Foto: Stat-Up

Katharina Schüller: „Schwierige Situationen bieten die Chance zu persönlichem Wachstum“

Schüller gilt als Pionierin im Segment Statistical Consulting und Data Science. Im Interview spricht sie über gefälschte Statistiken und No-Gos für Chef*innen.

„Unglücklich war ich in meinem Job noch nie“

Katharina Schüller verfügt mit mehr als 17 Jahren Erfahrung im Bereich Advanced Analytics, Big Data und Künstliche Intelligenz sowie umfangreicher Projekterfahrung in zahlreichen Branchen über eine außergewöhnliche Expertise. Mit der Gründung von Stat-up 2003 gilt sie als eine der unternehmerischen Pionierinnen im Segment Statistical Consulting und Data Science.

Zuvor arbeitete sie für die Unternehmungsberatung KPMG im Information Risk Management sowie für ein mittelständisches Beratungsunternehmen. Ihr Studium der Psychologie und Statistik in Dresden und München wurde von der renommierten Bayerischen Elite-Akademie unterstützt.
Bekannt ist sie zudem durch zahlreiche Vorträge, Publikationen und Auszeichnungen, etwa durch die American Statistical Association. Auch die Zusammenarbeit mit Nobelpreisträger Kary Mullis (Chemie 1993) und mit Walter Krämer (Ökonom und Autor) ist Teil ihres Werdegangs. Sie übernahm die Jury-Leitung von Germany’s Annual Hedge Fund Award und war Vorsitzende der Konferenz Volatility Trading 2007 in London.

Schüller hat als Expertin mehrere Beiratsmandate in der Wirtschaft und politischen Gremien inne. Seit 2005 ist sie Lehrbeauftragte an verschiedenen Hochschulen, und 2019 wurde Schüller als Mitglied in die Vordenker-Community aufgenommen, eine Initiative von Handelsblatt und der Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG).

Das Gespräch führte Carina Kontio, Redakteurin bei Handelsblatt.

Frau Schüller, ich habe neulich beim Aufräumen meine Statistik-Formelsammlung wiedergefunden und staunte, dass ich das im Studium alles mal drauf hatte. Ehrlich gesagt: Ich war damals sehr froh, als ich meine Klausuren bestanden und die Scheine in der Tasche hatte. Woher kommt Ihre Faszination für Statistik?

„So ging es mir am Anfang auch, bis ich gesehen habe, was man mit Statistik alles machen kann. Für mich ist Statistik ein faszinierender Weg, die Welt zu verstehen, weil sie uns Mittel an die Hand gibt, aus vielen einzelnen Beobachtungen systematisch zu verstehen, wie alles zusammenhängt und wie wir es beeinflussen können.“

Sie gründeten noch im Studium 2003 eine Statistikberatung. Erklären Sie uns in zwei kurzen Sätzen, womit Ihr Unternehmen Geld verdient?

„Wir helfen unseren Kund*innen mit statistischen Methoden, Data Science und Künstlicher Intelligenz dabei, Datenschätze zu erkennen, zu sammeln, zu analysieren und daraus innovative neue Produkte und Services zu entwickeln. Unternehmen kommen zu uns, um Daten als werthaltige Ressource und Treiber kontinuierlicher Innovation souverän einsetzen zu können.“

Statistiken sind ja wie Bikinis, sie verstecken das Interessanteste – woran könnte ich eine gefälschte Statistik sofort erkennen?

„Die meisten Fälschungen sind ziemlich plump und mit einer Recherche nach den Daten und einfachem Nachrechnen schnell zu entlarven. Aber das ist nicht der springende Punkt. Die nötige Fähigkeit der Datenkompetenz hat sehr viel mit Haltung zu tun. Ich muss gewillt sein, Statistiken, die meine Erwartungen bestätigen, mindestens genauso kritisch zu hinterfragen wie solche, die zu ganz anderen Ergebnissen kommen.“

Wissen Sie noch, was Sie werden wollten, als Sie klein waren?

„Ich wollte Musikerin werden, weil ich begeistert Klavier gespielt habe.“

Wie fängt Ihr Tag an?

„Mit einer langen, heißen Dusche, viel Kaffee und einer Umarmung für meinen Jüngsten.“

Was machen Sie morgens als erstes im Büro?

„Ich begrüße meine Kolleg*innen und plane, was ich am Ende des Tages erreicht haben möchte. Der Weg dahin ergibt sich.“

Was sind Ihre Stärken?

