In ihrer Thirtysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche darüber, warum manche Frauen annehmen, Sex sei ganz selbstverständlich mit Schmerzen verbunden.
„Ich dachte, Sex wäre eben oft mit Schmerzen verbunden“
Erst kürzlich erzählte mir eine Freundin davon, dass sie während ihre ersten Erfahrungen mit Sex immer wieder Schmerzen hatte. Solche Schmerzen, dass sie nicht selten während dem Sex still weinte, die Zähne zusammenbiss und einfach darauf wartete, dass „es“ vorbei war. Und wenn ihr damaliger Freund fragte, was denn los sei, ob er etwas falsch mache, dann beruhigte sie ihn. Denn sie wusste schlicht auch nicht, was schief lief. Er war nicht grob zu ihr, sondern ihr tat die Penetration einfach weh, weil sie nicht genug Lust empfand, nicht feucht war. Und sie erzählte, dass sie sich nie ernsthafte Gedanken darüber gemacht hat, auch wegen des fehlendes Austauschs mit Freundinnen oder anderen Vertrauenspersonen. Das Thema, dass das nicht der Normalzustand ist, wurde verschämt ausgespart. „Ich dachte tatsächlich einfach, Sex wäre eben oft etwas Schmerzhaftes für Frauen. Oder zumindest für mich.“
Keinen Sex zu haben, war auch keine Option – schließlich liebte sie ihren Freund und wollte ihm nah sein. Und wenn es sein musste, dann um diesen Preis. Verwundert das, wenn in Frauenzeitschriften eher Tipps für den perfekten Blowjob stehen als dazu, wie Frauen sich selbst befriedigend können? Oder jungen Frauen auch heute noch erzählt wird, dass sie alle beim ersten Sex Schmerzen haben werden, das erste Mal immer weh tut und man blutet, man sie aber mit allem weiteren alleine lässt? Da liegt der Gedanke doch nahe, dass das auch so weitergehen könnte. Zudem schwirrt ja auch noch immer der „Fakt“ durch die Welt, Frauen hätten weniger Lust auf Sex als Männer – warum, wäre ja nun auch selbsterklärend.
Bis irgendwann klar wurde: Frauen können lustvollen Sex haben
Bis bei meiner Freundin irgendwann doch die Gespräche über Sex ins Rollen kamen und sie feststellte: Das ist nicht normal. Das muss nicht normal sein, wenn keine Erkrankung wie etwa eine Genito-Pelviner Schmerz-Penetrationsstörung vorliegt. Frauen können Sex ohne Schmerzen haben und Sex, der sich sogar richtig, richtig gut anfühlt. Einen Orgasmus! Auch diesen hielt sie bis dahin eher für einen Mythos – den weiblichen, selbstredend. Der männliche, das war klar, muss und sollte immer das Ende von Sex markieren. Frauen hingegen können so einen Orgasmus auch mal vortäuschen, laut stöhnen, damit der andere mehr Freude am Geschehen hat. So viel hatte sie gelernt. Dass es für mehr Spaß für sie selbst, aber unter anderem ein Vorspiel braucht, dass sie in Fahrt bringt, dass es für sie nirgendwohin führt, wenn ein Orgasmus vorgetäuscht wird, war bis dahin einfach unter den Tisch gefallen. Und auch ihr damaliger Freund schien sich damit nicht auseinandergesetzt zu haben.
Vielleicht weil Vorspiele für Frauen in klassischen Pornos, mit denen Jugendliche heute zwangsläufig konfrontiert und alleingelassen werden, nicht wirklich ein Thema sind. Vielleicht, weil auch er einfach noch nicht viele Erfahrungen hatte. Und vielleicht auch, weil von einer guten Aufklärung in Schulen noch immer nicht die Rede sein kann. Es scheint absurd, denn diese Freundin ist Anfang 20 – und damit in einem Alter, in einer Generation, von der wir immer so gerne behaupten, sie seien fast „zu gut“ und zu früh aufgeklärt. Aber der frühe Kontakt mit dem Thema Sex bringt nichts, wenn danach keine ehrliche Auseinandersetzung damit stattfindet.
Warum halten Frauen diese Schmerzen aus, ohne den Sex abzubrechen?
Aber die Frage ist ja nicht nur, wieso sie nicht mehr über Sex wusste, sondern vor allem: Wieso reagierte sie nicht auf ihre eigenen Schmerzen? Wieso hatte sie Sex, der sie zum Weinen brachte? Und warum sprach sie mit ihrem Freund nicht darüber? Alleine ist sie damit nicht, Studien zeigen, dass rund 30 Prozent der Frauen beim Sex Schmerzen haben, beim Anal-Sex sind es sogar 72 Prozent – sie haben ihn trotzdem und die meisten dieser Frauen sprechen darüber nicht mit ihrem (Sex-)Partner. Sie halten durch, halten aus, aus Liebe oder weil man es eben so macht. Und nicht selten auch, weil mit dem Schmerz auch eine Scham verbunden ist, genauso wie die Fragen: Liegt es nicht doch an mir? Liegt es an meinem Körper? Bin ich selbst schuld, dass ich keinen guten Sex haben kann?
