Wir kennen die Antworten darauf, wie wir mehr Gleichberechtigung herstellen – also wieso handeln politische Akteur*innen nicht endlich danach? Das fragt sich unsere Autorin Silvia Follmann in ihrer Thirtysomething-Kolumne anlässlich des Weltfrauentages.
Jetzt freut euch doch mal, es geht voran!
Der Weltfrauentag bietet sich ja durchaus an, um mal wieder Bilanz zu ziehen, wo wir in Sachen Gleichberechtigung stehen. Ja, da tut sich was, kann man sagen. Und dennoch changieren meine Gefühle dabei relativ unbefriedigend zwischen Optimismus und einer deutlichen Tendenz hin zu dieser unendlichen Schwere, die sich angesichts der kriechenden Vorwärtsbewegung immer wieder breit macht.
Denn es bleibt eben noch so unendlich viel zu tun. Und was macht man eigentlich mit dem Gefühl, dass man sich schon für absolute Selbstverständlichkeiten freuen soll? Am besten einfach in die Tonne treten, wenn ihr mich fragt. Dennoch verlangt man genau das Frauen und jenen, die als solche gelesen werden, immer wieder ab. „Jetzt mach doch nicht so ein Gesicht! Immerhin haben wir jetzt mit Jennifer Morgan die erste Frau an der Spitze eines DAX-Konzerns!“ – „Nun sei doch mal dankbar, immerhin nehmen schon ein Drittel der Männer Elternzeit.“ – „Jetzt sei mal geduldiger, der Gender-Pay-Gap wird sich doch ganz bestimmt in einigen Jahrzehnten schließen.“
Wir haben die Antworten, wir handeln nur nicht danach
Aber warum geduldig, warum dankbar für die Trippelschritte sein, wenn doch so offensichtlich auf dem Tisch liegt, dass sich durch entschiedeneres politisches Vorgehen alles beschleunigen würde? Wenn durch Quotierungen die Entscheider*innenpositionen verlässlich in absehbarer Zeit und nicht erst irgendwann diverser besetzt werden würden? Wenn sich durch ein Entgeltransparenzgesetz, das nicht erst für Unternehmen ab 200 Mitarbeiter*innen gilt, durch bessere Bezahlung in sogenannten Frauenberufen, durch bezahlte Care-Arbeit, durch Vollzeitarbeit unter 40 Stunden oder durch einen Mindestlohn, der nicht trotzdem in Altersarmut führt, der Gender-Pay-Gap effektiv schließen lassen und die finanziellen Risiken von Frauen bekämpft werden würden?
Wenn wir einen ganz anderen Fokus auf das Thema Familie bekommen würden, indem wir es nicht als Frauen- oder gar als privates Thema, sondern endlich als das Wirtschaftsthema begreifen, das es nun einmal ist? Wenn Elternzeit für Väter eine Selbstverständlichkeit wäre, indem man verpflichtende Vätermonate einführen würde?
Wenn Gewalt gegen Frauen längst ein raumeinnehmendes Thema wäre? Wenn die Geburtshilfe nicht weiter ausgehöhlt würde? Wir haben sie doch längst die Antworten darauf, wie wir unsere Welt entscheidend verändern und gleichberechtigter gestalten können.
Mach’s doch selbst!
Leider wird häufig immer noch so getan, als bräuchten wir diese politischen Regelungen nicht, schließlich hat doch jede Frau selbst in der Hand, was sie aus ihrem Leben rausholt! „Verhandle doch besser, wenn dir dein Gehalt nicht passt.“ „Werde doch Gründerin, wenn dir dein Job keine Vereinbarkeit bietet.“ „Geh in die Politik, wenn sich was ändern soll.“ „Such dir halt früher eine Hebamme oder einen Kitaplatz, du weißt doch, dass hier Mangel herrscht.“ – Es ist ja auch so schön bequem. Denn tut man gesellschaftliche Missstände als Ergebnis privater Entscheidungen und Fähigkeiten ab, muss man als Gesellschaft auch keine Verantwortung übernehmen.
Aber auch wenn jede*r für das eigene Leben natürlich selbst Verantwortung trägt, handelt es sich bei diesen Fragen eben nicht um rein private Befindlichkeiten, die sich durch individuelle Entscheidungen, Maßnahmen oder Coachings für alle selbst aus dem Weg räumen lassen, sondern um strukturelle Schiefstände, die eine gesellschaftliche Aufgabe sind, für die wir politische Hebel brauchen. Es kann doch nicht der Anspruch sein, dass eine gute, selbstbestimmte, sichere Zukunft nur für Einige durch Privilegien und persönliche Disposition möglich sein soll. Sie muss es für alle sein.
