Das Konzept von „Fast Fashion“ ist ein Desaster für Mensch und Umwelt. Aber wir müssen da nicht mitspielen. Bericht über eine Shopping-Tour, die ganz anders endet als erwartet und warum dieses Ende ein Anfang sein könnte.
Ein Freitagmorgen am Ku’damm. Strahlende Sonne, die Luft noch unverbraucht. Aylin und ich wollen nach der langen Zeit, in der das nicht möglich war, mal wieder „offline“ shoppen gehen. Dass dieser Tag aber ganz anders enden wird als mit zwei Freundinnen, die ihre neu erstandenen Schnäppchen bei einem Kiezspaziergang durch die Spätsommernacht präsentieren, ahnen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Someone, somewhere is paying
Die Schiebetür öffnet sich, wir legen den Mundschutz an: Gleich der erste Laden ist gigantisch. Drei Stockwerke voll mit den neuesten Trends, vorwiegend niedrigpreisig, eine unfassbare Auswahl. „Fast Fashion“, woher kommt der Begriff eigentlich? Da müssen wir uns kurz zurück in die 80er begeben. Nicht nur im Bereich Mode, auch in vielen anderen Branchen etablierte sich in dieser Zeit die Strategie des „Quick Response“. Das bedeutet, dass die Reaktionszeit auf Markt-Veränderungen durch den schneller erfolgenden Austausch von Information und Ware extrem reduziert wurde. Die Preise sind niedrig, die Auswahl ist hoch, und die Strategie zahlt sich aus: Am Ende kaufen wir alle mehr als wir brauchen. Es tut ja auch nicht weh.
In der Umkleidekabine nehme ich das Kleid vom Bügel und will noch rasch einen Blick in den Spiegel werfen für den Vorher-Nachher-Effekt. Da halte ich inne. Irgendjemand hat einen Sticker auf den Spiegel geklebt. Nicht groß, aber aufgrund der neongelben Schrift auch nicht zu übersehen. Ich lese leise vor: „Fast fashion isn’t free. Someone, somewhere is paying.“ Was soll das? Eigenartiger Moment. Ich schaue mir meine ausgesuchten Sachen an: ein Chiffonkleid im Leopardenlook, zwei Trägershirts, eine Culotte-Hose, Sportshorts. Dann gehe ich die Preisangaben durch und zähle mal zusammen: Bei positiver Kaufentscheidung müsste ich an der Kasse etwa 75 Euro bezahlen. Für fünf Pieces. Hört sich doch gut an!?
Über 26 Milliarden Umsatz
Genau auf diesen Effekt setzen die Fast-Fashion-Konzerne – und zwar mit immensem Erfolg. Inditex (Zara, Bershka, Pull & Bear u.a.) ist eines der größten Textilunternehmen der Welt. Im Jahr 2018 macht der spanische Konzern nach einer Studie von Statista über 26 Milliarden Euro Umsatz und ist damit Spitzenreiter der Branche. Der Fashion-Riese aus Schweden (H&M) setzte im Jahr 2017 allein 23,22 Millarden Euro weltweit um.
Fünfzehn Minuten später sitzen Aylin und ich – ganz ohne neue Klamotten – an der Vogelvoliere, einem relativ ruhigen Ort am Kranzler-Eck. Ich erzähle Aylin vom Neon-Sticker, der auf meinem Spiegel klebte. „Fast fashion isn’t free. Someone, somewhere is paying“. Aber wer und was zahlt dafür? Wir lassen das mit dem Shoppen jetzt ganz sein, lesen uns gegenseitig auf dem Handy Artikel über die Auswirkungen von Fast Fashion vor und sprechen darüber:
90 Prozent der importierten Kleidung kommt aus nichteuropäischen Ländern wie Bangladesh oder China, wo aufgrund des immer extremer werdenden Zeit- und Leistungsdrucks massive Arbeitsrechtsverletzungen und Unterbezahlung zum ganz normalen Alltag gehören. Wenn wir also hier eine Jeans für 10 Euro kaufen, dann musste ein*e Arbeiter*in beispielsweise in Bangladesh einen sehr viel höheren Preis dafür bezahlen: Näher*innen arbeiten unter menschenunwürdigen Bedingungen zu einem Lohn, der zum Leben bei weitem nicht reicht. Hinzu kommen die ökologischen Folgen. Unsere Billigkleidung besteht vor allem aus Synthetikfasern, die mit jedem Waschgang quäntchenweise in den Meeren landen. Ein Großteil der Kleidung ist von so schlechter Qualität, dass sie nicht recycelbar ist. Selbst für ein Kilo Baumwolle braucht man bis zu 17000 Liter Wasser. Bei keinem anderen landwirtschaftlichen Anbauprodukt werden so viele Pflanzengifte eingesetzt, womit wir bei der Gesundheit wären: Den meisten Menschen ist überhaupt nicht klar, welche krebserregenden, teilweise hormonell wirksamen Stoffe sie mit Fast Fashion-Mode an ihre Haut lassen. Und der Einsatz von Schwermetallen, Tensiden, Aldehyden, Weichmachern, Farbstoffen, Pestiziden, Flammschutzmitteln etc. wirkt sich eben nicht nur auf die Träger*innen aus, sondern auch auf die Länder, in denen diese Kleidung für uns produziert wird – mit katastrophalen Folgen für Mensch und Umwelt gleichermaßen.