Die Antwort darauf, wie es dazu kommen kann, ist offensichtlich sehr viel komplexer als: Sie traute sich wegen mangelndes Selbstvertrauens nicht, das Thema anzusprechen. Auch wenn das ein Teil der Antwort sein kann – viel relevanter ist aber, dass Frauen von klein auf lernen, wie Lili Loofbourow in einem sehr langen Stück für „The Week“ ausführt, dass Schmerzen Teil des Lebens einer Frau sind, dass der Orgasmus eines Mannes, die Lust eines Mannes sehr viel wichtiger sind, als die weibliche und dass das, was Frauen und Männer als „schlechten Sex“ empfinden, schockierend weit auseinandergeht.
Denn auch dazu gibt es Studien, die zeigen, dass sich für Männer schlechter Sex dadurch definiert, dass sie nicht kommen oder dass die Partnerin bzw. der Partner zu passiv ist. Für Frauen dagegen geht die Skala für „schlechten Sex“ wesentlich weiter, so verbinden sie ihn mit sehr schlechten emotionalen Erfahrungen und körperlichen Schmerzen. Vielmehr noch halten viele Frauen Sex sogar schon für gut, wenn sie keine Schmerzen haben. Das zeigt auch, warum es offensichtlich schwer ist, darüber zu sprechen, was „schlechter Sex“ eigentlich ist – die Wahrnehmung dessen ist offensichtlich grundlegend verschieden. Für viele Männer ist „schlechter“ Sex etwas Harmloses, maximal Frustrierendes, für Frauen kann es wesentlich mehr sein. Und es zeigt, wie Loofbourow schreibt, dass negative bis schmerzhafte Erfahrungen beim Sex keine Ausnahme, sondern sehr viel gewöhnlicher sind, als wir das gemeinhin annehmen. Genau deshalb können wir das Thema nicht ausklammern, genau deshalb ist es auch in der aktuellen Debatte so relevant.
Warum Frauen ihre Bedürfnisse hinter den Erwartungen anderer zurückstecken
Warum also, halten manche Frauen Schmerzen beim Sex aus, wieso verlassen sie nicht alle Situationen nicht, in denen sie sich unwohl fühlen? Wieso sagen sie nicht einfach „Nein, das möchte ich nicht“ oder „Ich fühle mich nicht wohl“. Es kann darauf einfach keine schnelle Antwort geben, auch wenn das derzeit immer wieder versucht wird. Aber vielleicht gehört dazu, dass nicht nur Schmerzen sehr viel verständlicher Teil ihres Lebens sind, etwa während der Periode, oder auch dadurch, dass von Frauen benannte Schmerzen in Krankheitsfällen häufig sehr viel später von Ärzten ernstgenommen werden als es bei einem Mann der Fall ist, sondern auch deshalb, weil Frauen auch im Alltag dazu erzogen werden, selbst dann zu suggerieren, sie würden sich wohlfühlen, wenn sie sich nicht wohlfühlen – etwa mit dem Tragen von High Heels oder engen Kleidern, in denen man sich kaum bewegen kann, um einem gelernten Schönheitsideal zu genügen, wie die Journalistin ausführt.
Ein interessanter Punkt, der weg von der Idee führt, dass Frauen in der Diskussion darum, warum sie nicht einfach Nein sagen, zu Opfern gemacht werden, die sich künstlich unmündig machen, sondern vielmehr, dass zeigt, wie viel weiter man denken sollte, bis hin zu dem Aspekt, dass Frauen möglicherweise auch durch eine entsprechende Sozialisation sehr viel „besser“ im Aushalten von negativen Erfahrungen sind und darin, ihre eigenen Bedürfnisse nicht so ernstzunehmen, wie das, was (vermeintlich) von ihnen in einer bestimmten Situation erwartet wird. Dass Grenzen dadurch schwieriger zu wahren sind und das Gefühl, sie nicht verteidigt zu haben, etwas erfahren zu haben, dass nicht okay ist, hinterher dennoch genauso einschlagen kann.
Grundsätzlich aber bleibt doch vor allem, dass es absurd ist, Frauen einfach nur zu sagen: „Sag halt nein, ansonsten bist du selbst schuld!“ Und das nicht nur, weil was für die eine leicht scheint, für die nächste eine riesen Herausforderung ist. Sondern auch, weil wir es uns damit zu einfach machen, und die Verantwortung für guten, konsensualen Sex nicht nur bei einer Person, sondern bei allen Beteiligten liegt – und die Basis dafür damit geschaffen werden muss, dass wir nicht weniger, sondern noch sehr viel mehr mit jungen Menschen über ihre Körper, über Sexualität sprechen müssen. Wissen ist Macht – und in diesem Fall führt die Macht zu sexueller Selbstbestimmung. Und damit zu besserem Sex für alle.
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