Wir haben in unserer IT-Firma ein Frauennetzwerk gegründet. Warum das nötig war, und was das bringen kann.
Brauchen wir wirklich ein eigenes Netzwerk?
Ich bin Informatikerin und arbeite in einer reinen IT-Firma mit etwa 130 Leuten. Obwohl fast 90 Prozent von uns Entwickelnde sind, finden sich darunter gerade mal 15 Prozent Frauen.
Letzten Herbst diskutierten wir in gemischter Runde darüber, ob wir eine „Gilde“ (eine Gruppe, die Mitglieder aus allen Teams enthält) gründen wollen, die sich mit dem Thema „Frauen in der Informatik“ befasst. Die Frage war, ob wir so eine Gilde überhaupt brauchen und was die machen könnte. Wir waren uns einig, dass wir firmenintern kein offenkundiges Problem mit Sexismus haben, auch fühlen wir Frauen uns nicht diskriminiert (was nicht heißt, dass es nicht ab und an einen Spruch gibt, der nicht nötig gewesen wäre). Im Gegenteil, ich arbeite sehr gern mit meinen Kollegen zusammen, weil sie nette Menschen sind, es oft was zu lachen gibt und das Arbeitsklima im Allgemeinen sehr gut ist.
Dennoch blieben da offene Punkte: der krasse Männerüberschuss bei unseren technisch Projektleitenden zum Beispiel. Oder dass wir gefühlt für jede Frau, die wir einstellen, fünf Männer einstellen. Oder die vergeblichen Versuche, als Einzelne etwas zu tun, um mehr Mädchen und junge Frauen für die Informatik zu begeistern. Die Gründung der Gilde war also beschlossene Sache.
Ein geschützter Raum für Austausch
Neben regelmäßigen Gildentreffen wurde vor allem ein Channel in unserem firmeninternen Chat-Tool zum Ort der Zusammenkunft. Dieser Channel steht allen Mitarbeitenden offen – jede*r, die*der dazukommen möchte, ist willkommen. In den Gildentreffen waren wir bisher immer nur Frauen, was vor allem in der Anfangszeit hilfreich war, um Vertrauen aufzubauen und Offenheit zu fördern. Egal, was zur Sprache kommt, hier wird nicht gewertet, es wird nicht konkurriert. Stattdessen hören wir einander zu, unterstützen einander und reden über kleine und größere Erfolge, weil uns das hilft, diese auch vor uns selbst als solche anzuerkennen.
Die Treffen sind eine Gelegenheit, über Dinge zu reden, über die wir im Team nicht sprechen. Ein Grund dafür ist, dass es in meiner Firma so viele Teams und so wenige Entwicklerinnen gibt, dass man oft die einzige Frau im Team ist (das Maximum sind drei).
Wir stellten fest, dass wir alle irgendwie ähnliche Geschichten aus unserem Joballtag zu berichten hatten: man traut sich z.B. nicht, in technischen Diskussionsrunden Ideen zu äußern, weil man sich nicht 100 prozentig sicher ist und man sich nicht selbst bloßstellen möchte. Oder man fragt unnötig spät nach Hilfe, weil man die Anderen nicht beim Arbeiten stören möchte und man deshalb vorher sicherstellen will, alles getan zu haben, um das Problem eventuell doch selbst zu lösen – oder zumindest der Lösung so nah wie möglich gekommen zu sein. Oder man traut sich nicht, etwas für sich selbst einzufordern, weil man sich dabei so unverschämt vorkommt, auch wenn man es objektiv betrachtet gar nicht ist.
Das Interessante dabei ist: diese Probleme haben wir nicht immer und überall, sondern nur – oder zumindest überwiegend – im Job. Wäre das auch so, wenn wir nicht als Frauen in einer Männerdomäne arbeiten würden?
