Was können wir machen, um politisch aktiv zu sein? Wie sieht der Feminismus der Zukunft aus? Und was muss sich in der Medienlandschaft verändern? Über diese Fragen und mehr haben wir mit Tarik Tesfu gesprochen.
Feminismus gehört in den Mainstream
Sexismus, Rassismus und andere Diskriminierungsformen kommen im Alltag von uns allen vor und werden von uns reproduziert. Deswegen geht Feminismus uns alle an. Deswegen gehört Feminismus in den Mainstream.
Tarik Tesfu ist Netzaktivst. Auf Facebook, bei Jäger & Sammler und seinem YouTube Chanel Tariks Genderkrise spricht und schreibt er über queere, feministische und antirassistische Themen.
Wir haben uns mit Tarik getroffen und mit ihm über Diversität und Repräsentation gesprochen, und ihn gefragt, wie er mit Rassismus umgeht und was sich in der deutschen Medienlandschaft verändern muss.
***In eigener Sache: Tarik Tesfu wird auch als Speaker beim FEMALE FUTURE FORCE DAY am 12. Oktober 2019 dabei sein. Ihr wollt auch in Berlin dabei sein? Dann findet ihr hier das Programm und alle Infos zum DAY.
Während deiner Ausbildung zum Erzieher ist dir bewusst geworden, dass du Genderthemen populärer machen willst. Was waren denn Momente für dich, die dir deutlich gemacht haben, dass es so nicht weitergehen kann?
„Während meiner Erzieherausbildung habe ich einen Vortrag über geschlechterneutrale und geschlechtersensible Erziehung gehalten. Dazu musste ich mir natürlich auch ansehen, wie es eigentlich praktisch im Alltag läuft. Deswegen bin ich zu C&A und H&M in die Kinderabteilung gegangen, und was man da sieht, ist erstmal krass: Es werden zwei Welten aufgemacht, die der Abenteurer und Welteroberer auf der einen Seite und die der Prinzessinnen und des Glitzers auf der anderen Seite.
Das Schlimme daran ist ja nicht, dass es diese beiden Welten gibt. Wer Prinzessin sein will: Go for it. Das Problem ist, dass zwei Seiten aufgezeichnet werden, die sich nicht miteinander verknüpfen lassen. Dabei sollte jeder Mensch, unabhängig vom Geschlecht, ein*e Prinzessin, Abenteuer*in, Pirat*in oder sonst was sein können.“
Und wie war das im Berufsalltag selbst?
„Da ist mir zum Beispiel aufgefallen, dass Erzieher*innen unterschiedlich auf Jungs und Mädchen reagieren. Wenn ein Mädchen geweint hat, wurde es stärker getröstet. Wenn ein Junge geweint hat, wurde ihm oft gesagt, er müsse jetzt stark sein. Und dazu kommt natürlich auch der räumliche Aufbau: Puppenecke auf der einen Seite und die Bauecke auf der anderen. Es wurde dann auch zum Thema gemacht, wenn ein Junge in der Puppenecke war. Und klar, wenn das so groß wird, dann machen Kinder das nicht mehr. Dann kommt ihnen das falsch vor.“
Cinderella, Sailor Moon, Barbie – das waren leider für mich Vorbilder als Kind. Wen hattest du da so und ist das überhaupt wichtig für Kinder?
„Für mich war das Pipi Langstrumpf. Die Figur funktioniert bei Jungen wie bei Mädchen – vor allem, weil sie Geschlechterrollen in Frage stellt. Ich glaube, dass Disneyfiguren auf jeden Fall sehr, sehr kritisch zu betrachten sind. Die Körperideale, die da vertreten werden, können real ja überhaupt nicht existieren. Dass das dann Vorbilder für Kinder sind, kann ja auch eigentlich niemand wollen.
Klar sollten auch männliche Figuren als Vorbilder für Mädchen funktionieren, aber es gibt einfach zu wenig spannende weibliche Vorbilder – sowohl für Mädchen als auch für Jungs. Über nicht-binäre Rolemodels können wir ja leider gar nicht sprechen. Es muss auch coole Trans- und Inter-Kids als Vorbilder geben. Wenn Kinder mit mehr Diversität aufwachsen, ist das viel wert. Aber da gibt es viel Nachholbedarf, auch in der Kinderliteratur.
