Foto: Unsplash | Shannon Van DenHeuvel

Mode spricht zu uns – warum wir uns nicht nur für uns selbst anziehen

Fühlst du dich in einem schönen Kleidungsstück selbstbewusster? Das hängt vom Kontext ab, in dem wir uns bewegen. Sophia Steube schreibt in ihrer Kolumne darüber, wie Mode und unsere Kleiderwahl die Beziehung zu anderen gestalten können.

Ein Kleidungsstück, viele Gefühle

Falsch gekleidet zu sein ist kein Zustand, sondern ein Gefühl. Mich erwischte es unversehens, als ich in zerschlissenen Jeans und einem anthrazitfarbenen Vintage-Pulli bei der Modenschau eines Labels erschien, das für Entwürfe aus glänzenden Lurex-Stoffen, metallischen Farben, Neon, Pailletten und reichlich Strass bekannt ist. Man kann sich also vorstellen, wie die übrigen Gäste an jenem Abend aussahen: Viele Frauen trugen leuchtende Kleidungsstücke und funkelnde Accessoires. Einige Männer erschienen in schimmernden Anzügen und mit riesigen Sonnenbrillen. Im Gesamtbild muss es gewirkt haben, als wäre ich die kleine graue Lücke, die ein herausgebrochenes Spiegelstückchen auf einer Discokugel hinterlässt.

Obwohl ich die Mode um mich herum ziemlich grauenvoll fand, besonders die billig wirkenden Materialien und knappen, reizbetonten Schnitte der Kollektion, fühlte ich mich in meinen eigenen Kleidern plötzlich unwohl. Es war offensichtlich, dass ich gegen die Regeln verstoßen hatte, so gedankenlos gekleidet, wie ich aussah. Und während ich mich umblickte, sagte ich mir immer wieder: Wenn du wolltest, könntest du auch anders, nicht nur Jeans und Pulli, kreativer, schicker, vor allem stilvoller – nur, um mich sofort über meine Rechtfertigungsversuche vor mir selbst zu ärgern. Schließlich ziehe ich mich doch für mich selbst an, nicht für die Welt da draußen! Das dachte ich.

Wem wollen wir gefallen?

Ich bin noch nie in einem üppigen Tüllkleid beim Yoga oder im Badeanzug auf einer Hochzeit erschienen. Dafür sprinte ich hin und wieder in Schlafanzughose zur Post; und das fühlt sich meistens verboten an, so komfortabel die Hose auch ist. Wohlbefinden und Selbstbewusstsein bedingen sich eben nicht zwingend gegenseitig. In erster Linie liegt das an dem Kontext, den Mode braucht, um eine Berechtigung zu erhalten: Kleidung, die zuhause funktioniert, funktioniert noch lange nicht in der Öffentlichkeit. Und jedes Mal, wenn ich Arbeitskolleg*innen oder Freund*innen dann in meinem lockeren Aufzug zufällig bei der Post treffe, entschuldige ich mich spätestens in Satz zwei für die Hose. Meine von gesellschaftlichen Erwartungen ach so befreite Bequemlichkeit ist mir dann – ähnlich wie bei der Modenschau – plötzlich unangenehm.

Das ist die Macht, die Kleidung auf uns und unsere Gefühlswelt ausübt: Sie kann uns stärken oder schwächen, verleiht uns Selbstbewusstsein oder weckt Unsicherheit. Mode kann dort als Polster dienen, wo es an Selbstvertrauen mangelt. Ein fröhliches Kleid kann von einem betrübten Gemüt ablenken oder es gar aufheitern. Doch wer sich in Gummistiefeln auf einer Dinnerparty wiederfindet, fühlt sich mit diesem Schuhwerk schlichtweg fehl am Platz. Ich glaube Menschen jedenfalls nicht, wenn sie behaupten, ihnen wäre es völlig egal, was andere von ihrem Äußeren halten. Es liegt in unserer Natur, gefallen zu wollen. Die Frage ist nur: Wem eigentlich?

Abgrenzung und Differenzierung

Das Prinzip von Mode basiert auf einer vermeintlichen Gegensätzlichkeit: Sie ist gleichzeitig ein Mittel der Differenzierung und eines der Nachahmung. Dieses Phänomen hat der Philosoph Christian Garve bereits 1792 angedeutet. In seinem Werk „Über die Moden“ schreibt er:

Der gemeinschaftliche Ehrgeiz Vieler sucht sich ebensosehr durch ein ähnliches Äußeres von denen, die unter ihnen sind, zu unterscheiden, als die Zuneigung und Vertraulichkeit derer, die sich einander für gleich halten, sie bewegt, alle Unterschiede soviel als möglich zu vermeiden.