„Mädchen können sowas nicht“
Jetzt muss ich kurz grundsätzlich werden. Wenn man sich fragt, woher die genannten Unsicherheiten kommen, muss man weit zurück gehen, und dann wieder schrittweise nach vorne. Da wäre zum Beispiel der auch heute noch weit verbreitete Usus, Mädchen zu Gefälligkeit und Kümmerbereitschaft zu erziehen, indem man sie für ihr Äußeres, fürs Liebsein und nicht Stören lobt und ihnen Puppen schenkt. Jungs dagegen bekommen Technikspielzeug, werden fürs Gewinnen in Wettbewerbs-Situationen gelobt, und man geht wie selbstverständlich davon aus, dass sie wild und laut sind (weshalb sie dafür wiederum weniger gerügt werden als Mädchen).
Später, in der Schule, wird von Jungs erwartet, dass sie natürlich gut in Mathe, Physik etc. sind und Mädchen „sowas“ nicht können. Bereits in der Mittelstufe hatte ich z.B. schon keine Chance mehr, einer Schule einen Programmierkurs für Mädchen anzubieten, weil ich gesagt bekam, dass „Mädchen sich für sowas einfach nicht interessieren“. Mit diesen Aussagen und Erwartungen kommen Mädchen auf verschiedenen Wegen so oft in Berührung, dass sogar in der PISA-Studie vom März 2015 festgestellt wurde, dass Mädchen laut eigenen Aussagen deutlich häufiger an Mathematik-Angst leiden und ihr Selbstvertrauen in Bezug auf Mathematik und Naturwissenschaften darunter so stark leidet, dass sie irgendwann gen Ende der Mittelstufe tatsächlich im Schnitt messbar schlechter in diesen Fächern geworden sind als gleichaltrige Jungs, selbst wenn es sich bei beiden Geschlechtern um ansonsten sehr leistungsstarke Jugendliche handelt.
Die Frauen, die sich dann als Erwachsene für ein Informatik-Studium einschreiben, tun dies oft mit einer permanenten „ich muss mich beweisen“-Haltung und einer latenten Trotzigkeit, die daraus resultiert, dass ihnen durchaus bewusst ist, dass sie damit gegen den Strom schwimmen. Egal, ob gegenüber Verwandten, Leuten, die man neu kennenlernt oder solchen, die man noch von früher kennt – immer erklärt man sich, immer verteidigt man sich, immer fühlt man sich gezwungen zu zeigen, dass man sehr wohl zu Recht hier ist, auch wenn man „nicht so aussieht“. Selbst nach vielen Jahren, beim Schreiben dieser Zeilen, nervt es mich noch!
Männer dürfen als Individuum scheitern, Frauen dagegen scheitern als Gruppe
Dazu kommen Verallgemeinerungsmechanismen, die in Situationen greifen, in denen eine Frau bei einer Sache scheitert, bei der man Männern Kompetenz zuspricht. Das liegt dann nicht daran, dass diese eine Frau schlecht auf diesem Gebiet ist, sondern dass Frauen im Allgemeinen keine Ahnung davon haben. Männer, die in einer Männerdomäne scheitern, tun das als Individuum, Frauen dagegen als Gruppe. Frauen wissen das, bewusst oder instinktiv. Wagt man sich also als Frau auf so ein Gebiet, ist Versagen keine Option. Dann lieber schweigen.
Die Folgen dieses Verhaltens im Berufsalltag sind ein Verlust für alle. Nicht geäußerte Ideen können nicht zur optimalen Lösung von Problemen beitragen. Verschwiegene, leise anklopfende Bedenken können nicht auf mögliche Gefahren hinweisen. Unnötig spätes Fragen nach Hilfe verhindert zügiges Vorankommen beim Bearbeiten von Aufgaben. Angst vor Kritik und Herabsetzung behindert das bestmögliche Lernen aus Fehlern. Das Nichteinfordern von Dingen, die einem zustehen, befördert den Gender-Pay-Gap. Und der eigene Druck, auf keinen Fall versagen zu dürfen, hält auch in meiner Firma vorhandene geeignete Frauen davon ab, sich einfach mal an einer technischen Projektleitung zu versuchen.
