Der Lebensplan steht schon vor der Geburt, die Freizeit ist ab dem ersten Geburtstag durchgetaktet, die Wohnung ist immer aufgeräumt und hübsch dekoriert. Wo bleibt da eigentlich noch Zeit für Gelassenheit und Spaß?
Mein Job, mein Haus, mein Kind
Unsere Eltern haben sich blauäugig in Abenteuer gestürzt. Wir brauchen dagegen einen perfekt ausgeklügelten Lebensplan, um überhaupt mal mit irgendwas anzufangen. Erst Schule, dann Studium, dann ein Job, ein gutes Gehalt und eine gemeinsame Wohnung. Und wenn wir dann richtig was wagen wollen, kommt die Kinderplanung dran. Projekt Nachwuchs beginnt: Eltern-Ratgeber kaufen, Erziehungskonzepte recherchieren und einen Ernährungsplan austüfteln – wir machen so viele Pläne, dass eigentlich nichts mehr schiefgehen kann, oder?
Das Problem ist doch, dass diese ganze Planung nicht zwangsläufig dazu führt, dass es den Kids gut geht. Erziehung steht heute so im Fokus der Gesellschaft, dass Eltern ständig auf einem Minenfeld unterwegs sind. Jeder scheint besser zu wissen, was dem Kind gut tut, sei es der Verzicht auf Zucker, Englisch im Kleinkindalter, antiautoritäre Erziehung, oder auch genau umgekehrt. Aber ist es der richtige Weg, zu behaupten, dass diese und jene Methoden richtig oder falsch ist? Kinder sind verschieden, genau wie ihre Beziehung zu den Eltern. Der dänische Familientherapeut und Autor Jesper Juul sagte im Interview mit Die Presse passend: “Viele Kinder werden in einer gewissen Weise heute „übererzogen”: Löffel gehört so, Hände aus den Hosentaschen. Das ist nicht Erziehung, das ist Konditionierung. Erziehung findet zwischen den Zeilen statt. Was Kinder beeindruckt, was sie ins Erwachsenenalter mitnehmen, darüber haben wir wenig oder keine Kontrolle. In Wahrheit muss man viel weniger Energie für die Kinder aufwenden und besser auf das eigene Leben und das mit dem Partner achten. Das ist viel besser für die Kinder als die „Kinder im Zentrum”-Philosophie.”
Es hilft unseren Kindern doch vor allem, wenn es uns selbst gut geht und wir das dann auch vorleben können. Kinder brauchen keine perfekten Pläne und auch nicht zwingend einen Klarinettenunterricht, um glücklich zu sein. Wir sollten uns lieber darauf konzentrieren gute Vorbilder zu sein statt perfekte Eltern – denn was bedeutet das schon?
Familie und Job – wer soll das denn eigentlich hinkriegen?
Aber wie sollen wir das eigentlich hinbekommen, wenn wir jeden Tag gleich zwei Fulltime-Jobs zu erledigen haben? Überall immer mit voller Power dabei zu sein, ist nicht einfach. Das Ergebnis: Frust und das blöde Gefühl, dass man weder dem Job noch dem Kind gerecht wird.
Felicitas Richter, Diplom-Sozialpädagogin und Mutter von vier Kindern, beschäftigt sich in ihrem Buch “Schluss mit dem Spagat: Wie Sie aufhören, sich zwischen Familie und Beruf zu zerreißen” mit der Frage, wie Familienleben und Beruf eigentlich miteinander vereinbar sind. Ihre selbstentwickelte Methode „Simple Present“ richtet sich gegen die berühmte Work-Life-Balance. Es geht nicht wie gewöhnlich um Selbstoptimierung und bessere Planung, sondern darum, sich einfach im jeweiligen Moment auf eine Sache zu konzentrieren und das Beste zu geben. Statt gedanklich immer mit unendlich vielen Dingen zu jonglieren und wie üblich zu multitasken empfiehlt Felicitas Richter, eine Sache nach der anderen zu tun. Zum Beispiel einfach mal wirklich zusammen mit der Familie frühstücken, ohne nebenbei gedanklich schon bei der Arbeit zu sein oder Mails zu checken. Das klingt für uns, die sonst gerne zehn Dinge gleichzeitig regeln, irgendwie ungewohnt. Aber wer hat denn eigentlich schon mal probiert, das Leben auf diese Art in die Hand zu nehmen? Einen Versuch wäre es wert.
Weniger perfekte Instagramfotos, mehr Gute-Nacht-Geschichten, bitte!
Ein weiterer Stressfaktor ist das vermeintlich perfekte Leben der Anderen, dem wir uns gar nicht mehr entziehen können. Das Netz ist voll mit Mummy-Blogs, glücklich grinsenden Bilderbuch-Familien, den niedlichsten Babyklamotten und hübschen, aufgeräumten Wohnungen. Dazu gibt es dann noch jede Menge Ratschläge und Tipps, wie alles so schön werden kann. Dieser ständige Perfektionismus kann nerven, vor allem, wenn das eigene Leben ständig im Chaos versinkt. Schreiende Kinder, sich türmende Wäscheberge, überall verstreutes Spielzeug – das ist doch Realität, das fotografiert nur niemand. Kein Grund also, sich schlecht zu fühlen. Wie soll auch alles perfekt aussehen und sein, bei den vielen Aufgaben, die Eltern nun mal haben?
Lassen wir uns also nicht stressen von den ganzen Ratgebern, Experten und perfekten Social-Media-Mamas. Es gibt keinen wasserdichten Plan, bei niemandem läuft alles rund. Und mal ehrlich, den Kleinsten ist es auch echt egal, ob der Boden blitzblank gewischt ist und die Kaffeetassen zur Farbe des Frühstücks passen. Die haben Bock auf Toben, entspannte Kuscheleinheiten mit ihren Eltern und schöne Gute-Nacht-Geschichten!
Das erwähnte Buch „Schluss mit dem Spagat“ und viele weitere zum Thema, gibt es auf Audible als Hörbuch zum Download.
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