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Eskalation beim Kofferpacken: „Dieses Mal nehmen wir wirklich nur das Nötigste mit“

Jeden Sommer das gleiche Ritual: Das Auto für den Urlaub mit Gepäck beladen, bis die Türen nicht mehr schließen. Unsere Kolumnistin Nathalie Weidenfeld skizziert die Stufen des Wahnsinns.

Nur nicht so wie im letzten Jahr!

Wir fahren in Urlaub. Wie jedes Jahr. Wie jedes Jahr fahren wir dabei mit dem Auto.

„Aber diesmal nehmt ihr wirklich nur das absolut Unverzichtbare mit“, sagt mein Mann. „Nur nicht wieder so wie letztes Jahr!“

„Nein“, sage ich und lache, „Nur nicht wieder so wie letztes Jahr. Weißt du noch, wie wir uns gestritten haben und du dich dann geweigert hast loszufahren, weil nicht alles ins Auto passte?“

Jetzt muss auch mein Mann lachen. Gefahren sind wir dann natürlich doch. Die Kinder mussten nur ihre Füße auf Taschen abstützen und ich meine Beine während der Fahrt auf das Armaturenbrett legen.

Am Tag der Abreise ist es soweit.

„Stell einfach alle Koffer schon mal auf den Bürgersteig“, sagt mein Mann, „Ich packe alles ein.“

„Gut“, sage ich und komme kurz darauf mit meinen Rollkoffer heraus.

„Eine weiche Tasche wäre mir lieber“, sagt mein Mann, „Ist platzsparender, weißt du.“

„Ich weiß, Schatz“, antworte ich, „aber bei den normalen Tragetaschen tut mir der Rücken immer so weh.“

Mein Mann nickt verständnisvoll. Kurz darauf kommen die Kinder mit ihren beiden Rollkoffern auf die Strasse.

„Die haben auch schon diese Dinger? Was ist mit den kleinen Diosaurier-Koffern?“, fragt mein Mann.

Carlotta stöhnt. „Mann Papa,“ sagt sie, „den hab ich doch schon nicht mehr seit ich sechs bin!“

Mein Mann seufzt und hievt die beiden Koffer neben meinen Koffer in den Kofferraum.

„Hier“, sage ich und händige meinen Mann den Sonnenschirm, die Kühltasche und die Schwimmflossen aus, „die passen doch da wunderbar in die Ecke!“

„Ein Sonnenschirm?“, fragt mein Mann.

„Ja, ein Sonnenschirm“, sage ich. „Den braucht man wenn man in Griechenland bei 40 Grad im Schatten keinen Hirnschlag bekommen will.“

„Und das? Sind das Schwimmflossen?“, fragt er und deutet auf die Schwimmflossen. Wenn ich eines hasse, dann sind das rhetorische Fragen.

„Ja, Schwimmflossen“, sage ich gereizt, „Aber wenn du es mit deinem ökologischen Gewissen vereinbaren kannst, dass jedes Jahr hunderte von Quadratkilometer Tropenwald abgeholzt werden, nur weil dämliche Urlauber jedes Jahr neue Schwimmflossen aus Kautschuk kaufen müssen, dann können wir sie auch hier lassen.“

Mein Mann sieht mich unfreundlich an und meint, dass die Schwimmflossen von ihm aus mitkönnten, er aber nicht wisse wohin, weil der Kofferraum jetzt voll sei.

„Dann tu doch das da raus“, sage ich und zeige auf einen riesigen schwarzen Koffer, der im Kofferraum liegt. „Was ist das überhaupt?“

„Der Koffer mit meinen Bücher!“, sagt mein Mann, „Zufällig leite ich einen Verlag, da muss man ab und zu auch Bücher lesen.“

Ich murmle etwas von Urlaub und dass man da nicht arbeiten soll und gehe ins Haus, um die Reiseapothekentasche zu holen. Als er mich damit rauskommen sieht, winkt mein Mann energisch ab, als sei er ein Straßenpolizist der den Verkehr regeln muss.

„Nein!“, sagt der Straßenpolizist.

„Nein?“, frage ich. (Ich kann nämlich auch rhetorische Fragen stellen, wenn ich will)

„Dir ist schon bewusst, dass Carlotta jedes Mal im Urlaub Streptokocken bekommt und dann wieder Antibiotika braucht. Oder kannst du etwa ,Streptokoken‘ auf Neugriechisch sagen?“

Wenn er ein Straßenpolizist ist, bin ich ein Gepard. Ein Gepard der ihm am liebsten in den Nacken springen würde.