Ich hatte kein Rolemodel für mich, das schwarz war. Zumindest hier in Deutschland fallen mir eigentlich ausschließlich weiße Vorbilder und heteronormative Geschichten ein. Da heiratet ja niemand eine Prinzessin, wenn sie selbst Prinzessin ist. Da braucht es den Prinzen. Und als Kind hätte ich mir in jedem Fall selbst diverse Rollenbilder gewünscht, um einfach zu schnallen: heterosexuell zu sein ist nicht die Champagnerpulle unter den sexuellen Orientierungen.“
Und für weiße, nicht behinderte Kinder ist es natürlich auch wichtig, diverse Vorbilder zu haben und nicht nur solche, die ihnen ähnlich sind.
„Obwohl Pipi Langstrumpf für mich auch total gut funktioniert hat, ohne dass sie dafür schwarz sein musste. Ich glaube, wenn Rolemodels diverser sind und nicht immer Geschlechterstereotype reproduzieren, ist es am Ende egal, ob ein schwarzes Kind Pipi Langstrumpf als Vorbild hat. Wichtig ist aber, dass es eine Form von Auswahlmöglichkeiten gibt, denn überhaupt nicht repräsentiert zu sein, ist es ein sehr großes Problem – egal wie cool Pipi Langstrumpf ist.“
„Ich würde mir viel mehr Offenheit, viel mehr Solidarität und mehr Ehrlichkeit gegenüber eigenen Rassismen und Sexismen wünschen. Nur so kann die Gesellschaft fairer werden“
Egal, ob Kind oder Erwachsene, häufig bleibt man in der eigenen weißen Bubble – egal, ob es der weiße Social-Media-Feed ist, der weiße Freund*innenkreis oder das weiße Arbeitsumfeld. Sollten private Räume auch diverser sein?
„Ich bin selbst sehr weiß sozialisiert worden. Mein Freund*innenkreis ist auch super weiß. Und das war irgendwie schon immer so. Als meine Schwester die Schule verlassen hatte, war ich eine Person of Color unter sehr wenigen. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass ich mit den weißen Kids abhängen müsste, damit ich auch zu diesem privilegierten Kreis gehören darf. Das ist rückblickend total schade. Aber ich hatte auch das Gefühl, mit weißen Freund*innen komme ich weiter und leider stimmt das auch.
Wenn man sich mit diesen Fragen auseinandersetzt, sind weiße Communitys für mich nicht das Problem. Es gibt eben in Deutschland mehr weiße Menschen. Das Problem ist, wie sie mit anderen Communitys umgehen und da würde ich mir viel mehr Offenheit, viel mehr Solidarität und mehr Ehrlichkeit gegenüber eigenen Rassismen und Sexismen wünschen. Nur so kann die Gesellschaft fairer werden.“
Aber auch wenn weiße Communitys ihre Daseinsberechtigung haben – würde es nicht mehr Sinn machen, wenn in unserer Politik nicht überwiegend weiße Männer den Ton angeben würden?
„Natürlich. Das ist eine Katastrophe. In der Politik würde ich mir definitiv mehr Diversität wünschen. Das ist ein Bereich, der repräsentiert und der dafür sorgen soll, dass alle teilhaben können. Von der Politik erwarte ich etwas anderes als vom Kegelverein in Buxtehude. Natürlich würde ich mir auch da wünschen, dass eine Offenheit besteht, wenn People of Color gerne mitkegeln wollen. Dann soll da niemand mit rassistischen Kommentaren vorbeikommen.“
Mit deiner GoFundMe–Kampagne hast du gewissermaßen auch ein politisches Statement gesetzt. In den letzten Wochen hast du über mehrere deiner Social-Media-Kanäle einen Spendenaufruf bespielt. Mit dem Geld wurden fünf Organisationen unterstützt, die antirassistische Arbeit leisten. Wie kamst du zu der Idee?
