Am Donnerstag geht in den USA der Vorwahlkampf der Demokraten in die nächste Runde – unsere Community-Autorin hat sich angesehen, mit welchen Herausforderungen die Frauen, die es in die TV-Debattenrunde geschafft haben, konfrontiert sind.
Der Frauenanteil steigt
Am 12. September geht der Vorwahlkampf der Demokratischen Partei in die nächste Runde: In Houston, Texas, treffen zehn Kandidat*innen zum dritten Mal in einer Debattenrunde aufeinander mit dem Ziel, sich innerhalb des großen Kandidat*innenfeldes Gehör zu verschaffen, um dann von den Wähler*innen nominiert zu werden und im Sommer 2020 gegen Donald Trump anzutreten. So weit, so unaufregend. Doch in diesem Jahr lohnt es sich ganz besonders, einen näheren Blick auf das Bewerber*innenfeld zu werfen. Der Vorwahlkampf begann mit sechs Frauen, die um die Nominierung kämpften. Drei von ihnen haben sich basierend auf Umfragewerten und Spendeneinnahmen für die Debatte im September qualifiziert, eine von ihnen hat ihre Kampagne schon beendet. Wer sind die Kandidatinnen und mit welchen Herausforderungen sehen sie sich konfrontiert?
Frauen als Kandidatinnen – eher Ausnahme als Regel
Nachdem Hillary Clinton den Vorwahlkampf 2008 gegen Barack Obama noch verloren hatte, setzte sie sich 2016 gegen Bernie Sanders durch und sicherte sich somit als erste Frau einer der beiden großen Parteien in den USA die Nominierung als Präsidentschaftskandidatin. Bis dahin war es Frauen zwar schon gelungen, als Kandidatin für das Amt der Vize-Präsidentin nominiert zu werden (Geraldine Ferraro 1984 für die Demokraten; Sarah Palin 2008 für die Republikaner), doch wirkten Frauen in solch hohen Machtpositionen im männlich dominierten Politikbetrieb von Washington D.C. immer eher als eine Anomalie und nicht als eine Selbstverständlichkeit. Chancenlose kleine Parteien nominierten zwar munter Frauen als Präsidentschaftskandidatinnen, diese konnten jedoch immer nur einen marginalen Stimmenanteil auf sich verbuchen. In diesem Jahr jedoch ist der Demokratische Vorwahlkampf gleich von sechs Frauen geprägt, eine bisher nie dagewesene Anzahl.
Elizabeth Warren
Die 70-jährige Senatorin aus Massachusetts und ehemalige Harvard-Professorin wird dem links-progressiven Flügel der Partei zugeordnet und ist fokussiert auf Themen wie Einkommensungleichheit, die Stärkung der Mittelklasse oder den Kampf gegen Korruption. Vermutlich gibt es kein Politikfeld, für das Warren nicht einen langen und detaillierten Plan in der Tasche und auf ihrer Webseite hat – eine Tatsache, die von ihren Anhänger*innen geschätzt wird und die vielleicht auch ein Grund ist, warum ihre Umfragewerte stetig steigen. Ihr größter innerparteilicher Konkurrent ist Bernie Sanders, dem sie ideologisch sehr nahesteht. In Umfragen steht sie aktuell zwischen neun und 20 Prozent und damit regelmäßig in den Top 3 der Demokraten. In der Kritik steht Warren aufgrund eines DNA-Tests, den sie durchgeführt hat um ihre Behauptung zu untermauern, indigener Abstammung zu sein. Vertreter des Stammes der Cherokee hatten den DNA-Test „nutzlos“ genannt und sahen ihn als keinen Beweis für eine Stammeszugehörigkeit, die ihre Wurzeln in jahrhundertealter Kultur habe. Trump bezeichnet Warren seither in seinen Tweets regelmäßig rassistisch und abwertend als „Pocahontas“. Für den DNA-Test hat sich Warren mittlerweile entschuldigt und versprochen, die Anliegen der indigenen Völker Teil ihrer Politik zu machen.
Kamala Harris
Die 54-jährige Senatorin aus Kalifornien war vor ihrem Einzug in den Senat 2016 die Generalstaatsanwältin in Kalifornien und wurde in den USA vor allem durch ihre gezielte Befragung in den Senatsanhörungen von Supreme Court Richter Brett Kavanaugh und Justizministern Jeff Sessions und William Barr bekannt, sowie durch ihren Auftritt in der ersten TV-Debatte der Demokraten. Ihr dortiger Angriff auf Joe Biden und dessen politische Arbeit hinterließ kurzfristig Eindruck in den Umfragewerten und sorgte für einen Spendenregen. Harris ist die einzige Afro-Amerikanerin, Tochter von indischen und jamaikanischen Einwanderern, unter den Kandidatinnen. Ihr politischer Fokus liegt unter anderem auf der Durchsetzung von Bürger*innenrechten, der Einkommensungleichheit und der Einwanderungspolitik, sie sieht sich im Bewerber*innenfeld als eine Vertreterin des progressiven Flügels. Ihre Kritiker*innen halten ihr jedoch vor, in ihrer Arbeit als Generalstaatsanwältin von Kalifornien zu konservativ agiert zu haben und somit nicht als glaubwürdige Kandidatin für eine progressive Politikagenda fungieren zu können. In Umfragewerten liegt sie zwischen vier und elf Prozent und konnte sich für die Debatte in Houston qualifizieren.
