Wir vergleichen uns mit anderen, bevor wir laufen können. Aber was, wenn das Höher-Schneller-Weiter uns als Erwachsene zur Last wird? Ein Plädoyer für weniger Vergleich.
Erfolg definiert sich im Vergleich zu anderen
Ein Bekannter von mir ist Posaunist. Unter Musiker*innen sei es üblich, sich zu vergleichen, erklärte er mir kürzlich: Wer werde wie oft angerufen, um an einem interessanten Projekt mitzuarbeiten? Wer spiele in welchem Orchester? Wer sei der*die Schüler*in von Koryphäe XY, bzw. habe selbst namhafte Schüler*innen?
Mein Bekannter empfindet diese „Vergleicheritis“ durchaus als belastend, kann sich jedoch von diesem Konkurrenzdruck nicht ganz frei machen. „Ich frage mich, was habe ich bisher (beruflich) erreicht? Ist es das, was ich wirklich will? Geht da noch was? Ein Ortswechsel, neue Projekte?“ Er formuliert es nicht in genau dieser Weise, aber sein Leben ist bestimmt durch (gefühlt) hundert unterschiedliche Aktivitäten, jeden Tag ist er in einer anderen Stadt, möchte man sich mit ihm verabreden, hat er einen „Termin“ in einer Woche anzubieten.
Nichts dagegen zu sagen? Die „Rushhour“ des Lebens eben zwischen 20 und 50? Oder die Normalität im Leben eines Berufsmusikers, dessen Arbeit Mobilität und ein überdurchschnittliches Engagement erfordert? Ich betrachte aus etwas Distanz dieses bewegte Leben und bin eigentlich ganz froh, in meinem mehr Konstanz zu haben und mich nicht mehr so drängend mit der Frage: Wo geht es beruflich – und damit auch in Bezug auf Lebensmittelpunkt und innere Orientierung – hin?, beschäftigen zu müssen.
Konkurrenz beruflich und privat
Dennoch kenne ich Momente, in denen auch ich beginne, mein Leben mit dem anderer zu vergleichen. Kollegin XY, jünger als ich, kehrt nach einem Jahr aus der Elternzeit zurück, arbeitet gleich Vollzeit und übernimmt auch noch eine Führungsaufgabe. Soweit bin ich bis jetzt nicht – sollte ich aber sein?! Oder: Ich spaziere mit meinem Sohn an einem Sonntag allein durch den Zoo, eine Bekannte hat mir absagen müssen, da ihr Kind krank geworden ist. Überall Papa-Mama-Kind-Familien. Ich bin hier als Mutter allein mit meinem Kind. Ok so – oder ein Defizit?
Was ich merke: Häufig machen gar nicht die Lebensumstände an sich unzufrieden, sondern der Vergleich mit anderen. Das mag vor allem in Bereichen geschehen, in denen ich nicht ganz sicher bin, ob mein Weg der richtige (für mich) ist, oder wenn ich meine Lebenssituation nicht frei gewählt habe, wie das oft nach einer Trennung der Fall ist. Dann beginne ich gegebenenfalls auf die zu schielen, die „haben, was ich nicht habe“ und werde nur noch unzufriedener.
Andererseits kann ich durchaus sehr erfolgreich sein in dem, was ich tue – und doch auf das schielen, was (noch) nicht da ist. Mit einer sicheren, gut bezahlten Arbeitsstelle, einem gesunden Kind, einem seit Jahren bestehenden Freundeskreis und einer hübschen Wohnung kann ich zufrieden sein – oder ich schaue neidisch auf die, deren Wohnung größer ist, die in einer Partnerschaft leben, mit zwei Kindern oder einem anderen Beruf.
Zufriedenheit hängt kaum von dem ab, was „außen“ ist
Ich bin sehr froh, dass mich diese Momente der Unzufriedenheit nur selten heimsuchen. Bemerke ich dennoch, dass ich mit Unmut – oder Traurigkeit – auf das Leben anderer blicke, hilft mir die Erkenntnis: Es ist eben das Leben anderer. Du würdest es selbst nie so leben, würdest dich selbst ganz mit in dieses Leben nehmen und bist du jetzt unzufrieden, wärst du es nach kürzester Zeit unter anderen Umständen wahrscheinlich auch.
Eine Studie der University of Massachusetts ergab bereits 1978, dass sich die Zufriedenheit von Menschen nach einem Lotteriegewinn nicht bedeutend von der derjenigen ohne Gewinn unterschied und dass selbst Menschen, die eine Querschnittslähmung zu akzeptieren hatten, nicht gravierend schlechter über ihr Leben dachten als die Vergleichsgruppe ohne Lähmung.
Veränderung muss von dir kommen
Was schließe ich daraus: Bestehe nicht darauf, das Leben der „anderen“ zu haben. Bist du wirklich unzufrieden mit dem, was in deinem Leben ist, finde heraus, was dich stört – und ändere es. Ein Berufs- oder Ortswechsel mit 30, 40 oder 50? Nicht einfach, aber auch nicht unmöglich. Du fühlst dich ungeliebt und allein: lerne, dich selbst anzunehmen und weniger um dich selbst zu kreisen, dann kommen Menschen von ganz alleine auf dich zu.
Manchmal bist du aber wirklich krank, sehr geschwächt oder die Situation, mit der du unzufrieden bist, lässt sich tatsächlich im Moment nicht ändern. Dann – altes Lied natürlich, und dennoch wahr – versuche anzunehmen, was ist.
Und hier wiederum kann dir vielleicht tatsächlich der soziale Vergleich helfen. Nicht, indem du dich weiter mit anderen misst, oder dich über die stellst oder gar auf die herabsiehst, denen es „noch schlechter als dir“ geht. Nein, indem du wahrzunehmen beginnst, was du alles hast, selbst in deinem Unglück – und oft ist das noch erstaunlich viel.
Interessanterweise sind ja oft nicht diejenigen am glücklichsten, die am meisten haben, sondern die, die zufrieden mit dem sind, was sie haben. Und ganz sicher hast auch du in diesem Moment sehr viel. Sollte dich also wieder einmal die Unruhe packen des „Höher-schneller-weiter“, oder „Ich will, was ich nicht habe“, halte inne und übe dich in der Dankbarkeit für das, was du hast – es wird, dadurch, dass du es siehst, wertvoll. Ganz ohne sozialen Vergleich.
Der Beitrag ist zuerst auf Sarahs Blog erschienen. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht.
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