In einer neuen Kampagne von Gillette ist das Curvy-Model Anna O’Brien zu sehen. Die Reaktionen darauf: Mal wieder viel offener Hass auf dicke Menschen, die es wagen, sich nicht für ihren Körper zu schämen, sondern stattdessen zeigen, dass sie sich wohlfühlen – das Shaming kommt oft in Form von vermeintlichen Gesundheitstipps.
Wie dürfen Menschen aussehen, die in der Öffentlichkeit stehen?
Wie darf ein Körper aussehen, so dass man sich in ihm wohlfühlen und er in der Öffentlichkeit stattfinden darf? Eine gute Antwort darauf wäre: Dafür gibt es keine Regeln. Aber die Wirklichkeit sieht deutlich anders aus. Ein Körper, gerade jener einer Frau, wird regelmäßig als Angriffsfläche genutzt. Ist dieser Körper dann nicht normschön, sondern zum Beispiel dick, werden die Kommentare schnell sehr heftig – obwohl der Begriff „Body-Positivity“ gerade omnipräsent ist. Doch auch die, die ihn so laut verkünden, sind kaum gewillt, ihn dann auch konsequent einzuhalten und allen Menschen wirlich „body-positive“ zu begegnen. Dieser Widerspruch zeigt sich an einer aktuellen Kampagne „My Skin, My Way“ des Rasierklingenherstellers Gillette, bei der es um die Vielfalt schöner Haut gehen soll, für die das Unternehmen – macht Sinn – ganz unterschiedlich aussehende Frauen verpflichtet hat
Eine von ihnen ist das Curvy-Model Anna O’Brien, die lachend im Bikini am Strand gezeigt wird. Eigentlich einfach ein tolles Bild, das viel Lebensfreude transportiert, also genau das, was Werbung in der Regel auslösen möchte und das noch mit einem erfolgreichen Model. Für ein Unternehmen könnte es eigentlich gar nicht besser laufen. Aber kaum wurde das Bild in den Social-Media-Kanälen gepostet, ging es auch schon los. Während dem Unternehmen gegenüber vor allem Unverständnis geäußert wurde und sich ein bis zwei Menschen dazu haben hinreißen lassen, so empört zu sein, dass sie angaben, nie wieder ein Produkt von Gillette kaufen wollen (Wow, so ein Schock), bekommt das Model den ganzen Hass ab. Weil sie dick ist. Und zwar dicker als jemand sein darf, der Werbung für einen großen Konzern machen darf und dafür auch noch im Bikini abgelichtet wird – so der Tenor von vielen, die hier mitmischen wollen.
Bild: Gilette Venus | Glitter + Lazer | Facebook
„Noch schlimmer als Werbung für Zigaretten“
Anstatt also einfach weiter zu scrollen, werden viele nicht müde zu schreiben, wie abgestoßen sie sich von Anna O’Briens Körper fühlen. Ein Kommentator findet die Werbung mit ihr sogar noch schlimmer als Werbung fürs Rauchen oder harte Drogen zu nehmen. Dass er nicht noch ein „noch schlimmer als Werbung für Waffen“ in die Runde schmiss, ist eigentlich noch alles. Andere prophezeien ihr mal so nebenbei den frühen Tod. Interessant ist, dass es tatsächlich mehr Kommentare zu ihrem vermeintlichen Gesundheitszustand als zum Ästhetischen zu geben scheint. Vielleicht ist das die Errungenschaft der Body-Positivity-Message (so far): Man arbeitet nun einfach mit scheinheiliger Besorgnis.