„He“, ruft Carlotta ihrer kleinen Schwester Bärbel zu, „Mama und Papa streiten sich wieder wegen der Koffer“

„Wegen den Koffern heißt das!“, zische ich.

Dann stopft Carlotta eine große rote Stofftasche in den Kofferraum.

„Wir haben keinen Platz mehr!“, bellt der Straßenpolizist.

„Die muss aber mit!“, sagt Carlotta.

„Was ist da überhaupt dein?“, fragt der Straßenpolizist und reißt den Reissverschluß der Tasche auf. In dem Moment fallen ihm die blaue Stoffanaconda, der Tiger, der rote Drache und die zwei gestreiften Lemuren entgegen.

„Kuscheltiere?“, fragt der Polizist.

„An was hattest du sonst gedacht?“, frage ich, „Kokain?“

„Was ist Kokain?,“ fragt Bärbel.

„Nichts!“, sagt der Polizist.

„Kokain ist ein Rauschmittel“, sagt der Gepard.

„Was ist ein Rauschmittel?“, fragt Bärbel.

In diesem Moment kommt Frau Greiner, die Nachbarin. Sie passt in der Zwischenzeit auf die Katzen auf, deshalb muss man besonders nett zu ihr sein.

„Frau Greiner wie geht es Ihnen?“, säusle ich.

„Ich will meine Stofftiere!“, schreit Carlotta.

„Du bist zwölf“, schreit der Polizist, „Da braucht man keine Kuscheltiere, außer man ist regressiv.“

Carlotta fängt an zu weinen.

„Was heißt „regressiv?“, fragt Bärbel.

„Alles in Ordnung bei Ihnen?“, fragt Frau Greiner.

„Alles bestens“, sage ich.

Unterdessen hat mein Mann angefangen, die Koffer wieder aus dem Kofferraum zu holen.

„Was machst du?“, schreie ich.

„Umpacken!“

„Nur wegen der Stofftiere?“, frage ich ungläubig.

„Wegen den Stofftieren!“, sagt Carlotta.

„Quetsch sie doch in den Dachträger!“, sage ich.

„Der Dachträger ist voll!“, schreit mein Mann.

„Voll?“, frage ich, weil ich jetzt langsam so richtig auf den Geschmack der rhetorischen Fragen gekommen bin.

„Unsinn“, sage ich und steige beherzt auf den Sitz. Ich öffne den Dachträger. Mehrere Taschen fallen mir entgegen.

„Vorsicht!“, ruft der Straßenpolizist.

Doch es ist zu spät. Begraben unter Taschen liege ich am Boden.

„Mama!“, schreien die Kinder.

„Du lieber Himmel!“, ruft Frau Greiner.

„Alles bestens“, sage ich und krieche unter den Koffern langsam an die Oberfläche.

Die Koffer haben nun das Kommando übernommen. Sie verdoppeln sich, verdreifachen sich, ein riesiger Kofferberg baut sich vor unseren Augen auf. Stofflemuren toben auf ihm herum und schreien.

Frau Greiner hat sich in ihrem Haus verschanzt. Die Polizei ist verständigt. Nun rückt die Feuerwehr an. Hubschrauber umkreisen unser Haus. Nach einem Großeinsatz, der mehrere Stunden dauert, wird der Kofferberg schließlich abgetragen.

Die Kinder liegen erschöpft auf dem Bürgersteig. Mein Mann sieht zu wie die Feuerwehr abrückt..

„So können wir nicht in den Urlaub fahren!“, sagt er.

Wir setzen uns auf den Bürgersteig vor unserem Haus  und  starren den grauen Asphalt an.

„Die Kuscheltiere könnten auf den Beifahrersitz gehen“, sage ich schließlich, „Nur ich müsste dann halt einfach zu Hause bleiben.“

„Wenn du da bleibst, bleibe ich auch da“, sagt mein Mann.

„Ich auch!“, sagt Carlotta.

„Ich auch!“, sagt Bärbel.

„Zumindest  können dann die Sonnenschirme mit den Flossen Urlaub machen“, sage ich.

Da müssen wir alle lachen.

Irgendwie haben wir dann doch alles reinbekommen. Es wurde nur ein bisschen eng, wie immer halt. Die Kinder mussten ihre Füße auf Taschen abstützen und ich meine Beine während der Fahrt auf das Armaturenbrett legen. Aber im nächsten Jahr wird alles anders.

Ganz bestimmt.


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