Amy Klobuchar
Die 59-jährige Senatorin aus Minnesota und ehemalige Anwältin wird der moderaten Mitte zugerechnet und will durch ihre Kandidatur die ländlichen Staaten in der Mitte des Landes wieder für die Demokraten zurückerobern, die 2016 an die Republikaner verloren gingen. In Minnesota gewann Klobuchar in ihrem Senatsrennen mit ihrer pragmatischen und parteiübergreifenden Politik viele Landkreise, die 2016 auch für Trump gestimmt hatten. Ihr Programm ist unter anderem fokussiert auf die Bekämpfung der Opioid-Krise, Infrastruktur oder auch Verbraucherschutz. In der Kritik stand Klobuchar aufgrund ihrer angeblich harschen Umfangsformen mit ihrem Team. In den Umfragen steht sie aktuell zwischen ein und zwei Prozent und wird an der Debatte teilnehmen.
Tulsi Gabbard
Die 38-jährige Abgeordnete des Repräsentantenhauses vertritt Hawaiis 2. Kongresswahlbezirk und ist nicht nur die erste Hindu im Kongress, sondern auch eine von zwei Frauen im Kongress mit Kampferfahrung aufgrund ihrer Tätigkeit als Major in der Nationalgarde von Hawaii. Auch aufgrund dieser Erfahrung hat Gabbard den Schwerpunkt ihrer Kampagne auf die Außenpolitik gelegt und steht den Auslandseinsätzen der USA kritisch bis ablehnend gegenüber. 2016 hat sie noch Bernie Sanders im Vorwahlkampf unterstützt, aktuell sind ihre Umfragewerte bei einem Prozent und sie hat sich nicht für die Debatte qualifiziert. In der Kritik stand Gabbard unter anderem für ein Treffen mit Bashar al-Assad und ihre Arbeit für die anti-LGBTQ-Organisation „Alliance for Traditional Marriage“ und ihre damit verbundenen Äußerungen, für die sie sich Anfang des Jahres dann entschuldigt hat.
Kirsten Gillibrand
Die 52-jährige Senatorin aus New York war anfangs eher dem moderat-konservativen Flügel der Partei zuzurechnen, seit ihrem Einzug in den Senat 2009 jedoch vertritt sie eine zunehmend progressivere Politik, besonders hinsichtlich der Waffengesetzgebung und Einwanderungspolitik. Im Zuge der #MeToo-Bewegung hat sich Gillibrand klar positioniert und auch nicht davor zurückgeschreckt, ihren Senatskollegen Al Franken als erste Senatorin zum Rücktritt aufzufordern, nachdem Vorwürfe der Belästigung gegen ihn laut geworden waren. Ihre Kampagne war somit auch die am deutlichsten feministische und scheute nicht davor zurück, Frauen und Frauenpolitik zu ihrem Mittelpunkt zu machen unter dem Titel „Women Plus”. In nationalen Umfragen schaffte es Gillibrand jedoch kaum über die Ein-Prozent-Marke, und nachdem sie sich nicht für die Debatte in Houston qualifizieren konnte, beendete sie ihren Wahlkampf im August.
Marianne Williamson
Die 67-jährige Williamson ist eine erfolgreiche Autorin im Bereich „Self Help“ und „New Age“. Abgesehen von einer verlorenen Vorwahl für den Kongresssitz des 33. Distrikts in Kalifornien hat Williamson keine politische Erfahrung, aber ist dafür befreundet mit Oprah Winfrey. Der Fokus ihrer Kampagne liegt auf einer moralischen Spiritualität, mit mehr Liebe und Frieden möchte sie Trump an der Wahlurne besiegen und den spirituellen und moralischen Verfall in Washington aufhalten. In nationalen Umfragen befindet sie sich aktuell zwischen null und einem Prozent und ist nicht für die Debatten qualifiziert.
