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In der Medizin gibt es immer noch kaum Frauen in Top-Positionen – und das liegt an den Strukturen

Führungspositionen im medizinischen Bereich sind immer noch männerdominiert. Damit das anders wird, müssen sich die Berufsmodelle ändern, schreibt unsere Community-Autorin, die selbst Ärztin ist.

Frauen können Veränderung bewirken

Während meinem bisherigen Ausbildungs- und Berufsverlauf bin ich so oft willensstarken und inspirierenden Frauen begegnet. Was uns alle vereint ist, dass wir eine Vision haben und daran arbeiten, diese zu erreichen. Oft ist unsere Vision, der Traum etwas zum Besseren zu verändern – für uns und für Andere. Dabei werden uns aber viele Steine in den Weg gelegt.

Die Medizin ist immer noch ein sehr männerdominiertes Feld, obwohl die Absolvent*innen des Studiums in der Mehrheit Frauen sind. Trotz hoher Anzahl an weiblichen Absolventinnen, findet man wenige Frauen auf der Oberarztebene (fachspezifisch unterschiedlich) als auch in der Direktionsposition. In der universitären Medizin trifft man dort nur circa 10 Prozent Frauen an.

Wie kann das sein? Die Medizin ist einer der wenigen Fächer, in dem der Anspruch auf Gleichberechtigung anscheinend noch so gar nicht angekommen ist. Es herrscht immer noch ein autoritäres System, gefühlt fast wie im Militär. Durch Umfragen, Statistikbefunde und Veröffentlichungen habe ich versucht Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken.

Der Blick in andere Länder lohnt sich

In den USA, wo ich geforscht habe, ist es, nach meiner Beobachtung, total normal, eine Frau als Klinikdirektorin oder als Arbeitsgruppenleiterin einer Forschungsgruppe anzutreffen. Und dass viele dieser Frauen, darüber hinaus, nicht weiß sind. Wenn ich nach so einem Forschungsaufenthalt zurück nach Deutschland komme und die, bildlich gesprochen, verschlossenen Türen sehe, die Umwege die ich gehen muss, die Kämpfe die ich austragen muss, um meine Ziele zu erreichen – nur weil ich eine Frau bin. Und dazu noch eine Frau mit Migrationshintergrund und eine Women Of Color. Dann kann ich nur frustriert aufseufzen und meinen Kopf ratlos schütteln.

Wie kann ein Land, das vermeintlich so weit ist in Sachen Gleichberechtigung, es Frauen so schwer machen in der akademischen Medizin Ihren Weg zu gehen. Sowohl in der Forschung als auch in der Klinik sehen wir immer noch so wenige weibliche Vorbilder. Und das hemmt uns wiederum.

Warum ist es für Frauen in der medizinischen Forschung so schwer?

Warum es so wenig Frauen gibt? Zum großen Teil liegt das, meiner Meinung nach, an fehlenden Modellen für Frauen in der Medizin und einem veralteten Geschlechterbild. Die klassischen Karrierewege hier sind meist auf Männer ausgelegt. Mentor*innensuche ist nicht einfach, und es gibt kaum Frauen als Vorbilder/Führungspersönlichkeiten. Männer unterstützen einen seltener, da sie sich nicht mit jungen Frauen identifizieren können, die in ihre Fußstapfen treten könnten.

Frauen werden in der Medizin immer noch als das schwache Geschlecht gesehen und eine mögliche Schwangerschaft als Feind der Karriere. Und eine weitere Sache, die ich in meinem Umfeld beobachtet habe: Die wenigen Frauen, die es in leitenden Positionen gibt, unterstützen leider häufig jüngere Frauen nicht, da das System sie so geprägt hat, dass sie anderen Frauen nicht mehr helfen.

Damit sich hier etwas ändert, muss sich unsere Gesellschaft – und zwar jetzt. Frauen sollten nicht immer noch automatisch mit „Krankenschwester“ angesprochen werden. Sie lauten in ihrer Forschung durch Mentor*innen unterstützt werden. Dafür muss sich auch die mediale Präsentation von Berufsbildern ändern. Ärztinnen, Feuerwehrfrauen, Profisportlerinnen müssen genauso oft im Fernsehen erscheinen wie ihre männlichen Kollegen.

Was aufstrebende Ärzt*innen brauchen

Wir Frauen können uns auch selbst retten. Wir brauchen nicht den starken Mann, der uns auffängt und nach Hause trägt. Was wir aber brauchen, ist jemand mit dem wir die Zukunft gestalten können, mit dem wir auf einer Ebene planen können, mit dem Karriere- und Kinderplanung Sache von Beiden ist. Und wir brauchen Berufswege, die diese Vorbilder ermöglichen.

Die fehlende Emanzipation in der Medizin ist ein strukturelles, systematisches und gesellschaftspolitisches Problem und bedarf endlich Veränderung.

Was wir brauchen ist „equity”, also Gerechtigkeit, und nicht nur „equality”, also Gleichheit! Das System muss sich den Bedürfnissen der individuellen Menschen anpassen. Sprich, für Frauen in der Medizin muss ein neues System entwickelt werden, um ebenfalls Universitätsprofessorin und Klinikdirektorin werden zu können, eben ohne den Verzicht auf Familie und weniger Respekt/Anerkennung von Kolleg*innen.

„Equity” bedeutet auch, so zu arbeiten und zu handeln, wie es unserem Wesen entspricht. Man glaubt es kaum, ich diskutiere immer noch mit männlichen Kollegen in meinem Alter darüber, ob ich als Frau schwach bin, wenn ich weine. Ich bin aber nicht schwach, wenn ich weine, weil ein*e Patient*in für den*die ich hart gekämpft habe, stirbt. Generell ist Weinen kein Zeichen von Schwäche.

Women support women

Und deshalb möchte ich dazu aufrufen, zelebriert eure Weiblichkeit (jede so, wie sie es für sich definiert), gerade wenn ihr auf dem Weg nach oben seid, denn dadurch werdet ihr Vorbilder für junge Frauen und zeigt euch, versteckt euch nicht, zeig wer ihr wirklich seid. Denn jede von uns ist wundervoll genauso wie sie ist.

Wir sollten uns gegenseitig feiern: „Wow, sie hat es geschafft, trotz
aller Hürden“. Und wir sollten wir lernen, jüngere Frauen noch mehr zu unterstützen. Auch wenn wir es selbst schwer hatten, müssen nicht alle, die auf uns folgen, den gleichen steinigen Weg gehen. Mein Appel an alle: Unterstützt einander, fördert eure jüngere Version, seid die Stütze, die ihr selber damals nicht hattet.

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