„Ich bin schon länger mit GoFundMe in Kontakt. Dann kam Chemnitz. Ich habe dazu einen Post geschrieben, dass mir das Konzert nicht divers genug war. Den hat eine Freundin von GoFundMe gelesen und mir vorgeschlagen, dass es jetzt an der Zeit wäre, eine Kampagne zu machen, die sich mit Rassismus beziehungsweise Antirassismus beschäftigt.
Der Anstupser kam von ihnen und danach ging alles ziemlich schnell: Innerhalb von vier Tagen stand die Kampagne. Ich habe dann vier Vereine, die unterstützt werden sollten, selbst ausgesucht. Der fünfte konnte über Facebook und Instagram gewählt werden. Das war mir super wichtig. Die Leute, die Geld spenden, sollen auch partizipieren. Ich konnte nicht nur in meiner Bubble entscheiden, welche Vereine unterstützenswert sind. Ich wollte eben auch die Leute involvieren, die Geld spenden. Interessanterweise wurde dann ein Verein ausgewählt, den ich selbst im Blick hatte. Women in Exile ist es geworden.“
Ein Satz, der in Bezug auf die Kampagne, aber auch zu Chemnitz öfter gefallen ist, ist: Solidarität muss praktisch werden. Deine Kampagne bietet Anlass dafür, aber wie kann man dieses Credo auch in den eigenen Alltag integrieren?
„Ich glaube, die Vereine, die ich ausgesucht habe, gibt es überall. In jeder Stadt, egal ob klein oder groß, auch auf dem Dorf: Überall gibt es Vereine, die dafür sorgen, dass die Idee von Demokratie weiter Bestand hat. Und das muss nicht zwingend eine Organisation sein, die im antirassistischen Kontext stattfindet. Es gibt genug andere Diskriminierungsformen, die genauso beschissen sind und um die man sich kümmern kann. Da würde ich allen Leuten raten, mal zu gucken, wie man diese Vereine unterstützen kann. Das muss auch nicht immer mit Geld sein. Das kann auch Zeit sein.“
Debatten um verschiedene Formen der Diskriminierung sind oft unglaublich emotional. Das ist nur verständlich, denn wer zum Beispiel mit Rassismus konfrontiert ist, will offen die eigene Wut oder Traurigkeit kommunizieren können. Trotzdem wird der Diskurs gerade dann oft nicht ernst genommen. In deinem Video–Format gehst du mit Humor und Satire auf rassistische und sexistische Themen und Kommentare ein. Ist das immer deine Strategie?
„Das kommt immer drauf an. Manchmal ignoriere ich auch Rassismus, wenn ich keinen Bock habe zu reagieren. Wut und Traurigkeit strengen an. Und wenn ich ständig wütend oder traurig reagieren würde, wenn Leute mich rassistisch angehen, dann würde ich nicht vorankommen. Ich versuche schon, so gut es geht, Leuten klarzumachen, dass das N-Wort oder ,dunkelhäutig‘ oder Karnevalskostüme, die rassistisch sind, ein No-go sind. Aber ich kann das auch nicht immer und nicht in jeder Situation. Manchmal habe ich auch einfach keine Energie mehr.“
Hast du dafür ein Beispiel?
„Vor einem halben Jahr hat mich ein Typ auf der Straße ,Scheiß N*‘ genannt und ich habe nichts gesagt. Der war besoffen und ich war erstmal geschockt, dass sowas hier in Kreuzberg auf der Straße am hellen Tag überhaupt passiert. Dass ich darauf nicht reagiert habe, ist weder richtig noch falsch. Denn die Aktion, die rassistisch ist, ist das Problem, nicht der*diejenige, der*die darauf reagieren muss. Und gar nicht darauf zu reagieren, ist für mich manchmal einfach richtig.
Ich finde jede*r soll wütend oder traurig sein dürfen, das will ich niemandem absprechen, aber es ist nicht mein Weg. Mit diesen Emotionen komme ich nicht weiter. Dadurch würde ich, persönlich, gewisse Situationen meiden oder gewisse Dinge gar nicht mehr sagen. Deswegen sind meine Videos natürlich auch absichtlich so wie sie sind. Ich versuche auf den ganzen Mist eben mit Humor und Satire zu reagieren. Für mich ist das eine Strategie, mit der ich nach außen gehen möchte. Das heißt nicht, dass ich immer mit Humor auf Rassismen oder Sexismen antworten kann. In den Videos bin ich ja eine inszenierte Person. Aber zumindest so, wie ich nach außen trete, möchte ich den Leuten weder meine Wut noch meine Traurigkeit permanent zeigen.