Jede*r Deutsche besitzt im Durchschnitt 95 Kleidungsstücke, jedes fünfte Teil wird nicht getragen. Aylin und ich lassen die Handys sinken und sehen uns an.
Dieser Tag endet anders, als wir uns das vorgestellt haben – aber nicht unbedingt schlechter. Zuhause öffne ich meinen Kleiderschrank. Auf vielen Etiketten steht: Made in Bangladesh. Made in Kambodscha. Made in China. Einige Kleidungsstücke, die mich etwas mehr gekostet haben, habe ich ganz bewusst in Fair- oder Green-Fashion-Läden gekauft – das sind jene Teile, die ganz vorne liegen, weil ich sie ständig trage, mir aber nicht immer leisten kann.
Der Grüne Knopf
Für Dreiviertel der Konsument*innen ist nachhaltige Mode sehr wichtig. Aber wie kann man nachhaltig hergestellte Mode wirklich erkennen? – 2019 ist ein staatliches Siegel für sozial und ökologisch nachhaltig hergestellte Textilien an den Start gegangen: der Grüne Knopf. Über 50 Unternehmen (Quelle: GFK-Befragung 2020) wurden bislang erfolgreich geprüft, darunter Mittelständler, Wegbereiter in Sachen Nachhaltigkeit, aber auch internationale große Unternehmen. Weitere Unternehmen befinden sich gerade im Prüfprozess und mehrere sind daran interessiert.
Magdalena Schaffrin ist eine der wichtigsten Nachhaltigkeitsakteur*innen des Landes. Als Designerin, Beraterin, Co-Gründerin des Greenshowroom (heute: Neonyt) und der Agentur Kaleidoscope, Creative Director sowie Co-Autorin von „Fashion Made Fair“ sagt sie: „Der Grüne Knopf hat das Potenzial, Konsument*innen die Kaufentscheidung leichter zu machen. Als staatliches Siegel gewährleistet er eine gewisse Qualitätssicherung.” Was viele nämlich nicht wissen: In der Textilindustrie könne im Prinzip jede Firma ihr eigenes privates Textilsiegel kommunizieren, erklärt uns Magdalena Schaffrin. „Das führt zu Verwirrung bei den Verbraucher*innen, die sich verständlicherweise fragen, wo welche Versprechungen gemacht werden und welchem Siegel man eigentlich vertrauen kann.“
Der Grüne Knopf ist ein staatliches Siegel, das die Einhaltung von 46 anspruchsvollen Sozial- und Umweltstandards fordert. 20 davon beziehen sich auf das Unternehmen als Ganzes, das Verantwortung für die eigene Lieferkette übernehmen muss. Und 26 weitere soziale und ökologische Anforderungen beziehen sich auf das Produkt. Somit wird die unternehmerische Sorgfaltspflicht überprüfbar. – Je mehr ich über den Grünen Knopf weiß, desto stärker habe ich das Gefühl, dass sich etwas ändern kann. Und dass ich als “kleine Verbraucherin” eine gewichtigere Stimme habe als ich dachte. Der Grüne Knopf ist ein Gütesiegel, das es in dieser Form bisher nicht gibt.
„In erster Linie sind wir Menschen“
Aylin und ich sind nicht unschuldig an der Misere. Wir lieben Mode. Genauer: Wir lieben den Moment, in dem man sich vor dem Spiegel selbst kaum wiedererkennt, in dem man durch einen speziellen Schnitt oder eine neue Farbe einen ganz anderen Blick auf sich selbst bekommt. Der kleine neongelbe Sticker, der auf einem Spiegel in einem Fast-Fashion-Store klebte, hat uns zum Nachdenken gebracht. Und genau dieses Nachdenken, dieses Sichbewusstwerden ist ungeheuer wichtig, um etwas am bestehenden System zu ändern. Magdalena Schaffrin bringt es auf den Punkt: „Natürlich kann jede*r was tun. In erster Linie sind wir ja nicht Konsument*innen, in erster Linie sind wir Menschen. Und als Mensch kann ich mich verhalten, kann mich privat, aber auch beruflich engagieren für mehr Nachhaltigkeit, mehr Menschlichkeit, mehr Diversität, um dazu beizutragen, die Entwicklung in die richtige Richtung zu bringen. Das ist eine wichtige Botschaft an uns alle. Es sind nicht immer die anderen, die z.B. Fast Fashion einkaufen oder sich ,falsch‘ verhalten. Das tun wir am Ende alle. Und jede*r einzelne von uns sollte somit auch ihrer*seiner politischen Verantwortung nachkommen.“
Der Grüne Knopf kann ein sehr guter Anfang sein.