„Neugier und Beharrlichkeit: Ich lasse oft nicht locker, bis ich rausgekriegt habe, was ich wissen will (manche nervt das). Ich kann Ordnung ins Chaos bringen, mag Menschen und begeistere sie gerne in meinen Vorträgen, im Beruf und Privatleben.“

Wer ist Ihr persönliches Rolemodel und warum?

„Ich habe mir früher oft gewünscht, ein Rolemodel zu haben, weil ich immer zu hören bekommen habe: Was du dir alles einbildest, wird nie funktionieren. Inzwischen sagen mir junge Frauen, ich sei ihr Rolemodel, was mich stolz, aber auch ein bisschen verlegen macht. Natürlich gibt es aber Menschen, die mich beeindrucken und begeistern, Florence Nightingale zum Beispiel. Ich halte sie für eine unfassbar visionäre und beharrliche Frau, die weit über ihren Tellerrand hinausgeschaut hat und die Statistik sehr kreativ eingesetzt hat, um das Leben vieler Menschen zu verbessern.“

Haben Sie ein persönliches Motto, das Sie antreibt und motiviert?

„Gott gebe mir den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

Bitte ergänzen Sie den Satz: Ich unterstütze meine Mitarbeiter*innen (Nachwuchskräfte, Kolleg*innen) in schwierigen Situationen, indem…

„… ich ihnen ein offenes Ohr anbiete und von eigenen Erfahrungen mit schwierigen Situationen erzähle. Besonders wichtig ist mir dabei, meinen Mitarbeiter*innen das Gefühl zu geben, dass schwierige Situationen die Chance zu persönlichem Wachstum bieten. Man kann sich nie sicher sein, ob man eine gute Lösung findet, aber das Entscheidende ist das Bemühen um eine Lösung und vor allem auch der Weg dahin.“

Angenommen eine Kollegin oder Mitarbeiterin denkt oft: „Ich verdiene den Erfolg gar nicht“, „Ich bin gar nicht gut genug“, „Das schaffe ich nie“, „Andere sind um Welten besser als ich…“ – Was raten Sie?

„Es kommt nicht unbedingt darauf an, wie gut du bist, wenn du gut bist, sondern wie gut du bist, wenn du schlecht bist. Damit meine ich, wir sehen oft nur die großen Erfolge anderer Menschen, aber nicht das tausendfache tägliche Scheitern. Die Erfahrung, sich durch solche Täler durchgekämpft zu haben, ist am Ende viel wichtiger als der eine strahlende Moment am Gipfel.“

Ein No-Go im Umgang mit Mitarbeiter*innen ist für mich…

„… Arroganz und jede Form von persönlicher Beleidigung oder Abwertung. Ich kann mit dem Verhalten eines*r Mitarbeiter*in unzufrieden sein, darf ihn als Menschen aber nicht in Frage stellen.“

Feedback ist für mich…

„… ein Geschenk von Menschen, denen etwas daran liegt, dass ich etwas dazulernen kann.“

Welches Tool ist bei der Arbeit für Sie unverzichtbar?

„Mein Notebook, mein Handy und ein altmodisches Notizbuch für schnelle Visualisierungen von Analyse-Konzepten.“

Ihr persönlicher Produktivitätskiller?

„Wenn ich Hunger habe, weil ich keine Zeit zum Essen hatte, werde ich ziemlich schnell unproduktiv.“

Über ihre Erfolge sollten Frauen…

„… sich uneingeschränkt freuen, offen darüber reden und sie als Ansporn sehen, das Beste aus sich herauszuholen. Mir ist es auch wichtig, dass fast 50 Prozent meines Teams aus Frauen besteht – auch auf der Führungsebene.“

Her mit dem Geld: Ihr Ratschlag an andere Frauen für Gehaltsverhandlungen?

„Seht das ein bisschen sportlicher. Traut euch zu verhandeln, weil ihr immer gewinnt: entweder Geld oder wertvolle Erfahrung für die nächste Verhandlung.“

Verbündete und Mentor*innen finde ich, indem…

„… ich mich aktiv in meinen Netzwerken einbringe, oft ohne konkrete Erwartungshaltung. Menschen spüren, wenn jemand mit Spaß bei der Sache ist, und dann kommen die richtigen Verbündeten automatisch auf einen zu.“

Der größte Benefit, den Sie bisher aus einem Ihrer Netzwerke gezogen haben

„Die Möglichkeit, als Alumna und Jurorin der Bayerischen Elite-Akademie bei der Auswahl der neuen Stipendiaten mitzuwirken, ist für mich eine großartige Übung in Zuhören und Empathie. Die Auswahlwochenenden sind Highlights meines Jahres.“