Trotzdem finde ich es super wichtig, wenn Leute den Arsch in der Hose haben und genau das machen können. Das ist eine wichtige Ressource, die ich so nicht habe. Andere können dafür eben nicht so gut mit Humor und Witz darauf antworten.“
Was für eine Reaktion hättest du dir von jemandem gewünscht, der dabei war, als dich dieser Mensch da auf der Straße beleidigt hat?
„Für mich ist immer wichtig, dass erstmal die Person, die sich rassistisch verhält, keine Aufmerksamkeit bekommt. Ich würde mir in solchen Momenten wünschen, dass Leute, die das mitbekommen, mich fragen wie es mir geht und fragen, ob sie darauf reagieren sollen, ob ich Hilfe brauche, ob sie jemanden rufen sollen. Dann kann ich entscheiden, ob andere Menschen jetzt meinen ,Kampf‘ führen. Es kann manchmal sehr übergriffig sein, – auch wenn das überhaupt nicht böse gemeint ist – in so eine Situation einzugreifen. Es sollte immer in dem Handlungsspielraum des betroffenen Menschen sein, was dann passiert. Auch wenn es super wichtig ist, dass andere Leute diskriminierende Situationen sehen und reagieren wollen.“
Wie reagierst du denn, wenn in deinem näheren Umfeld rassistische oder sexistische Dinge gesagt werden, vor allem wenn du weißt, dass sie so gar nicht gemeint sind? Fällt es dir da schwerer?
„Früher hat mich das gehemmt. Meine Freund*innen haben das N-Wort zu Abizeiten sehr oft gesagt. Ich habe es dann aber auch gesagt, einfach um irgendwie mitzuspielen. Das Schlimme ist ja, dass man dann selbst anfängt sich zu beleidigen, um das anderen vorwegzunehmen. So wird eine ganz ungesunde Dynamik aufgemacht. Damals habe ich nichts gesagt. Heute erlaube ich niemandem in meinem Freund*innenkreis, das Wort zu nutzen.
Es gab früher auch Freund*innen von mir, die sich total krass über den Akzent meiner Eltern lustig gemacht haben und da habe ich auch nie was gesagt. Stattdessen bin ich total panisch zum Telefon gerannt, wenn mich jemand angerufen hat, damit meine Eltern nicht rangehen können, weil ich mich für sie geschämt habe. Was rückblickend so ekelhaft ist und mich selbst beschämt, weil ich mir denke: Sie haben einen Akzent, weil sie aus einem Kriegsland geflohen sind und den Arsch in der Hose hatten, sich ein besseres Leben für sich und für ihre Familie zu wünschen. Ein Akzent ist ein Zeichen von Stärke und er erzählt etwas über den Menschen, über seine Herkunft. Ein Akzent ist aber niemals ein Grund, um sich lustig zu machen oder ihn als Problem zu sehen. Das habe ich aber als Jugendlicher nicht geschnallt, weil ich selbst ja auch so groß geworden bin.“
Wie hast du denn die Energie oder die Kraft dazu gewonnen, für dich und für andere einzustehen und vielleicht auch zu verstehen, woher diese Strukturen überhaupt kommen?
„Studium, Stadt, Alter – das sind wahrscheinlich alles Aspekte davon. Das „Gender Studies“-Studium hat auf jeden Fall einiges dazu beigetragen. Alle Ismen, die in meinem Kopf waren, wurden dann dort von Expert*innen oder von Wissenschaftler*innen auf einer anderen Ebene beschrieben und konkret gemacht. Ich habe dann gelernt, dass alles, was ich wahrnehme, kein Hirngespenst ist, keine Einbildung und auch kein ,jetzt reiß dich doch mal zusammen, so schlimm ist es doch gar nicht‘-Ding. Nein, das ist alles real und es gibt Namen dafür. Einer davon ist Patriarchat.