Eine meiner Kolleginnen sagte bei einem Treffen mal so schön: Wir haben das gleiche Recht auf Mittelmäßigkeit wie unsere Kollegen. Ich möchte hier und heute hinzufügen: Wir haben aber auch das gleiche Recht, zur besten Form aufzulaufen, zu der wir befähigt sind.
Was also tun? Über Erfolge reden!
Der erste, bereits unheimlich wertvolle Schritt war für uns der Austausch untereinander. Festzustellen, dass man nicht allein ist, dass es anderen Kolleginnen genauso oder zumindest ähnlich geht. Zu hören, dass unsere männlichen Kollegen auch nur mit Wasser kochen und bisweilen nach der „fake it till you make it“-Devise leben.
Und dann: einander zu bestärken. Über Geleistetes und Geschafftes zu reden, um sich dessen Wert vor Augen zu führen. Artikel zum Thema auszutauschen, aus denen man sich was abgucken kann. Und dann zu überlegen, wie wir unsere Baustellen aktiv angehen können. Die bisher entstandenen Maßnahmen möchte ich kurz vorstellen, unterteilt in Internes und Externes.
Internes – was hilft uns selbst?
Um unsere Zurückhaltung im Teamalltag anzugehen, haben wir als Gruppe ein System entwickelt, um uns gegenseitig zu „coachen“. Das läuft so: Initial haben wir einmal festgehalten, wer von uns gerne gecoacht werden möchte und wer sich vorstellen kann, jemand Anderes zu coachen. Aus dieser Verteilung finden sich dann selbst ausgesucht 1:1-Paare zusammen, unabhängig vom Thema. Dabei kann es sein, dass eine die Andere coacht und umgekehrt – das muss aber nicht unbedingt bidirektional sein.
Die Gecoachte überlegt sich jeweils, an welcher Zielsetzung sie arbeiten möchte. Dann treffen sich die Paare je nach Bedarf und zur Verfügung stehender Zeit täglich, mehrmals die Woche oder wöchentlich, um für ein paar Minuten miteinander zu reden: Welche Erfolge habe ich erzielt, welche Schritte in die richtige Richtung bin ich gegangen? Welche Schwierigkeiten hatte ich dabei und worüber habe ich mich gefreut? In welchen Situationen konnte ich mein Vorhaben nicht umsetzen? Warum nicht?
Es geht darum, durch das Gespräch mit einer Person, der man vertraut, einen Prozess in Gang zu setzen, bei dem man durch das kontinuierliche Nachdenken selbst auf Lösungen kommt, die für einen selbst der zum aktuellen Stand passende nächste Schritt sind. Es ist nicht Aufgabe des Coaches, Lösungen vorzugeben – sie kann aber Vorschläge machen. Elementar für den Erfolg sind die kurzen Zyklen.
Unsere bisherigen Erfahrungen mit diesem System sind durch die Bank sehr positiv. Ich möchte ausdrücklich zum Abgucken und Nachmachen ermuntern!
Um mehr Selbstvertrauen zu gewinnen, souveräner aufzutreten und klarer zu kommunizieren, organisierten wir zudem ein zweitägiges Seminar mit einer professionellen externen Trainerin. Diese zwei Tage haben unheimlich viel gebracht: seitdem sind wir gelassener, gehen aufrechter durchs Leben und behaupten uns als einzelne Frauen in Runden mit unseren männlichen Kollegen viel besser.
Externes – was wollen wir für Andere tun?
Von Anfang an wollten wir mit der Gilde auch nach außen gehen und Schüler*innen und Student*innen erreichen, um als Vorbilder zu dienen. Wie viele andere Berufsgruppen auch tun wir unsere Arbeit „im Verborgenen“. IT-Firmen sind nunmal kein Ort, an dem Leute einfach so vorbeikommen, und wenn man mal im Alltag einer Informatikerin begegnet, weiß man nicht, dass sie eine ist und was sie im Job so tut (im Gegensatz zu Ärzt*innen oder Lehrer*innen, z.B.).
Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich die alten Klischees vom (männlichen!) IT-Nerd, der nur schwarz trägt, einsam im Keller sitzt und „vor sich hin hackt“, hartnäckig halten. Niemand geht einfach so raus und erzählt jungen Frauen, dass Informatikerin ein super Job für Frauen ist, weil sie das gut können, es echt Spaß macht, man ordentlich bezahlt wird und man dadurch, dass man diesen Beruf grundsätzlich zu beliebigen Zeiten und an beliebigen Orten ausüben kann, super ein Familienleben damit vereinbaren kann.
Da es sehr schwer ist, mit Angeboten bei Schulen zu landen, boten wir stattdessen der Hochschule Bremen unsere Hilfe an. Dort gibt es einmal im Jahr eine mehrtägige MINTakademie, bei der 12 Schülerinnen ab der 7. Klasse die Möglichkeit haben, in mehrere MINT-Studiengänge reinzuschnuppern, Student*innen zu treffen und in Laboren der Hochschule selbst Projekte zu bearbeiten sowie Fachfrauen zu treffen und sich deren Arbeit vor Ort anzuschauen. Dieses Jahr im April waren wir zum ersten Mal mit dabei, haben den Schülerinnen unsere Arbeit gezeigt und sie auch selbst ein bisschen programmieren lassen, was allen viel Spaß gemacht hat. Andere Projekte stehen auch schon in den Startlöchern, z.B. bei der Informatica Feminale an der Universität Bremen.
Zum Schluss: was die Wissenschaft dazu sagt
Die Website „ScienceDaily“ berichtete Ende Januar über eine Studie der University of Notre Dame im US Bundesstaat Indiana. Dort war zu lesen, dass Frauen, die sich regelmäßig mit einem firmeninternen, weiblich dominierten Kreis von Vertrauten austauschten, im Job durchschnittlich 2,5 Hierarchien höher aufstiegen als Frauen, die nicht gut vernetzt waren oder deren Netzwerk nicht weiblich dominiert war. Die Autor*innen der Studie schlossen daraus, dass es gerade die genderspezifischen Informationen waren, die den entscheidenden Unterschied machten für das Vorankommen im Job.
Nun arbeiten wir in einer Firma mit sehr flachen Hierarchien und viel situativer Führung. Da ist man 2,5 Stufen über dem Jobeinstieg bereits bei der Geschäftsführung angelangt. Wo es wenig Hierarchie gibt, gibt es auch wenig Möglichkeiten zum Aufstieg, und ich behaupte, dass sich in Firmen wie unserer auch eher Leute einfinden, die wenig Interesse an klassischen Aufstiegskarrieren haben.
Dennoch ist es für mich nach den Erfahrungen der letzten Monate völlig klar, dass der Austausch in der Gruppe mit meinen Kolleginnen nochmal ganz andere Möglichkeiten zur Weiterentwicklung hervorgebracht hat, als das die gemischtgeschlechtlichen Teams oder gar die (meist) jährlichen Personalgespräche können. Ich wüsste nicht zu sagen, wann und wodurch ich zuletzt so einen Entwicklungsschub in so kurzer Zeit gemacht hätte, sowohl persönlich als auch technisch, bezogen auf meine Arbeit im Projekt.
Deshalb: Wenn es euch ähnlich geht und ihr auch als Frau in einer Männerbranche arbeitet, dann organisiert doch einfach mal ein Treffen untereinander, tauscht euch aus und schaut, was da so alles zutage kommt. Ich verspreche euch: ihr werdet genauso überrascht und erfreut sein, wie wir es waren!
Dieser Artikel ist auch auf dem Blog von Anitas Firma erschienen.
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