Als Kind hätte Laura Wirtz gerne die Tagesschau moderiert. Heute verantwortet sie die Strategie der ING-Deutschland. Ein Gespräch über Karriere und Frauen im Finanzsektor.
Im Bankensektor geht es um mehr als Zahlen
Eigentlich wollte sie als Kind noch Nachrichtensprecherin werden, heute ist Laura Wirtz Head of Strategy der Frankfurter Direktbank ING-Deutschland. Sie ist verantwortlich für die Entwicklung und Umsetzung strategischer Initiativen einschließlich der agilen Transformation der Bank.
Die 38-Jährige verfügt über 15 Jahre Erfahrung im Bankensektor mit tiefgehender Expertise im Privatkunden- und Firmenkundengeschäft. Auf der anderen Seite ist sie dreifache Mutter und genießt die Zeit mit ihrer Familie. Damit Wirtz wieder Vollzeit arbeiten kann, hat ihr Mann im Gegenzug seine Arbeitszeit reduziert und kümmert sich nachmittags um die Kinder.
Gerade wurde Laura Wirtz als Mitglied in die diesjährige Vordenker-Community aufgenommen, eine Initiative von Handelsblatt und der Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG). Wir sprechen mit ihr über ihren persönlichen Karriereweg, Frauen im Finanzsektor und die Bedeutung von Fehlentscheidungen.
Das Gespräch führte Carina Kontio, Redakteurin bei Handelsblatt.
Liebe Frau Wirtz, in Ihrem LinkedIn-Profil steht als Titel „Head of Strategy / Lead Center of Expertise Strategy & Business Development“ – können Sie uns Ihren Job beschreiben, ohne die Marketingsprache Ihres Unternehmens zu nutzen?
„Wir sind dafür zuständig, strategisch wichtige Themen zu identifizieren, sie zu durchdringen und den Vorstand, die Führungskräfte und Mitarbeiter*innen zu diesen Themen zu beraten sowie Innovationen in der Bank voranzutreiben. Darüber hinaus kümmern wir uns auch um Unternehmensbeteiligungen, das Scouting und den Aufbau strategischer Kooperationen mit Fintechs und anderen Unternehmen, sowie den Aufbau neuer Geschäftsfelder. Die Verantwortung für die agile Transformation liegt ebenfalls in meinem Bereich, wie auch das Projekt- und Portfoliomanagement für Veränderungsprojekte der Bank.“
Wissen Sie noch, was Sie werden wollten, als Sie klein waren?
„Ich wollte Tagesschausprecherin werden – die Ernsthaftigkeit, mit der sie die Nachrichten vorgetragen haben, fand ich sehr beeindruckend.“
Sie können inzwischen auf über 15 Jahre Erfahrung im Bankensektor zurückblicken. Haben Sie je darüber nachgedacht, ein eigenes Fintech zu gründen?
„Nein, bisher nicht. Ich hatte bereits die Chance zu erfahren, wie es ist, ein Geschäft neu aufzubauen nach dem Verkauf der BHF-Bank 2005. Das hatte etwas von ,Start-up’. Und bisher hatte ich immer das Gefühl, in meinem Job sehr viel Gestaltungsspielraum zu haben. Außerdem sind meine Eltern selbständig – ich weiß also sehr gut, was damit einhergeht.”
Viele Frauen kokettieren häufig damit, nicht so gut mit Zahlen „zu können“. Was fasziniert Sie an einem Bereich, in dem Zahlen eine große Rolle spielen?
„Ich habe ein grundsätzliches Problem mit diesen Rollenbildern, die sich Frauen (und auch Männer) selber auferlegen. Zahlen sind sicherlich nicht meine größte Leidenschaft, aber ich habe auch kein Problem mit ihnen. Und in einer Bank geht es ja auch nicht nur um Zahlen, sondern um viel mehr – das hat mich an der Bankenbranche immer sehr angesprochen: die Vielfalt der Themen und Möglichkeiten.“
Haben Sie Ihre Karriere geplant oder alles auf sich zukommen lassen?
„Geplant im klassischen Sinne eines Drei- oder Fünf-Jahresplans sicherlich nicht. Davon halte ich auch nichts. Aber ich habe eben auch keine Dinge kategorisch ausgeschlossen. Ich mag Herausforderungen genauso wie Neues lernen. Und manchmal muss man zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein und den Mut haben, die Herausforderung anzunehmen.“
Wie fängt Ihr Tag an?
„Ich stehe um 5.15 Uhr auf und gehe eine große Runde mit unserem Terrier Oskar, bevor ich dann gemeinsam mit meinem Mann die drei Kinder für die Schule fertig mache.“
Was machen Sie morgens als erstes im Büro?
„Einen Kaffee trinken und den Kolleg*innen Guten Morgen sagen, wenn es ein guter Start ist. Oder einfach direkt in den ersten Termin stürzen (lacht).“
Was sind Ihre Stärken?
„Neugier auf Menschen, Themen und neue Herausforderungen und Mut, dieser Neugier zu folgen. Außerdem bin ich gut darin, komplexe Themen in verdauliche Happen zu sortieren und Menschen davon zu überzeugen, warum wir bestimmte Dinge tun oder besser lassen sollten. Und ich habe keine Angst, Entscheidungen zu treffen. Das ist etwas, was mir bei vielen Menschen fehlt.“
Wer ist Ihr persönliches Rolemodel und warum?