Und dafür reicht es auch wirklich nicht, sich alleine um Leuchtturm-Themen zu kümmern, wie es etwa mehr weibliche CEOs sind. Denn, so richtig und notwendig das ist, berührt das die Lebensrealität sehr vieler Frauen erstmal gar nicht. Und die Forderung nach mehr Frauen alleine hilft natürlich auch nur bedingt. Wir brauchen gerade in den Entscheider*innenpositionen Frauen, die nicht einfach patriarchale Strukturen weiter reproduzieren und wiederum nur Frauen die Tür öffnen, die auch in das Schema F passen.
Aber genau das passiert eben dann allzu leicht, wenn Frauen nur durch diese Angepasstheit nach oben kommen. Statt das aber zu bewerten, sollte man sich besser fragen: Woran liegt das und muss das weiter so sein? Nein, muss es nicht, aber dafür brauchen wir auch Veränderungen in Sachen Unternehmenskultur – was wiederum nur gelingt, wenn wir Karrieren wirklich für alle öffnen. Die Frage ist also nicht nur, was bewegt sich – sondern auch für wen, warum und wie viel hat man davon wirklich in der eigenen Hand? Die Antworten auf diese Fragen sind natürlich auch wieder an einen sozialen und kulturellen Background geknüpft. Noch einmal: Wir brauchen Maßnahmen, die für alle Frauen Gleichberechtigung herstellen und nicht nur für ein paar wenige.
Wie wär es mit Fakten ? Ach, lass mal!
Interessant ist ja, dass die möglichen Hebel auf verschiedensten Ebenen nicht nur schon lange besprochen werden, sondern auch längst erforscht sind. Nur helfen die vielen Studien, etwa dazu, dass diverse Teams, und damit ist ausdrücklich nicht nur Geschlechterdiversität gemeint, so viel erfolgreicher sind, offensichtlich auch nichts. Nicht einmal nackte Fakten, und das ist frappierend angesichts dessen, dass zu Recht alle nach solchen Fakten rufen, wenn wir Entscheidungen treffen oder Situationen bewerten sollen, führen also zu neuem Handeln. Und das, weil einige mit aller Macht an Privilegien festhalten, aber auch, weil wir eine ängstliche, unentschiedene Gesellschaft sind, die lieber nichts macht, bevor sie etwas ausprobieren würde. Das ist doch schließlich auch so anstrengend. Ja nun.
Derweil schielen wir lieber ab und zu verwundert nach Skandinavien, wo die Frauen doch ein ganz anderes Leben führen und wenden uns dann getröstet von der schieren Möglichkeit, von der man träumen darf, wieder dem Status Quo hierzulande zu. Ein bisschen mehr Mindestlohn, ein paar wertschätzende Worte, ein wenig Empörung und dann machen wir aber erstmal weiter wie gehabt. Die Revolution wird täglich auf morgen verschoben.
Es geht nur zusammen
Aber was nun, wenn Einzelne eben nicht ändern können, was strukturell schiefläuft? Vor allem sollte man nicht daran verzweifeln, weil niemand alles alleine schaffen kann und muss! Es geht nur zusammen. Und deshalb bleibt es wichtig, sich zusammenzutun, Banden zu bilden, solidarisch miteinander zu sein, sich gegenseitig zu promoten und den Rücken zu stärken, andere Frauen zu empfehlen, auf Probleme hinzuweisen, sich gegenseitig sichtbar zu machen oder auch einfach füreinander da zu sein, wenn alles schiefgeht, alles zu schwer wird. Das kann jede*r machen und es macht das Leben leichter, es wirkt, es verändert die Temperatur im eigenen Umfeld. Auch wenn all das nicht zu einem gesellschaftlichen Umbruch führen mag, hat das Strahlkraft – wie könnte man also darauf verzichten, die in die Welt zu tragen?
Und bevor es jetzt die*der Erste einwirft, dass nicht alle Frauen Gleiches erleben: Natürlich, es gibt auch jene, die von diesen Themen recht unberührt durchs Leben schiffen. Aber die haben dann die besondere Verantwortung, ihr Privileg, woraus auch immer es beschaffen ist, dafür einzusetzen, andere Frauen zu unterstützen, statt zu negieren, was ist. Nämlich, dass viele Frauen heute wieder für absolute Selbstverständlichkeiten auf der Straße stehen, und laut werden müssen für etwas, das ihnen sowieso zusteht.
Und dass andere Frauen am 8. März nicht auf der Straße stehen können, weil ihr tägliches Leben so ein Marathon ist, dass die Kraft für einen Frauenmarsch nicht da ist. Denn was wir alle tun können, ist nun einmal nebeneinander zu stehen und unsere Möglichkeiten zusammenzulegen, während wir weiter auch für uns selbst laut sind, Druck machen, Raum einnehmen für das, was sein muss: Gleiche Freiheiten und Rechte für alle. Dafür, dass das dann Realität wird, brauchen wir aber politische Akteur*innen, die mit an unserer Seite stehen und endlich handeln.