In ihrem Buch „A Single Woman“ schreibt Silvia Follmann darüber, warum sich das Klischee, dass ein Leben als Singlefrau das schlechtere Leben ist, sich so hartnäckig hält. Und warum das nicht nur Unsinn ist, weil es für ein gutes Leben eine Paarbeziehung braucht, sondern auch gefährlich sein kann.
Warum selbst toxische Beziehungen attraktiver scheinen als Single zu sein
Selbst wenn Beziehungen schon sehr destruktiv geworden sind, kommt oft der Rat: Halte durch, die Liebe ist so wichtig. Dass wir, gerade Frauen, nicht viel öfter sagen, geh, du hast besseres verdient und alleine zu leben ist nichts, wovor du dich fürchten musst, hat auch mit der Abwertung des Single-Daseins zu tun. Und genau deshalb muss damit endlich Schluss sein! Singlesein ist nichts Schlechtes, im Gegenteil. Es kann ein ganz großes lautes Ja zu sich selbst sein. Ein Auszug aus dem Buch „A Single Woman“, von Silvia Follmann, die Redaktionsleiterin bei EDITION F ist:
Von einem Sicherheitsgefühl, das uns in Gefahr bringen kann
Beständigkeit, selbst die, die sich nicht gut anfühlt, kann Sicherheit vermitteln, wo man längst in größter Gefahr ist. Weil Veränderung anstrengend und schmerzhaft ist. Weil man lieber hier und da flicken möchte, als Scherben wegzukehren, die man – selbst die! – auch irgendwie lieb gewonnen hat, und sie in den Müll zu schmeißen. Das geht doch nicht! Das war doch mal wichtig! Das ist wichtig! Und natürlich auch, weil es zugleich das Reizvollste und Furchteinflößendste der Welt ist, neu anzufangen. Weil man eben nie weiß, ob da draußen wirklich etwas Besseres wartet. Zweifel haben in dem Prozess, eine Veränderung einzuschlagen, ein leichtes Spiel: Ist mein Einsatz zu hoch, um jetzt zu pokern? Ist nicht das, was ich habe, selbst wenn es sich nicht gut anfühlt, das Beste, was mir zusteht? Sollte ich nicht durchhalten, um wenigstens das Bisschen nicht zu verlieren? Warten und aussitzen ist die Devise für viele Menschen, die in solchen Verbindungen bleiben. Und sie war es auch für mich. Weil ich in Wahrheit noch mehr an mir als an der Beziehung zweifelte.
Lieber diese Beziehung als keine und lieber eine längst kaputte Verbindung aushalten als allein weiterzugehen? Das ist nicht nur wegen möglicher Selbstzweifel eine wesentlich schwerere Frage, als sie zunächst wirkt. Schließlich hat man sich etwas aufgebaut, hat man investiert. Selbst wenn das Aufgebaute mittlerweile marode ist, die Farbe nicht mehr nur abblättert, sondern der Putz beginnt sich zu verabschieden. Selbst dann ist häufig der Reflex da, daran festzuhalten, auch wenn man längst ahnt, dass jede weitere Investition eigentlich Wahnwitz ist, nur noch sentimentale Gründe hat. Weil man den Blick zurück wahren will, bis man in diesem Blick feststeckt, weil längst nichts mehr da ist, was in die Zukunft weist. Auch wir hatten doch mehr als nur Zweifel, hatten auch die körperliche Erfahrung der Stille und den Geruch vom sterbenden Gefühl in der Nase, sobald wir unsere Wohnung betraten. Kannten die Worte, die weggelassen wurden. Nutzten Worte, die sich wie scharfe Nadelstiche anfühlten, hatten Struktur, die uns sowohl am Leben erhielt als auch die Luft zum Atmen abschnürte. Aber wir blieben. Wir harrten aus. Wir taten uns lieber weh, als uns loszulassen. Bis zu dem letztlich unspektakulären Abgang, der dennoch seine Wucht hat. Wie auch nicht, Trennungen sind schmerzhaft. Aber davor haben wir beide eigentlich nur abgewartet. Gewartet, dass der andere tut, was man selbst nicht konnte. Hätte sich doch nur jemand von uns früher getraut, den Schritt zu gehen. Es wäre so viel besser gewesen, für uns beide. Die Energie, die für die gelebte Leichenstarre draufging, hätten wir gut für uns selbst gebrauchen können. Aber auch wir hingen eben der irren Idee nach, dass eine Beziehung per se erst einmal etwas ist, was es zu retten gilt. No matter what.
