Wer Kinder hat, fehlt dauernd im Job und ist außerdem ständig müde. Das sind Klischees, die dazu führen, dass Mütter und Väter im Job diskriminiert werden. Doch stimmen sie überhaupt?
Die haben überhaupt Zeit zu arbeiten?
In der letzten Woche machte ein Agenturchef von sich Reden, der explizit Mütter für eine offene Stelle suchte. Tut das der Debatte über Vereinbarkeit gut, dass es nun schon ein Lob ist, wenn man gern Eltern einstellt?
Dass sich immer noch die Vorurteile über arbeitende Eltern und insbesondere berufstätige Mütter halten, legt die Vermutung nahe, dass Eltern auf einer einsamen Insel leben und andere Menschen im Alltag keinen Kontakt mit ihnen haben. Das ist natürlich Unsinn. Trotzdem lohnt es sich, sich existierende Klischees noch einmal anzuschauen und sie zu widerlegen. Denn: Eltern (kleiner) Kinder werden im Arbeitsmarkt oft diskriminiert, dabei sind sie anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eigentlich sehr ähnlich.
1. Eltern fehlen dauernd, weil das Kind krank ist
Ach, wirklich? Wenn ihr euch im Januar und Februar mal unter den Kolleginnen und Kollegen im Team umschaut, merkt ihr ziemlich schnell: Die Grippe kann jeden erwischen, auch wenn die Person keine Kinder hat. Statistisch gesehen fehlen Eltern unter 40 im Schnitt etwa zwei bis drei Tage im Jahr mehr als Kinderlose – was nun wirklich nicht viel ist – und Eltern über 40 sogar weniger als Menschen ohne Kinder. So berichtet die Techniker Krankenkasse in ihrem Gesundheitsreport 2016: „Beschäftigte mit familienversicherten Kinder waren statistisch gesehen 2015 im Schnitt 2,3 Tage weniger krankgeschrieben als Beschäftigte ohne Kinder. Auffällig: Der Trend zeichnet sich erst ab dem 40. Lebensjahr ab.“ Nanu? Das klingt fast als hätten Kinder langfristig sogar einen positiven Effekt auf die Gesundheit ihrer Eltern.
Jedenfalls bekommen Menschen, die gern Ski fahren, in der Regel keine Jobabsage, weil dieser Sport ein sehr hohes Verletzungsrisiko hat und sie theoretisch sechs Wochen lang mit einem gebrochenen Bein ausfallen könnten … Also hinterfragt gegenüber euren Kollegen oder den Menschen, die ihr einstellen wollt, doch einfach mal die eigenen Vorurteile.
Deutsche Angestellte waren laut einem Bericht der Bundesregierung in 2016 im Schnitt 15,2 Tage krank – unabhängig von der Zahl ihrer Kinder. Wer kranke Mitarbeiter vermeiden möchte, hat demnach nur eine Wahl: ausschließlich Roboter beschäftigen.
2. Eltern sind ständig müde, weil ihr Kind sie nachts weckt
Puh, ja. Klar, bin ich häufiger mal müde, weil mein Kind wieder mitten in der Nacht wach war. Insgesamt lebe ich aber viel gesünder, seitdem ich Mutter bin. Gerade weil ich den Schlaf brauche, gehe ich früher schlafen und durchgefeierte Nächte und verkaterte Sonntage kennt mein Körper nicht mehr. (Jedenfalls viel seltener im Jahr.) Dafür sind Eltern viel an der frischen Luft, bekommen dort ihr Vitamin D ab, hören häufiger das Rauchen auf und schauen seltener bis 4.00 Uhr morgens Serien. Dass Eltern also automatisch weniger fit sind als kinderlose Menschen, muss überhaupt nicht stimmen.
3. Eltern machen früher Schluss und arbeiten weniger
Wer das ernsthaft denkt, muss heimlich ein Fan von Präsenzkultur und 9-to-5-Jobs sein. Genau dieses Modell wollen aber die wenigsten Arbeitnehmer noch leben – ganz gleich, ob sie Kinder haben oder nicht. Alle wollen mehr Flexibilität bei Zeit und Ort.
Und: Pausen sind gesund. Kleine Kinder essen zwischen 18.00 und 19.00 Uhr zu Abend – eigentlich auch die perfekte Zeit, um eine Pause vom Schreibtisch einzulegen, falls man das Tagespensum während des Tages nicht geschafft hat – oder, so wie ich, abends allein am Schreibtisch kreativer ist als tagsüber in einem lauten Büro. Es spricht viel dafür, die Arbeit durch wirkliche Pausen zu unterbrechen, nicht nur durch schnelle Mahlzeiten oder eine Zigarette auf dem Balkon. Wer bis 20.00 Uhr durcharbeitet, schafft nicht automatisch mehr – das ist lange bekannt.