„Meine Eltern – sie haben jung Kinder bekommen (noch während des Studiums) und immer beide gearbeitet. Von ihnen habe ich gelernt, dass es auch ohne die klassische Rollenverteilung in einer Ehe mit Kindern super funktioniert und ihnen war immer wichtig, dass mein Bruder und ich mit dem sicheren Gefühl aufwachsen, dass wir alles erreichen können, wenn wir es nur wollen. Und dass ich die Einzige bin, die mich einschränkt.“
Haben Sie ein persönliches Motto, das Sie antreibt und motiviert?
„Hope is not a strategy. Luck is not a factor. Fear is not an option. (James Cameron)“
Bitte ergänzen Sie den Satz: Ich unterstütze meine Mitarbeiter*innen (Nachwuchskräfte, Kollegen/innen) in schwierigen Situationen, indem…?
„… ich ihnen zuhöre, Sicherheit und Rückhalt gebe und versuche, gemeinsam eine Lösung zu finden.“
Angenommen eine Freundin oder Kollegin denkt oft: „Ich verdiene den Erfolg gar nicht“, „Ich bin gar nicht gut genug“, „Das schaffe ich nie“, „Andere sind um Welten besser als ich…“ – Was raten Sie?
„Sich Feedback von anderen zu holen – was machen andere besser als ich? Wie sehen mich andere und wie sehe ich mich selbst? Tatsächlich hilft es oft schon, sich aufzuschreiben, was man wirklich gut kann und was eben auch nicht und diese Liste dann mit jemandem zu besprechen, von dem man sicher sein kann, dass man ehrliches Feedback bekommt. Und ihnen Mut machen – die meisten Menschen haben diese Gedanken.“
Ein No-Go im Umgang mit Mitarbeiter*innen ist für mich…?
„… respektloses Verhalten.“
Feedback ist für mich…?
„… die wichtigste Quelle, um mich und andere weiterzuentwickeln.“
Welches Tool ist bei der Arbeit für Sie unverzichtbar?
„Mein Bleistift und mein Notizbuch.“
Ihr persönlicher Produktivitätskiller?
„Zu viel Zeit – ich arbeite am besten, wenn ich unter Druck bin.“
Über ihre Erfolge sollten Frauen…?
„… genauso viel reden wie Männer.“
Her mit dem Geld: Ihr Ratschlag an andere Frauen für Gehaltsverhandlungen?
„Mutig sein – du bist es wert!“
Verbündete und Mentor*innen finde ich, indem….?
„… ich mit der Sache überzeuge und offen gegenüber anderen Meinungen und Ideen bin. Und ich habe mittlerweile gelernt, um Hilfe und Feedback zu fragen.“
Der größte Benefit, den Sie bisher aus einem Ihrer Netzwerke gezogen haben?
„Tolle Mitarbeiter, die mit mir an spannenden Themen arbeiten wollen.“
In Konfliktsituationen bin ich…?
„… konstruktiv emotional.“
Pannen sind…?
„… total menschlich, manchmal zum Lachen und Weinen gleichzeitig und wichtige Lernmöglichkeiten.“
Auf welche Panne oder Fehlentscheidung hätten Sie rückblickend gerne verzichtet?
„Ehrlich gesagt: keine. Denn dann hätte ich auch nicht aus den Fehlentscheidungen lernen können.“
Wie gehen Sie mit Stress um?
„Unterschiedlich, je nach Stressart. Ich versuche, strukturiert und ruhig vorzugehen, um das Gefühl zu haben, die Kontrolle zu behalten. Meine Familie ist ein guter Ausgleich – ein Abendessen mit meinen Kindern bringt mich ganz schnell wieder zu den wichtigen Themen im Leben.“
Nein sagen sollten Frauen zu…?
„… antiquierten Ansichten.“
Sie merken, dass Sie unglücklich sind in Ihrem Job. Was tun Sie?
„Ich versuche herauszufinden, was mich unglücklich macht, spreche mit meiner Familie, befreundeten Kollegen und überlege mir konkrete Schritte, um die Situation zu verändern.“
Anderen Chefs würde ich gerne sagen, …
„… gebt euren Mitarbeiter*innen Freiraum für eigene Ideen und lasst sie Entscheidungen selber treffen. Und offene und faire Kommunikation finde ich als Chef*in wichtig – Informationsvorsprung ist kein Zeichen von Stärke oder Macht. Gebt Fehler zu – wir sind auch nur Menschen.“
Welche Rahmenbedingungen oder Schlüsselfaktoren in der Bankenwelt wären aus Ihrer Sicht notwendig, damit der Weg in die oberen Etagen der Finanztürme für qualifizierte Frauen nicht versperrt bleibt?
„Ich glaube, wir Frauen haben es selbst in der Hand, die Veränderung voranzutreiben. Wir müssen die gleiche Selbstverständlichkeit an den Tag legen, wenn es um das Zutrauen eines neuen Jobs geht, wie Männer. Und wir müssen die Möglichkeiten nehmen, die sich uns bieten. Leider stehen wir uns da manchmal immer noch selbst im Weg, weil wir an unseren Fähigkeiten zweifeln.“
Wie schalten Sie abends ab und wann gehen Sie ins Bett?
„Ich lese gerne, wenn ich gegen 23 Uhr ins Bett gehe.“
Frau Wirtz, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Das Gespräch führte Carina Kontio, Redakteurin bei Handelsblatt. Mehr Interviews zu Diversity, Management und Leadership findet ihr im Handelsblatt-Special „Shift“. Carina hat außerdem eine Karriere-Kolumne bei Audible.
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