Selbst in destruktiven Beziehungen besteht Hoffnung
Und diese Idee trägt nicht selten selbst dann noch, wenn sich eine Beziehung wesentlich lauter, zerstörerischer, emotional gewaltvoller zeigt, als es bei meiner Beziehung der Fall war. In Liebe, oder dem, was als Liebe verstanden, wahrgenommen oder gedeutet wird, kann viel Destruktives stecken – und man bleibt trotzdem. Denn mit dabei ist doch immer auch die Hoffnung. Die Hoffnung, dass das, was man aufgebaut hat, am Ende eben doch Sinn macht, Erlösung verspricht. Dass die Liebe zu einander eben doch wahr ist und wahr bleibt. Aber dahinter steckt natürlich auch die Annahme, dass man sich selbst im Zweifel hinter der heiligen Verbindung der Paarbeziehungen zurückstellen sollte. Und das doch ganz besonders, wenn man eine Frau ist. Denn: Halte durch, verlang nicht zu viel, übernimm dich nicht mit deinen Wünschen, vielleicht liegt es nur an dir, sei zufrieden mit dem, was ist – all das sind Sätze, die einer weiblichen Biografie so viel mehr anhaften als einer männlichen.
Jungen Mädchen wird noch immer so viel mehr Vorsicht und Demut eingebläut als Wagemut – und das schreibt sich fest. Wie sonst käme es, dass so viele achtsame, kluge, selbstbewusste Frauen in ungesunden Beziehungen ausharren, hoffen und sich daran abarbeiten. Dass so viele versuchen, wie es von Frauen gemeinhin erwartet wird, den Laden zusammenzuhalten, geduldig und verständnisvoll zu sein, wo kein Verständnis angebracht ist, und sich dabei mehr gefallen lassen, als der gesunde Menschenverstand es eigentlich zulässt. Ich würde hier wahnsinnig gerne unspezifisch beim »Mensch« bleiben, denn schließlich scheint es doch mehr eine Frage des Charakters, der eigenen Festigung und äußeren Faktoren zu sein, ob man in Beziehungen, die nicht (mehr) gut tun, bleibt oder nicht – egal welchem Geschlecht man angehört. Aber gesunder Egoismus und die Bereitschaft, die eigenen Bedürfnisse ernster zu nehmen als die des Gegenübers, ist für viele Frauen oft noch immer weniger selbstverständlich, als es das für viele Männer ist. Schließlich, so wird es uns immer wieder gesagt, sind wir von Haus aus emotional aufgeräumt und häufig immer noch ganz automatisch für den Großteil der Gefühlsarbeit in Beziehungen verantwortlich. Also ist es auch unsere Aufgabe, Verbindungen am Leben zu halten.
Wenn man sich für das Wir auskämpft und sich selbst vergisst
Genau das wurde auch einer Freundin von mir nahegelegt, die sich, nachdem sie erfuhr, dass ihr Ehemann sie schon eine Weile betrog, vom ersten Moment an anhören musste, dass das eben vorkäme, dass sie das jetzt aushalten müsse, dass sie Verständnis haben solle. Männer sind eben so, die haben ihren Körper, ihre Lust nicht im Griff, die verstehen doch gar nicht, dass das so viel zerstört. Sie solle also daran arbeiten, dass er wieder versteht, was er an ihr hat. Und die Kinder, denk doch an die Kinder! Nur wenige gestanden ihr zu, dass sie das beileibe nicht muss. Dass sie gar nichts muss, weder etwas verstehen, noch etwas aushalten. Dass sie neben der eigenen Wunde nicht auch noch den emotionalen Batzen, den er verursacht hatte, ganz allein für beide zu tragen oder abzuarbeiten hat, wenn sie das nicht möchte. Wieso werden Frauen immer wieder vollkommen selbstverständlich in die Verantwortung für die Entscheidungen oder Fehler ihrer Partner gezogen? Und wieso wird diese Haltung nicht noch sehr viel deutlicher hinterfragt? Aber auch sie machte das nicht, sondern nahm diese Verantwortung an und blieb. Bis sie sich selbst in diesem Prozess, für alles Verständnis aufzubringen – außer für sich selbst und trotz aller Warnsignale, die immer wieder aufblitzten, während von der anderen Seite nichts mehr kam, als sich in dem Gefühl auszuruhen, das Recht zu haben, verstanden zu werden –, immer mehr verlor und sie schließlich auf allen vieren aus der Sache herauskroch. Danach ging erst einmal gar nichts mehr. Weil sie sich für das Wir ausgekämpft hatte und nichts mehr für sich selbst übrig war.
