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Mein Kopf, meine Entscheidung: Weshalb sich der Feminismus mit dem Kopftuch versöhnen sollte

Die aktuelle Debatte um den Burkini hat auch das Kopftuch wieder in die Kritik gerückt. Endlich mal Zeit, die Beziehung zwischen der muslimischen Kopfbedeckung und der emanzipierten Europäerin zu überdenken, findet unsere Community-Autorin Rebekka.

Streitpunkt: Kopftuch

Burkini aus, Burkini an – in Frankreich wurde in diesem Sommer heftig gestritten. Letztlich ist die Debatte nicht neu. In den letzten Jahren war das Kopftuch immer wieder Thema. Was ich dabei in Gesprächen mit Bekannten gespürt habe: Das hier ist ganz dünnes Eis. Denn über eines waren sich viele meiner Gesprächspartner einig: „Eine eigenständige und aufgeklärte Frau kann kein Kopftuch tragen.“ Das Kopftuch, so der Konsens, macht Emanzipation zunichte.

Wir sind so aufgeklärt

Ein Freund von mir – ein guter Freund, der letzte, dem ich fremdenfeindliche Tendenzen unterstellen würde – ging so weit zu erklären, dass er sich für seine Kinder keine Lehrerin mit Kopftuch wünschen würde: „Wie soll die denn meinen Kindern eine Gesellschaft vermitteln, in der Männer und Frauen gleichgestellt sind?“

Wieso sollte eine Frau mit Kopftuch das nicht können? Vermutlich liegt die Antwort auf diese Frage darin, dass Europa meint, das Kopftuch besser zu verstehen als die Kopftuchträgerinnen selbst. Immerhin hat Europa die Aufklärung erlebt; wir wissen, wie der Hase läuft. Wir haben das Recht, das Kopftuch zu deuten, weil wir es können – oder so.

Und ja – das ist die alte Leier vom Eurozentrismus. Aber der Burkini-Streit zeigt: Man kann nicht oft genug auf sie aufmerksam machen. Ich glaube, dass unsere Ablehnung des Kopftuches darin liegt, dass wir im Kopftuch eben nicht einfach die Entscheidung der Trägerin sehen, einen Teil ihrer religiösen Identität durch ihre Kleidung widerzuspiegeln. Im Kopftuch sehen wir eine Bedrohung unserer Werte.

Ich glaube was, was du nicht siehst!

Religion ist out. Zumindest da, wo ich herkomme; zumindest in den Gruppen von Leuten, die mir in meinem Alltag begegnen. Die meisten Menschen um mich herum glauben an nichts, was sie nicht sehen; und wer an etwas glaubt, der spricht nicht darüber. Jeder darf glauben, woran er will – aber am besten für sich („Das stört mich nicht, solange die das zu Hause machen!“). Woran das liegt und wer daran schuld ist, soll hier nicht diskutiert werden. Tatsache ist aber, dass das Kopftuch dieser stummen Regel zuwiderläuft. Das Kopftuch schreit mir ins Gesicht: Ich glaube was, was du nicht siehst! Die Kopftuchträgerin sagt mir: Ich bin so fest überzeugt von meinem Glauben, dass ich das jeden Tag allen zeigen möchte. Das schürt Wut auf das Kopftuch. Wie kann man aufgeklärt sein und sein Leben von etwas bestimmen lassen, dessen Existenz niemand beweisen kann? Aber diese Dichotomie – Aufklärung versus Religion – funktioniert nicht. Nicht Religionsabwesenheit wurde in der Aufklärung erkämpft. Sondern Religionsfreiheit. Ja, genau, die beinhaltet Religionslosigkeit. Aber eben auch alle andere Formen von Glauben.

Hallo Patriarchat?!

Eigentlich meinen wir die Zeiten überwunden zu haben, in denen eine Frau über Männer definiert wurde. Oder zumindest auf dem Weg dorthin zu sein. Trotzdem sehen wir in dem Kopftuch selten die Trägerin desselbigen, stattdessen sehen wir die Männer, die sie dazu gezwungen haben, das Kopftuch zu tragen. Das patriarchische System, das der Frau vorschreibt, wie sie sich zu kleiden hat. Geht es hingegen um unbequeme Absatzschuhe, porenverklebendes Make-Up oder Rasierpickel trauen wir uns zu, die Entscheidungen über unser Aussehen selber zu treffen – vielleicht unter Einfluss der Werbeindustrie. Aber die eigentliche Entscheidung treffe immer noch ich. Indem wir Kopftuchträgerinnen unterstellen, sich einer Entscheidung des Mannes gefügt zu haben, sprechen wir ihr jegliche Autonomie ab.

Gerade die Generation, die Emanzipation besonders hart erkämpfen musste, steht dem Kopftuch mit großer Skepsis gegenüber. Frei nach dem Motto: Wir haben so hart für den Minirock gekämpft und jetzt macht ihr alles kaputt! Aber das Kopftuch sagt nicht: Ihr müsst euch alle verschleiern! Ganz im Gegenteil: Noch nie ist mir es passiert, dass Kopftuchträgerinnen mich kritisch auf einen kurzen Rock angesprochen haben. Bei der Kopftuch-Frage geht es nicht darum zu entscheiden, ob Frauen sich mehr oder weniger freizügig anziehen sollen/dürfen/müssen, sondern darum, dass sie genau diese Frage – wie viel Körper möchte ich zeigen? – selber entscheiden können.

Und natürlich, es gibt Frauen, die zum Kopftuch gezwungen werden. Auch in Europa, auch in Deutschland. Ich möchte dieses Problem nicht herunterspielen. Aber es ist eine grobe Stereotypisierung, in jeder Kopftuchträgerin diese unterdrückte Frau zu sehen. Oder eine Frau, die Emanzipation nicht richtig verstanden hat. Frauen wie Nemi El-Hassan oder Kübra Gümüşay beweisen, dass dieses Bild vom „Kopftuchmädchen“ nicht funktioniert. Feministinnen können Kopftuch tragen. Wieso denn auch nicht? Es ist bloß traurig, diese Wahrheit erkämpfen zu müssen.

Worum es geht – und worum nicht

Es ist nicht leicht, über das Kopftuch in Europa zu sprechen. Viel zu schnell wird die Burka-Keule geschwenkt, viel zu schnell über Saudi-Arabien diskutiert. Das sind wichtige, diskussionswürdige Themen. Aber in einem anderen Zusammenhang. Hier geht es um das Kopftuch in Europa; nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wenn wir Frauen muslimischer Religion nicht zutrauen zu entscheiden, ob das Kopftuch für sie zu ihrer Religionsausübung gehört, widerläuft das all dem, was ich mit meinem Selbstbestimmungsrecht als Frau verbinde. Das geht natürlich auch andersherum: Viele muslimische Frauen tragen kein Kopftuch. Und auch ihnen traue ich zu, dass sie diese Entscheidung selber getroffen haben. Das Kopftuch ist kein Angriff auf europäische Werte, es ist kein Zeichen vor-aufklärerischer Rückschrittlichkeit, es ist keine Unterwerfung vor dem Patriarchat. Es ist eine Entscheidung für eine bestimmte Form der Religionsausübung – und entscheiden kann die emanzipierte Europäerin ganz für sich alleine.

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