Ich bin umringt von starken Frauen, bei EDITION F, in meinem Freundeskreis und in Berlin. Woher zur Hölle nehmen die nur alle ihren Mut? Die Suche nach einer Antwort.
Berliner Existenzialismus
Keine meiner Freundinnen steht so sehr für Berlin wie Jule. Jule ist eigentlich die beste Freundin meines großen Bruders, sie nennt mich „kleine Schwester“. Früher verkörperte Jule für mich immer das große wilde Leben. Ich wollte irgendwann auch nach Berlin, auch ungestüm und frei sein, so wie Jule.
Mittlerweile lebe ich selbst hier, manchmal wild und frei, öfter geordnet und unaufgeregt. Ich kenne die Schattenseite, die diese Stadt mit sich bringt, ich kenne den Selbstverwirklichungsdrang und die permanente Angst etwas zu verpassen. In dieser Stadt, in der ich so oft nicht mehr die kleine Schwester sein will und in der ich es doch immer wieder bin. Momentan explodiert mein Kopf vor Fragen: Wer bin ich? Wer will ich sein? Was will ich machen? Was muss ich machen?
„Musik ist für mich wie Atmen“
Die Bewunderung für Jule ist groß geblieben, nur hat sich der Grund verschoben: Jule macht gerade das, was viele wollen, aber nur wenige sich trauen: Sie lebt für ihre Idee, hat dafür die Sicherheit einer Festanstellung aufgegeben und wagt es ab Ende August sogar, alles komplett auf eine Karte zu setzen: ihre Musik, LAINA.
Jule und Musik gehörten schon immer unzertrennlich zusammen. Der Musik gehörte ihr Herz, aber die meiste ihrer Zeit ging für das Grafikdesign-Studium und später das Agenturleben drauf. Auch jetzt reicht es deshalb nur für einen Anruf, für ein Treffen ist keine Zeit. Jule führt ein turbulentes Leben, das war schon immer so. Sie hat viel erlebt, schon viel durchgemacht, einfach war es selten. Das lag viel an den Umständen, aber auch an ihr. Jule ist ein besonderer Mensch.
Am Telefon frage ich sie, warum sie es wagt, die Sicherheit aufzugeben.
„Mir ist klar geworden, dass es einen Punkt im Leben geben muss, an dem man das macht, was man wirklich machen will. Wenn man scheitert, ok! Aber man muss es probiert haben. Außerdem hat man das, was ich für mich als Sicherheit definiere, sowieso nur, wenn man das tut, woran man glaubt.“
Was ist das eigentlich … Sicherheit?
Ich werde nachdenklich: Was gibt uns denn eigentlich Sicherheit? Der Alltag? Die Festanstellung? Das Gewohnte? Oder hat Jule vielleicht Recht: Sind wir am sichersten, wenn wir genau das tun, was wir lieben? Egal, wie unsicher die äußeren Umstände dann sind?
Wenn ich an die Zukunft denke, bin ich voller Ängste. Alle Entscheidungen wälze ich 1000 Mal hin und her. Ich frage mich: Hat Jule denn gar keine Angst?
„Doch, voll! Ich hab totale Panik davor, meine Gefühle mit so vielen Menschen zu teilen. Meine Musik, das bin komplett ich. Und klar, das Musikbusiness ist sehr hart. Aber ich muss einfach dran glauben.“
Jule hat also die gleiche Angst, die ich auch habe, die wir wahrscheinlich alle haben. Aber sie versucht es trotzdem. Das ist wohl ein Grund dafür, warum ich bei „starke Frauen“ und „Berlin“ sofort an sie denke.
Alles oder nichts!
Am Ende unseres Telefonats sagt sie noch, dass ihre Angst vor dem bevorstehenden Schritt mit der Angst vergleichbar ist, die man empfindet, wenn man dabei ist, sich zu verlieben. Angst, sich auf etwas einzulassen, das einen völlig einnehmen und – ziemlich sicher irgendwann – sehr verletzen wird. Diese Angst ist erdrückend, aber sie ist auch Ausdruck dafür, dass wir dabei sind, etwas sehr, sehr Gutes zu tun.
Alles oder nichts. Das hat Jule mit all den anderen starken Frauen gemeinsam, die ich in den letzten Monaten kennenlernen durfte, egal, ob sie für sich selbst, ihre Idee, unsere Gesellschaft, oder alles zusammen kämpfen. Wenn wir etwas bewegen wollen, müssen wir einfach loslegen, daran führt kein Weg vorbei. Aber wir sind nicht allein. Vielleicht kommt daher der Mut.
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