Weil sie mit sich selbst haderte. Hätte sie nicht einfach entgegen anderer Meinungen und ihrer eigenen Unsicherheit für sich einstehen müssen? Hätte sie nicht Verantwortung für sich tragen müssen, auch wenn ihr etwas anderes vermittelt wurde? Natürlich, das hätte sie können – und viele andere Frauen hätten das sicher auch gemacht. Aber pragmatisch und vernünftig vorzugehen ist eben nicht selbstverständlich, wenn man in einer Situation feststeckt, in der man sowieso schon den Boden unter den Füßen verloren hat. Und es ist nicht selbstverständlich, wenn man in seinem Leben selten gehört hat, dass es das Wichtigste ist, auch entgegen jeder Harmonie für sich selbst einzustehen. Denn die Rechnung ist doch denkbar einfach: Wir alle bekommen hin und wieder vom Leben einen Tritt in den Hintern, manchmal auch mehr als das, das gehört dazu. Dass man diese Arschtritte aber einfach tolerieren und auch noch die Gründe dafür verstehen muss, weil es eben so ist, dagegen nicht.
Ich hatte Angst, ohne ihn noch einsamer zu sein als mit ihm
»Warum habe ich das mit mir machen lassen, warum habe ich daran so festgehalten, während ich doch wusste, dass das vollkommener Unsinn ist?«, fragte sie einmal. Und gab sich die Antwort gleich selbst: »Weil ich in dem Moment, in dem ich vermeintlich in der Hand hatte, uns aufzugeben, so unglaubliche Angst davor bekam, was dann wäre. Was dann mit meinem Leben werden würde, ohne diese Beziehung. Ich hatte Angst, ohne ihn noch einsamer zu sein als mit ihm.« Wieso nur ist diese diffuse Angst vor etwas Ungewissem oft so viel größer als der Mut für einen konkreten Weg? Ist es das, was den Erhalt einer Beziehung wichtiger als das eigene Leben macht? Ist es das, was uns manchmal entgegen jeder Vernunft raten lässt: Halte durch! Egal, was ist! Beziehungen, die Liebe sind so wichtig! Schmeiß das nicht weg! Ihr hattet doch mal was so Großes! Es ist Wahnsinn.
Sicherlich spielt die Unsicherheit, die Veränderung mit sich bringt, neben Verlust als Urangst für uns alle eine große Rolle – für alle, die Teil dieser Veränderung werden. Aber eben auch wie absurd die Abwertung des Single-Daseins ist, während Beziehungen, egal in welcher Form, erst einmal zu einem schützenswerten Gut gehören. Zunächst immer mal einer Rettung würdig sind. Im Zweifel durch das Aushalten der Frau, zu einem anderen Schluss kann man kaum kommen, wenn man die gängigsten Ratschläge an sie deutet. Und wer dem Druck, dieses Aushalten nicht zu meistern, nicht standhält, nicht standhalten will, sieht sich auch hier von außen und durch sich selbst ganz schnell wieder mit der Idee des Scheiterns verknüpft. Willst du wirklich die sein, die es nicht schaffte, eine (jahrelange) Beziehung am Leben zu halten? Wie herzlos, wie erbärmlich. Wer das nicht aushält, hat die Liebe eben auch nicht verdient.
Silvia Follmann: „A Single Woman: Ein Plädoyer für Selbstbestimmung und neue Glückskonzepte“, Goldmann Verlag, März 2018, S.240, 12 Euro.
Hinweis: Die Autorin des Buches ist Redaktionsleiterin bei EDITION F.
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