Das hat mich auf jeden Fall sehr empowert. Aber stärker eigentlich noch mein eigenes Format: Ich habe in den drei Jahren, die ich den Job mache, sehr viel gelernt. In dem Teaser meines ersten Videos habe ich Femen gedisst. Ich würde heute niemals wieder Femen dissen, nicht weil ich finde, dass die einen guten Job machen – das ist erstmal irrelevant. Aber es gibt viel, viel wichtigere Themen, mit denen ich mich beschäftigen will, als mit einer Gruppe von Frauen, die Feminismus vielleicht anders verstehen als ich.“
Sollte es dann keine Kritik unter Feminist*innen geben, die ein anderes Verständnis davon haben?
„Doch. Ich finde innere Kritik unter Feminist*innen wichtig. Feminist*innen müssen sich auch streiten dürfen, aber ich finde, es ist nicht das erste Thema, mit dem man nach außen treten muss. Ich habe auch am Anfang meiner Videos das N-Wort noch ausgesprochen, wenn ich zeigen wollte, dass andere Leute dieses Wort für mich benutzen, um diesen diskriminierenden Moment sichtbar zu machen.
Dann war ich aber auf einer Veranstaltung, auf der nur schwarze People of Color waren und die sind wütend und traurig geworden. Seitdem nutze ich den Begriff ,N-Wort‘, weil ich gemerkt habe, wie ich mich gerade um eine Erklärung winde, wie ich versuche, meinen eigenen Rassismus zu erklären. Ich habe genau das gemacht, was ich bei anderen kritisiere. Deswegen ist mein Format einfach auch ein starker Lernprozess für mich. Ich habe zum Beispiel erst mit der Zeit gelernt, das Gendern auch in meine gesprochene Sprache zu übertragen, den Unterstrich immer mitzusprechen. Das ist alles erst durch das Format gekommen.“
„Nur weil ich mich mit feministischen Themen auseinandersetze, heißt das nicht, dass ich und andere Menschen, die sich Feminist*innen nennen, nicht Teil des Problems sind“
Je länger und intensiver man sich mit feministischen Themen, wie beispielsweise der gewaltfreien Sprache, auseinandersetzt, desto stärker muss man sich selbst reflektieren und einsehen, dass man nicht frei von jeglichen Ismen ist. Findest du wichtig, das transparent zu machen?
„Mir ist es total wichtig, das klarzumachen. Nur weil ich mich mit feministischen Themen auseinandersetze, heißt das nicht, dass ich und andere Menschen, die sich Feminist*innen nennen, nicht Teil des Problems sind. Wir sind selbst alle in einem System groß geworden, das Sexismus und Rassismus und alle anderen Ismen permanent reproduziert. Davon können wir uns nicht frei machen. Das heißt: Auch ich verhalte mich rassistisch, auch ich verhalte mich sexistisch, auch ich verhalte mich inter-, trans und homofeindlich, auch ich verhalte mich islamfeindlich. Den einzigen Unterschied, den ich dabei mache, ist, nicht der jeweiligen Gruppe das Problem zu weiterzugeben, sondern mich selbst zu fragen, woher kommt der Mist. Dazu gehört auch, mich nicht mehr erklären zu wollen, wenn ich mich sexistisch verhalte. Sondern, dass ich das einfach annehme, wenn mich jemand darauf hinweist. Es ist scheißegal, wie wir Dinge meinen. Wichtig ist, wie es bei der Person ankommt. Und wenn ich eine Person beleidige, dann ist es erstmal komplett egal, ob ich das so gemeint habe oder nicht. Und diese Tatsache auch innerfeministisch anzuerkennen, dass wir Teil des Problems sind und seine Strukturen reproduzieren, finde ich so wichtig. Darüber muss viel mehr gesprochen und diskutiert werden.