Die Abwertung von dicken Menschen kommt häufig Hand in Hand mit der Aussage: Das sei einfach nicht gesund. Man meine es ja nur gut … und tolerant, klar, das sei man auch – aber das ginge nun wirklich nicht. Und was vielleicht manchmal tatsächlich nicht böse gemeint ist, ist in den meisten Fällen eben einfach nur Abneigung gegen einen nicht normschönen Körper, die man feige in Gesundheitstipps verpackt. Da kann doch niemand etwas dagegen sagen! Die Sache ist nur die: Wer gesund ist und wer nicht, das können nur Ärzt*innen feststellen – und das auch nicht per Ferndiagnose. Auch wenn der Reiz offenbar hoch ist, dass ähnlich wie bei einer WM, bei der das halbe Land zum*r Fußballtrainer*in mutiert, bei dicken Menschen alle zu medizinischen Fachpersonal werden, ist das eben vor allem eines: heiße Luft. Aber eine, die extrem verletzend sein kann und weiter das Bild der per se kranken, faulen, schwitzenden Dicken reproduziert, das wir als Gesellschaft nicht müde werden am Leben zu halten. Dabei sind es auch oft diese Klischees, die dicke Menschen krank machen und nachweislich dazu führen können, dass Ärzt*innen zunächst falsche Diagnosen stellen.
Es geht nicht um die Gesundheit, sondern um die Abwertung dessen, was der Mensch repräsentiert
Ja, es gibt dicke Menschen, die krank sind, genauso wie es dünne Menschen gibt, die es ebenso sind. Von einem Körperbild sofort auf einen Gesundheitszustand schließen zu können, ist Humbug. Am Ende geht es bei diesen Äußerungen doch nicht darum, wer die Person ist, ob sie wirklich gesund oder krank ist, sondern darum sich in der Abneigung dem gegenüber zu suhlen, was ein dicker Mensch repräsentiert. Es geht um die Kontrolle darüber, wer bei uns gesellschaftliche Anerkennung bekommt und wer nicht. Wie darf ein Mensch aussehen, dass ihm Anerkennung gewehrt wird?
Und ist dieser Mensch, der vermeintlich aus diesem Raster herausfällt, dann nicht selbst vor Scham über den eigenen Körper zerfressen, sondern ganz im Gegenteil: ein glücklicher, zufriedener, selbstbewusster Mensch, der dick ist, oder sogar sehr dick, dann wirkt das auf viele immer noch wie die ultimative Provokation.
Die Unterstellung, dass Dicke nicht glücklich sein können, beschneidet den (emotionalen) Rahmen, in dem dicken Menschen gesellschaftlich erlaubt wird, sich zu bewegen, zu sein, zu fühlen. Und diese vermeintliche „Provokation“ des Glücklichseins multipliziert sich, sollte dieser Mensch dann auch noch Wertschätzung (und Geld) durch einen Werbedeal erlangen.
„I am ok“
Aber nicht nur die hässlichen Reaktion auf Anna O’Brien zeigen, wie wichtig es ist, dass wir diverse Menschen in der Werbung sehen dürfen. Nein, auch die vielen positiven Rückmeldungen, die es auf ihre Werbung gab, die sie verteidigten oder einfach nur froh waren, auch mal neue Körperbilder zu sehen.
Von denen gab es glücklicherweise auch genug. Kein Wunder, sie sind da draußen, die Menschen, die offen für Body-Positivity sind oder endlich auch mal Menschen wie sich selbst sehen wollen. Anna weiß das sicherlich schon lange, denn sie hat auf Instagram 374.000 Follower*innen. Und das setzte sie kürzlich auch die wichtigste Nachricht zum Thema ab, nachdem ihr Bild so zum Diskussionsstoff wurde: „I am ok.“ Nicht selbstverständlich – denn dass der Hass, der sich so leicht abladen lässt, auf Menschen aus Fleisch und Blut trifft, die verletzlich sind, wie wir alle, das wird leider immer wieder vergessen.
Artikelbild: Gillette Venus | Facebook
Mehr bei EDITION F
Was dicke Menschen wirklich krank macht, sind nicht die extra Kilos. Weiterlesen
Fat-Shaming: „Diese Schenkel sind zu fett, um Mode zu sein“ Weiterlesen
„Du darfst deine Cellulitis ruhig zum Kotzen finden“ – Body Neutrality statt Body Positivity? Weiterlesen