Ihr möchtet, dass eure Kolleginnen und Vorgesetzten euch vertrauen, dass ihr eure Sache gut macht. Also bringt auch ihnen das entsprechende Vertrauen entgegen. Sie machen ihre Arbeit auch dann, wenn sie nicht mit euch im gleichen Büro arbeiten.
4. Eltern sind ständig gestresst und dünnhäutig
Klar gibt es diese Tage, da möchte man, nachdem das Kind endlich in der Kita ist, erstmal einen Schnaps trinken und auch eigentlich den Rest des Tages Ruhe haben. Aber: Im Vergleich mit Zuhause ist es im Büro eh ganz schön ruhig. Das wirkt sooo entspannend. Ich habe übrigens schon bevor ich ein Kind hatte von mir behauptet, mich könne nach meinem stressigen Job in der Politik nichts mehr erschüttern. Die ersten zwei Jahre mit Kind haben da aber noch mal ein viel dickeres Fell drübergelegt. Wer in zwei Stunden mit Engelsgeduld 100 Mal auf die gleiche Frage eines Kleinkindes antworten kann, der ist wirklich stressresistent. Das ist eine der vielen Fähigkeiten, die man als Eltern ausbaut und die Eltern zu tollen Mitarbeitern machen. Niemand ist gefeit vor schlechten Tagen, seid großzügig miteinander.
5. Eltern sind so effiziente Mitarbeiter!
Diese Behauptung habe ich nun schon so oft gelesen, egal ob von Chefs, die erklären, warum sie gern Mütter einstellen oder von Frauen, die Anerkennung als Teilzeit-Heldinnen möchten. Ehrlich gesagt nervt mich das Gerede von der Effizienz von Eltern, die angeblich so viel produktiver sind als ihre Kolleginnen und Kollegen, die angeblich den Tag vertrödeln, weil sie nicht bis 16.00 Uhr mit allem fertig sein müssen. Ich finde es zum einen unfair gegenüber den Team-Mitgliedern ohne Kinder, weil es unterstellt, dass sie Zeit verplempern und mehr Zeit nebenbei im Facebook-Chat verbringen als andere. Auf der anderen Seite ist Effizienz einfach kein moderner Maßstab für die Qualität von Arbeit. Denn die Jobs, über die wir reden, sind in der Regel keine Fließband-Jobs sondern Stellen, bei denen andere Fähigkeiten im Vordergrund stehen. Hinzu kommt: Wer in zum Beispiel nur 20 Stunden arbeitet, wird nur für diese 20 Stunden bezahlt. Die Erwartung, dass Menschen in Teilzeit doppelt ranklotzen und beinahe eine 40-Stunden-Stelle ausfüllen, ist Ausbeutung.
Eltern, die ihre Jobs gern machen, behalten die Qualitäten, die sie als kinderlose Menschen schon hatten: Vielleicht ist es ihre Fähigkeit, große Ideen zu entwickeln, ein gutes Netzwerk aufzubauen, andere zu motivieren oder die Fäden im Team beieinander zu halten. Einige sind sicherlich auch effizient. Eltern über einen Kamm zu scheren bringt aber genauso wenig wie zu sagen: Alle Frauen sind geborene Kommunikationstalente.
Jeder Mitarbeiter hat Stärken
Und jetzt mal ehrlich: Jeder Mensch hat Schwächen und Stärken. Selbst wer das effizienteste Team der Welt aufbauen möchte, muss den Faktor „Menschlichkeit“ berücksichtigen. Ob ein Vater mal unkonzentriert ist, weil die Teenager-Tochter rebelliert oder weil die kinderlose Person nervös auf den Rückruf des Tinder-Flirts wartet, jeder macht seine Arbeit an einem Tag besser und am anderen Tag schlechter.
Wer gezielt Eltern aussortiert, ist ein ziemliches Arschloch und verpasst vermutlich Mitarbeiter mit ziemlich tollen Fähigkeiten. Da die meisten Menschen immer noch im Laufe ihres Lebens irgendwann Eltern oder vielleicht auch Stiefeltern werden, ist das Ziel des „kinderlosen“ Teams eh völliger Schwachsinn – es sei denn, man möchte permanent Menschen feuern und neue einstellen. Aber eine hohe Fluktuation ist in der Regel für Unternehmen vor allem eines: teuer.
Wir haben jetzt unsere eigene Facebook-Gruppe rund um das Thema Familie. Wir wollen uns mit allen austauschen und vernetzen, die sich für das Leben mit Kindern interessieren – egal ob ihr selbst Eltern seid oder (noch) nicht. Schaut doch mal vorbei!
Titelbild: Kourtlyn Lott | Flickr | CC BY-ND 2.0
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