Wir sind alle Teil dieser Gesellschaft. Und wenn wir das mit einer besseren und demokratischen und einer feministischen Welt ernst meinen, dann müssen wir uns alle permanent an die eigene Nase packen und uns fragen, wann sind wir eigentlich ausschließend und diskriminierend. Und wir sind es alles sehr oft. Wenn queere Communitys Transmenschen ausschließen oder lesbische Communitys der Meinung sind, dass Transfrauen keine richtigen Frauen sein können, dann denke ich mir: What the fuck? Oder wenn queere Clubs People of Color an der Tür abweisen: Auch dann läuft was schief. Und das ist in Berlin Realität. Nur weil wir hier leben und uns alle so weltoffen finden, heißt das nicht, dass wir das auch sind. Man kann diese ganzen Diskriminierungsformen nicht nur auf die AfD oder identitäre Bewegungen oder Horst Seehofer und keine Ahnung wen outsourcen. Rassismus gibt es auch bei den Grünen oder den Linken. Überraschung!“
Manchmal habe ich das Gefühl, dass Feminismus selbst an manchen Stellen exkludiert. Die Sprache, die wir sprechen, ist oft nicht besonders niedrigschwellig, die Themen sehr komplex. Und wenn es einfach wäre, hätten wir hoffentlich ja auch schon längst keine Probleme mehr mit jeglichen Diskriminierungsformen. Wie kann es trotzdem gelingen, dass feministische Diskurse mehr in den Mainstream gelangen?
„Feministische Diskurse müssen zugänglicher sein, damit auch der Mainstream versteht, worum es eigentlich geht. Das war auch einer der Gründe, warum ich mit meinem Videoformat begonnen habe. In meinem Studium war ich irgendwann total genervt davon, wie über Rassismen oder andere Diskriminierungsformen gesprochen wurde, weil ich mir dachte: Ganz ehrlich, außerhalb, und selbst in diesem Seminar, schnallt eigentlich niemand, worum es geht. Judith Butler zum Beispiel. Ich finde Judith Butler sehr spannend, aber ich verstehe auch nur die Hälfte. Was echt schade ist, denn sie spricht ja gerade über den Zusammenhang von Macht und Sprache. Und trotzdem schließt sie selbst durch ihre Sprache ganz viele Menschen aus. Das funktioniert für mich nicht. In dem Sinne, dass man so wieder Ausschluss reproduziert.
Deswegen ist es mir wichtig, meine Videos so zu gestalten, dass sie diese großen Themen vereinfacht darstellen. Ich glaube schon, dass in feministischen Kontexten Menschen ausgeschlossen werden durch die Art, wie gesprochen wird. Da würde ich mir auch mehr Barrierefreiheit wünschen.“
Für viele Menschen ist ja gerade das Gendern eine Form, die ganz stark in die Sprache eingreift. Müsste man das der Zugänglichkeit wegen auch streichen?
„Nein. Das müssen wir eben einfach lernen. Dass ich den Unterstrich zum Beispiel mit einer Pause spreche, mache ich auch erst seit einem Jahr. Na klar ist das ein Lernprozess. Durch meine Arbeit habe ich mit Inter- und Trans-Aktivist*innen gesprochen und ab dem Moment war mir klar, dass ich die nicht in meiner Sprache ausschließen möchte. Dann ist es mir auch egal, wenn irgendeine Pupsnase nicht versteht, wieso ich das mache. Sie kann mich fragen und ich werde ihr das erklären. Aber wenn die Person das dann nicht versteht, hindert mich das nicht daran, weiter so zu sprechen. Man muss es einfach nur machen. Dann wird bei anderen ein Denkprozess losgestoßen. Dann sehen sie, dass Menschen in ihre Sprache aufgenommen werden, die sonst nicht sichtbar sind. Es kann nicht sein, dass Menschen in unserer Sprache ausgeschlossen sind. Das kann ich nicht akzeptieren.“
Deine Strategie ist dann also eher, etwas selbst verständlich zu machen, anstatt in eine erklärende Rolle zu fallen. Ist das auch die Philosophie deines Videoformats?