In Konfliktsituationen bin ich…

„… konsequent lösungsorientiert, das bedeutet, dass ich einen möglichen persönlichen Konflikt von der Sache trenne und den zuerst anspreche. Es bringt gar nichts, Sachargumente auszutauschen, solange das Zwischenmenschliche nicht geklärt ist. Das braucht manchmal einfach seine Zeit, aber die eröffnet einem neue Handlungsoptionen.“

Pannen sind…

„… Chancen, gute Geschichten zu werden, die ich später meinen Enkeln erzählen kann. Ich erinnere mich an eine renommierte Finanzkonferenz in New Orleans, für die mein Vortrag akzeptiert wurde. Ich lief in Business-Anzug und pinkfarbenen Flip-Flops zum Veranstaltungsort, weil es so heiß war und die Straßen so holprig, die schicken High Heels in der Handtasche. Leider habe ich dann vergessen, die Schuhe zu wechseln, bevor ich auf die Bühne ging… So viele Komplimente für mein cooles Outfit habe ich nie wieder bekommen.“

Auf welche Fehlentscheidung hätten Sie rückblickend trotzdem gerne verzichtet?

„Ich habe eine Mitarbeiterin viel zu lange behalten, die zwar fachlich brillant war, aber nicht zu unserer Firmenkultur gepasst hat. Andererseits – das war der beste Weg, um zu lernen, wie wichtig gemeinsame Wertvorstellungen sind.“

Wenn ich mich bei Ihren Freunden erkundigen würde: Für welche alternativen Karriereoptionen wären Sie geeignet?

„Musikerin. Vielleicht mache ich das auch, wenn ich zu alt für die Statistik bin, aber dann nicht mehr am Klavier, sondern am Saxophon.“

Wie gehen Sie mit Stress um?

„Ich treibe viel Sport, spiele in einer Jazzband und kann glücklicherweise in fast jeder Lage schlafen.“

Nein sagen sollten Frauen zu…

„… anderen Menschen, die ihnen einreden wollen, wie sie ihr Leben als Frauen zu leben haben. Als beruflich erfolgreiche, vielseitig engagierte Frau, die ,nebenbei‘ noch vier wunderbare Kinder großgezogen hat, musste ich mich oft gegen derartige Übergriffe zur Wehr setzen. Solchen Menschen sollten Frauen sofort die rote Karte zeigen.“

Sie merken, dass Sie unglücklich sind in Ihrem Job. Was tun Sie?

„In meinem Job habe ich meine Berufung gefunden, und dafür bin ich außerordentlich dankbar. Es liegt mir persönlich am Herzen, meinen Beitrag zur Data Literacy beziehungsweise Datenkompetenz zu leisten, weil statistisches Denken, also der vernünftige Umgang mit Risiken und Unsicherheiten eine Kernkompetenz in einer modernen digitalisierten Welt darstellt und weil ich überzeugt bin, dass wir nur durch einen reflektierten Umgang mit Daten nachhaltigen Wert schaffen können. Das rufe ich mir ins Bewusstsein, wenn ich mit einer momentanen Situation unzufrieden bin. Unglücklich war ich in meinem Job noch nie.“

Ein Satz, den eine gute Führungskraft niemals sagen würde?

„Lassen Sie mich mit Ihrem Scheiß in Ruhe.“

Anderen Chef*innen würde ich gerne sagen, …

„… dass es sich lohnt, viel mehr Entscheidungen im Team zu treffen.“

Wie schalten Sie abends ab, und wann gehen Sie ins Bett?

„Meistens gehe ich viel zu spät ins Bett, weil es noch etwas in der Familie zu besprechen gibt, weil ich abends etwas mit Freund*innen unternehme oder mich nicht von einem spannenden Roman losreißen kann. Aufs Tagebuch-Schreiben würde ich aber nie verzichten, das hilft mir beim Runterkommen.“

Frau Schüller, vielen Dank für dieses Interview.

Das Gespräch führte Carina Kontio, Redakteurin bei Handelsblatt. Mehr Interviews zu Diversity, Management und Leadership findet ihr im Handelsblatt-Special „Shift“. Carina hat außerdem eine Karriere-Kolumne bei Audible.

Mehr bei EDITION F:

Drei Gründerinnen erzählen, was ihnen den Mut gab, ein Unternehmen aufzubauen. Weiterlesen

Mein Tipp an Führungskräfte: Denken Sie mal daran zurück, was Sie früher an Ihren Chef*innen kritisiert haben. Weiterlesen

Das sind die 100 wichtigsten Top-Managerinnen in Deutschland. Weiterlesen

Anzeige