Foto: Screenshot Youtube Netflix

Warum ihr jetzt anfangen müsst, „Russian Doll“ zu gucken

Die Netflix-Serie Russian Doll wird als bessere Version von „Und täglich grüßt das Murmeltier“ gefeiert. Zu Recht. Eine Kritik von Mark Heywinkel.

Nadia trifft den Zeitgeist

Als ihr 37. Lebensjahr anbricht, wäscht Nadia Vulvokov sich gerade die Hände. Vor der Badezimmertür steigt ihre Geburtstagsparty im New-York-Style: Fancy Menschen nehmen Drogen, plaudern kultiviert und sehen gut aus. Darauf hat Nadia ausnahmsweise wenig Bock. Sie nimmt einen Typen mit nach Hause, schmeißt ihn nach dem Sex wieder raus, programmiert ein wenig, bis ihr die Kippen ausgehen – und auf dem Weg zum Laden erblickt Nadia auf der Straße ihren vermissten Kater. Sie will ihn einfangen, wird dabei von einem Taxi erfasst – und stirbt. Im nächsten Augenblick findet Nadia sich am Waschbecken auf ihrer Geburtstagsparty wieder.

Diesen Prolog der Netflix-Serie Russian Doll (in Deutschland: Matrjoschka) muss Nadia nun immer wieder durchleben. In jeder der acht Folgen kommt sie auf unterschiedliche Arten ums Leben, um wieder auf ihrer Geburtstagsparty zu starten. Dabei lernt sie die Menschen in ihrem Umfeld von unterschiedlichen Seiten kennen. Einmal versucht Nadias beste Freundin ihr den Abend mit einem Joint zu verschönern, ein anderes Mal tickt sie aus und bezeichnet Nadia als Schabe. Einmal will Nadias Ex ihr nicht zur Seite stehen, dann kann sie ihn mit einem Blowjob locken. Mit jeder Folge stellt die Welt sich vielschichtiger dar, und am Ende – das sei hier gespoilert – reift Nadia an der Erkenntnis, dass jede*r Mensch auf vielerlei Weisen Einfluss auf sein*ihr Umfeld nimmt und mit diesem Einfluss verantwortungsvoll umgehen sollte.

Nadia wächst für sich selbst, nicht für andere

Somit steuert Russian Doll auf das gleiche Ergebnis zu wie bereits Und täglich grüßt das Murmeltier von 1993. Der Weg zur Erkenntnis gestaltet sich allerdings bedeutend spannender. Während der Zeitschleifen-Klassiker den Fokus auf Bill Murrays Figur Phil Connors legt, bekommen in Russian Dollauch die Nebenfiguren Tiefe. Nadia lernt mit Alan sogar einen gleichberechtigten Leidensgenossen kennen.

Sie treffen sich beim Absturz eines Fahrstuhls. „Hast du die Neuigkeiten nicht mitbekommen?“, fragt Nadia Alan überrascht, weil der nicht in Panik gerät. „Wir werden sterben.“ Er blickt sie unbeteiligt an und erwidert: „Das macht nichts. Ich sterbe die ganze Zeit.“ Weil das Duo mal gemeinsam, mal allein dem Grund für ihre Zeitschleifen nachspürt, gewinnt die Serie an Dynamik – und die knapp halbstündigen Folgen sind ganz schnell weggeguckt.

Die Serie kommt in körniger Indiefilm-Optik daher. Der Soundtrack ist eine zeitgemäße Melange aus Pop, Folk und Rock. Vor allem ist es aber die Hauptfigur, die Russian Doll so gut zum Zeitgeist passen lässt und für hohe Bewertungen in den einschlägigen Portalen und bei Kritiker*innen sorgt. Bill Murrays Figur Phil Connors ist ein Egoman, der mit der Zeit zum Wohltäter wird, um das Herz seiner großen Liebe zu gewinnen. Russian Doll überwindet das Filmkredo, die Liebe zum notwendigen Bestandteil des Happy Ends zu stilisieren. Nadia Vulvokov ist ein Partygirl, das kifft, säuft und Sex hat – und sie bleibt es bis zum Schluss. Ihre Heldinnenreise führt sie an den Punkt, an dem sie ihre Identität im Kontext ihres Umfeldes versteht und akzeptiert. Wenn Nadia sich weiterentwickelt, dann nicht um anderen zu gefallen, sondern um sich selbst zu genügen.

Natasha Lyonne verkörpert Nadia mit rauer Coolness, traurigem Blick und viel Selbstironie. Und die Kritiken lassen davon ausgehen, dass Lyonne ihre Figur in einer zweiten Staffel weiter ausspielen darf.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Der Originaltext von Mark Heywinkel ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.

Mehr bei EDITION F

Ab auf die Couch: 5 Serien-Tipps aus der Redaktion.Weiterlesen

Sarah Kuttner: „Trash-Serien spülen mir das Gehirn frei.“ Weiterlesen

6 Serien, mit denen ihr den Winter übersteht. Weiterlesen

Anzeige