„Genau. Das ist eigentlich immer meine Strategie. Ich finde es schon auch wichtig, dass erklärt wird, warum man gendern sollte. Aber mittlerweile mache ich es einfach. Mein Videoformat ist ja auch kein Erklär–Format. Ich zeige, wo es beschissen läuft, wo diskriminierende Strukturen greifen und dann müssen Leute schnallen, was ich damit meine. Das bietet mein Videoformat nicht. Sicher ist es so auch nicht komplett barrierefrei. Aber man muss das eben auch so sehen, dass das, was ich mache, ein Angebot von vielen ist. Wenn jemand ein Erklärvideo braucht, dann soll sich die Person ein Format beim Deutschlandfunk anhören. Da gibt es genügend.“
„Es ist einfach verdammt wichtig, dass diese ganzen Mainstream-Medien endlich begreifen, wie wichtig eine gewaltfreie Sprache ist. Das ist deren fucking Aufgabe.“
Aber glaubst du nicht, dass im Mainstream schon Gedanken bestehen wie „Rechts ist scheiße und klar ist es wichtig, dass wir alle gleichberechtigt sind“, aber dass es da wichtig wäre, ein Kontextwissen zu bekommen?
„Voll. Aber das liefere ich halt nicht. Das heißt nicht, dass ich es nicht wichtig finde, dass Journalist*innen oder Aktivist*innen diesen Part übernehmen. Als ich mit meinen Videos angefangen habe, gab es ja auch schon das Missy Magazine oder die Mädchenmannschaft. Aber ich wollte kein Format haben, das genauso ist. Trotzdem feiere ich die Arbeit von denen. Es müssen verschiedene Angebote gegeben sein. Die einen erklären mehr, die anderen sind wütenderer und wieder andere radikaler und ich bin einfach der Genderonkel, der ein paar Witzchen macht. Und dann kann man über meine Witze nachdenken und sich woanders so ein Kontextwissen aneignen. Es gibt viele Möglichkeiten, wie man sich informieren kann und auch diese müssen divers sein.
Dass der Mainstream darüber informiert werden muss, ist klar. Aber ich finde auch, dass das nicht nur Aufgabe von kleinerdrei, Missy Magazine, Mädchenmannhaft oder Edition F sein sollte. Ich würde mir wünschen, dass auch das Zeit-Magazin gendert. Dass die das immer noch nicht machen, ist eine Katastrophe. Es ist einfach verdammt wichtig, dass diese ganzen Mainstream-Medien endlich begreifen, wie wichtig eine gewaltfreie Sprache ist. Das ist deren fucking Aufgabe.”
Welche drei Dinge würdest du dir von der Medienlandschaft wünschen?
„Zum einen wünsche ich mir diversere Redaktionsteams. Es kann nicht sein, dass der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in der Journalismusbranche bei zwei bis drei Prozent liegt, wenn etwa zwanzig Prozent der Deutschen Migrationsgeschichte haben. Das ist einfach viel zu gering. Und das führt natürlich dazu, dass Rassismus oft nicht hinterfragt wird, sondern eher reproduziert wird. Genauso verhält sich das mit Inter-, Trans- und Islamfeindlichkeit. Es gibt ja diese Journalist*innen. Wir haben eine große Qualität an Menschen, die nicht weiß oder heterosexuell sind, aber die sind in den Redaktionen nicht sichtbar.
Zum anderen wünsche ich mir, dass Feminismus nicht mehr als Nischenthema gelabelt wird. Feminismus ist ein Weg, das Konstrukt von Demokratie am Leben zu erhalten. Wir bekommen keine gerechtere und fairere Welt, wenn wir uns nicht mehr feministisch positionieren. Deswegen hört auf mit diesem Nischenthema-Gelaber auf. Das ist Bullshit. Feminismus ist für Inter-Menschen genauso wichtig wie für heterosexuelle, weiße Männer.
Und als letztes: Ich würde gerne meine eigene Late Night Show bei ZDF Neo haben. Im Moment ist das ja auch sehr weiß und männlich dominiert. Es ist dieser ewige Alt–Herrenwitz, der auch nicht in Frage gestellt wird. Weiße Typen reden halblustiges Zeug. Lasst doch einfach mal mich halblustiges Zeug labern. Oder andere Menschen. Warum gibt es keine Frau, die eine geile Late Night Show hat? Oder keine Frau mit Kopftuch oder keine, die trans ist? Auch mit wem gesprochen wird, sollte überdacht werden. Warum wird immer der gleiche Dieter angefragt? Warum nicht die Claudia oder die Aische, die genau dieselbe Expertise haben. Alle drei Wünsche hängen zusammen. Vor und hinter der Kamera muss Diversität sichtbar werden.“
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