1905 wurde genau dieser Dualismus erneut von dem Philosophen und Soziologen Georg Simmel aufgegriffen. Garve und Simmel zufolge demonstrieren wir also mithilfe von Kleidung auf der einen Seite unsere Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, aber auch unsere Abgrenzung von einer anderen. Kurzum: Wir zeigen Haltung; heute mehr denn je, sehr deutlich zum Beispiel mit Statement-Shirts oder mit Farben – wie etwa zahlreiche US-Demokratinnen, die im Februar ganz in Weiß Trumps Rede zur Lage der Nation beigewohnt haben. Die Nichtfarbe spielte bereits innerhalb der Suffragetten-Bewegung eine Rolle, Hillary Clinton trug sie bei der Amtseinführung ihres ehemaligen Konkurrenten.

Dazugehören durch ein Shirt

Mit Kleidung zeigen wir häufig, wie wir zu einer Situation stehen oder uns ihr anpassen. Genauso, wie wir mithilfe von Trikots oder Ansteckern zeigen, dass wir diesen einen Sportverein verehren. Wenn wir uns nun wegen einer bevorstehenden Geburtstagsfeier Gedanken über unser Outfit machen, dann auch, weil wir es als höflich empfinden, der Gastgeberin dem Anlass entsprechend unter die Augen treten. Den Aufwand, den wir hinsichtlich unseres Äußeren betreiben, drückt an dieser Stelle ja auch unsere ganz persönliche Beziehung zu einer Person aus.

Das duale Prinzip von Mode existiert seit Beginn der Menschheitsgeschichte. Und auch wenn heute in jeglichen Bereichen nach Individualität gestrebt wird, haben wir das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Abgrenzung nicht abgelegt. Dabei kommt Zugehörigkeit auch nach wie vor eine große Bedeutung zu, auch wenn sie auf Abhängigkeit hinweist. Ich persönlich bin etwa eine große Verfechterin von Freundschaftsarmbändern und der Trainingsanzug meines ehemaligen Turnvereins liegt auch nach mehr als zehn Jahren noch irgendwo in einer Ecke meines Kleiderschrankes. Doch eigentlich reicht nur ein kurzer Blick auf Jugendkulturen des 21. Jahrhunderts, seien es Emos oder Hipster, um die Relevanz des Strebens nach Zugehörigkeit zu belegen.

Die Macht von Mode

Gleichzeitig wird jedoch die modische Abgrenzung von unserem Umfeld eingefordert und überprüft, ob sie gelungen ist. Das sieht man an Fragen wie: „Was ziehst du zu diesem oder jenem Anlass an?“ Oder: „Für wen hast du dich so schön gemacht?“ Wie könnte man auf letztere Frage je richtig antworten? Für mich selbst? Für die anderen? Während die eine Aussage Eitelkeit, wenn nicht sogar Arroganz impliziert, offenbart die andere Schwäche. Wer gibt schon gerne zu, dem Urteil der Gesellschaft so hilflos ausgeliefert zu sein? Dabei geht es kaum ohne eines. Denn ob wir wollen oder nicht, mit Kleidung provozieren wir Reaktionen. Häufig fordert unser Anblick andere sogar zum Vergleich heraus: Wem wurde noch nie vorgeworfen, sich für ein Abendessen, für eine Party, ja, einfach nur für einen gemeinsamen Spaziergang, „viel zu schick gemacht zu haben“? Wurdet ihr als Kinder für den Besuch bei Verwandten ganz besonders herausgeputzt?

So gern ich völlig befreit von ästhetischen Urteilen mein Leben bestreiten würde – ich versuche es zumindest hin und wieder mehr oder minder erfolgreich – so sehr weiß ich um Mode als soziales, duales Phänomen. Sie funktioniert nicht gänzlich unabhängig. Sie schafft einen Dialog zwischen dem Bild, das man von sich selbst hat und dem Eindruck, den andere von uns haben. Dieser Eindruck ist manchmal von Vorurteilen geprägt, oft aber auch von Anerkennung. Natürlich sollte man sich für sich selbst anziehen – doch spätestens mit dem Blick in den Spiegel öffnet man sich für eine zweite Perspektive: dieselbe, aus der uns auch andere betrachten. Den Rest der Welt beim Anziehen im Hinterkopf zu behalten mag vielleicht heißen, in gewissem Maße abhängig von gesellschaftlichen Erwartungen zu sein. Es bedeutet aber auch, sich nicht einfach zur Projektionsfläche machen zu lassen, sondern sich der Macht bewusst zu sein, ästhetische Urteile anderer auch lenken zu können.

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