unrasierte Feministin. Klar, die gibt es, aber eine Latzhose und drei Haare unter der Achsel alleine machen ebenso wenig aus einer Frau eine Feministin, wie Ellenbogen und eine alles auf sich selbst gerichtete Einstellung auf jeden Fall eine starke Frau definieren. Ja, starke Frauen wissen was sie wollen, sie lassen sich nicht für blöd verkaufen und nehmen sich, ihre Meinung und ihre Bedürfnisse ebenso wichtig, wie die ihres Partners, ihrer Freunde und Familienmitglieder. Aber eben genau das: Genauso wichtig. Nicht wichtiger. Und dann beginnt vielleicht ein Abwägen, eine Debatte oder auch ein Kompromiss, aber ganz sicher kein Umpflügen einer gnadenlosen Rächerin.
Starke Menschen haben keine Angst vor Freiheiten
Und es scheint immer noch erwähnenswert, dass starke Frauen genauso verletzlich sind wie alle anderen Frauen. Auch sie gehen durch tiefe Täler, machen Fehler, sind nicht permanent souverän, fühlen sich hin und wieder klein, haben Bedürfnisse, sind liebevoll, albern, laut und leise, wie jeder andere Mensch auch. Innere Stärke definiert sich doch vor allem dadurch, wie mit Situationen und Erfahrungen umgegangen wird – und die Eigenschaft, hier klar zu bleiben und für sich selbst einzustehen, das kann eine Beziehung sehr viel entspannter machen, als dass sie dadurch anstrengend wird. Zumindest dann, wenn der Herzensmensch sich darauf einlässt, dass in einer solchen Beziehung wahrscheinlich mehr Freiheiten für beide Seite herrschen, weil dezidiert die Freiheit, sich auf Eigenes zu konzentrieren und den Alltag nicht permanent im Doppelpack zu bestreiten, eingefordert wird. Aber Freiheit muss man auch aushalten können. Wenn man das kann, und dafür braucht es eben auch ein starkes Gegenüber, ist das doch einfach nur großartig! Und genau deshalb, verstehe ich die Angst von Männern vor starken Frauen nicht. Oder ist am Ende auch das nur noch ein Klischee?
Vielleicht – und wenn, dann kann man eventuell davon ausgehen, dass dieser Respekt vor einer „Alphafrau“ durch eben solche verkorksten Stereotype bestimmt wurde. Obwohl es anscheinend immer noch Männer gibt, die sich von erfolgreichen Frauen einschüchtern lassen. Aber das ist noch einmal ein eigenes Thema, zu dem man in Kürze nur sagen kann: Emanzipiert euch doch mal von Rolle des Ernährers in Verbindung mit eurer Männlichkeit, das macht’s auch für euch entspannter. Und dann gibt es eben noch jene Situation, wie diese mit meinem Kumpel, dass sich Männer grundsätzlich zu starken Frauen hingezogen fühlen, um im Laufe der Beziehung davon vor den Kopf gestoßen zu sein, dass sie sehr eigenständig sind. Aber Eigenständigkeit schmälert doch weder die Liebe noch den Stellenwert der Beziehung. Eigenständigkeit gibt beiden Raum, zu wachsen und sich zu entfalten.
Was heißt eigentlich stark?
Doch was bedeutet diese Eigenständigkeit eigentlich? Ich habe das Gefühl, wir sprechen hier gern mal von sehr unterschiedlichen Perspektiven auf diesen Charakterzug. Wer Diskussionen immer „gewinnen“ will, für keinen Kompromiss bereit ist, sich stets laut und poltrig seinen Weg bahnt, nie auf den anderen hört oder ihn einbezieht, wer nicht zielstrebig, sondern rücksichtslos nur das Eigene verfolgt, ist vielleicht egoistisch, aber nicht mental stark. Wer innere Stärke hat, hat auch die Kraft, mit dem Blick über den eigenen Tellerrand Beziehungen zu führen und die Perspektive eines anderen einzunehmen sowie wertzuschätzen. Ebenso wie ein starker Mann Frauen nicht kleinhalten muss, um sich gut zu fühlen, muss das umgekehrt auch keine starke Frau. Also bitte nicht verwechseln, was nicht zusammengehört. Denn mit (mental) starken Menschen entsteht eine Partnerschaft auf Augenhöhe, nicht eine, in der ein Part den anderen aus einer Machtposition dominiert.
Vielleicht sollten wir unserer Idee von Stärke mal hinterfragen und neu bewerten. Denn nein, hier geht es nicht darum, welche Löwin am lautesten brüllt, sondern darum, wie wir mit uns selbst und mit Mitmenschen umgehen, wie wir Problemen händeln oder Differenzen und Herausforderungen handhaben. Wie ernst man sich selbst nimmt und auch das Gegenüber. Sich und andere wichtig zu nehmen, das ist stark. Und einen solchen Menschen, den können wir uns doch alle nur in unserem Leben und an unserer Seite wünschen – ganz gleich ob Mann oder Frau. Genau deshalb gibt es auch keinen Grund, sich vor starken Frauen zu scheuen – im Gegenteil, macht euch da mal auf die Suche. Denn einen starken Partner zu haben, ist für beide Seiten schön.
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