Im Vergleich zu 2016 ist die Bandbreite an Frauen auffallend, die um die Nominierung kämpfen. Es wird ein größeres politisches Spektrum vertreten und egal ob Professorin, Mitglied des Militärs, Life Coach oder Anwältin, Afro-Amerikanerin oder Hindu – die Partei besteht 2019 aus mehr als nur einer weißen Frau.
Hat sich nun also ein Stück Normalität im amerikanischen Vorwahlkampf eingefunden?
Zwar treten mehr Frauen an, dennoch treibt die Wähler*innenbasis die Frage um, ob das Land wirklich bereit ist, eine Frau zur Präsidentin zu wählen. Clinton erhielt 2016 zwar mehr Stimmen als Donald Trump, allerdings in den ohnehin schon demokratischen Hochburgen und nicht in den ländlichen Gebieten, die für sie und im amerikanischen Wahlsystem von Bedeutung sind. Ein bestimmendes und zugleich schwer bestimmbares Thema des Vorwahlkampfes ist daher aktuell „Wählbarkeit“: Welcher Kandidat oder welche Kandidatin erscheint für die Amerikaner als am ehesten wählbar angesichts der politischen Lage und Polarisierung in den USA? Noch scheint hier in Umfragen der ehemalige Vize-Präsident Joe Biden die Nase vorn zu haben, an der Basis ist er nach den Obama-Jahren noch sehr beliebt und sein Name hat einen hohen Wiedererkennungswert. Dem 76-jährigen Biden wird anscheinend zugetraut, die zu Trump übergelaufenen Wähler*innen wieder für die Demokraten interessieren zu können oder zumindest im ländlichen Raum mit seiner Kandidatur zu punkten. Dennoch merken viele Demokrat*innen an der Basis an, dass „wählbar“ anscheinend das Codewort für weiß, alt und männlich ist. Denn auch Amy Klobuchar wird der moderaten Mitte zugerechnet und kann zudem Wahlerfolge in konservativen Regionen eines wichtigen Staats vorweisen, allerdings scheint ihr dies in der öffentlichen Debatte keinen Bonus in der Kategorie „Wählbarkeit“ zu verschaffen.
Double Standard?
Trotz der Sympathien für Joe Biden an der Basis wird auch kritisch hinterfragt, ob ein Kandidat wie Biden, der auch durch seine teils übergriffige Umgangsart mit Frauen, seine Wahlkampfpatzer und seine angreifbare politische Vergangenheit (man denke nur an die Anhörung von Anita Hill im Senat) bei den Parteiaktivist*innen umstritten ist, die richtige Person für einen hitzigen Wahlkampf in einer durch #MeToo sensibilisierten Gesellschaft zu sein. Könnte er es wirklich schaffen, wichtige Wähler*innengruppen der Demokraten wie Frauen, junge Wähler und Minderheiten in einem hohen Maße zu mobilisieren? Bisher wurde Biden noch jeder Patzer verziehen, während sich ein Artikel nach dem nächsten mit der Frage beschäftigt, ob sich Elizabeth Warren jemals wieder von der Diskussion um ihren DNA-Test lösen kann. Die Grundfrage bleibt also bis zu den ersten Vorwahlen, die am 3. Februar in Iowa beginnen, bestehen: Wer kann die Wählerbasis am erfolgreichsten mobilisieren?
Yes, we can!
Natürlich bedeutet die Kandidatur von Frauen nicht automatisch, dass sich die Kandidatinnen auch für eine progressive Frauenpolitik engagieren. Dennoch macht es einen Unterschied, ob es sich im Vorwahlkampf nur um eine einzige Frau handelt, die als Ausnahme abgetan werden kann, oder ob es sich um ein halbes Dutzend Frauen handelt. Denn durch die Präsenz von Frauen im Wahlkampf wird auch die politische Teilhabe von Frauen selbstverständlicher und ebnet ihnen den Weg im politischen System. Es muss nicht mehr eine einzige Frau für vermeintlich alle Frauen einstehen, sondern Kandidatinnen können als Individuen und aufgrund ihrer politischen Inhalte bewertet werden. Deutlich wurde dies schon in den Zwischenwahlen 2018, die bestimmt waren vom Engagement der demokratischen Wählerinnen und Kandidatinnen. Und was nicht vergessen werden sollte: Schon einmal gab es einen Kandidaten, der für viele Amerikaner zu Beginn als ganz und gar unwählbar galt – eben weil ein Kandidat wie er es noch nie ins Weiße Haus geschafft hatte. Sein Name? Barack Obama.
Sarah Wagner hat Politikwissenschaft in Deutschland und den USA studiert und arbeitet bei der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz, einer gemeinnützigen Bildungseinrichtung, als Bildungsreferentin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die amerikanische Innenpolitik, hier vor allem die Demokratische Partei, die zivil-militärischen Beziehungen und die transatlantischen Beziehungen.