Das ungute Gefühl nach dem Sex. Wollte ich das wirklich? Bin ich eine Schlampe? Worüber wir reden müssen, damit wir uns mit unserer Sexualität und unseren Wünschen wohl fühlen.
Grauzonen
Als ich 17 war und gerade frisch getrennt nach einer zweijährigen Beziehung, ging ich auf eine Party und lernte einen Mann kennen. Er war neun Jahre älter als ich, ziemlich attraktiv und ich, abgesehen von meinem ersten Freund, noch ziemlich unerfahren. Wir flirteten, tranken Alkohol, die Stimmung war ausgelassen und da die Party in seiner WG stattfand landeten wir irgendwann unweigerlich in seinem Bett.
Wir küssten uns, zogen uns aus und doch war für mich irgendwie klar: Ich will keinen Sex mit ihm. Ich habe mehrmals nein gesagt. Ihn weggedrückt, meine Unterhose wieder angezogen und ihn nochmals weggedrückt. Aber weggegangen, weggegangen bin ich nicht. Weil ich erregt war. Weil ich mich begehrt gefühlt habe. Sex wollte ich trotzdem nicht, hatte ich mich doch gerade erst von meinem Freund getrennt.
Er drang schließlich in mich ein und für ungefähr fünf Minuten fand ich das Ganze auch gut, machte mit, war auf ihm drauf. Bis mir bewusst wurde, was gerade eigentlich passierte.
Ich legte mich neben ihn und hatte das Gefühl, ihm gegenüber unfair zu sein. Weil er ja schließlich nicht kommen konnte. Ich fühlte mich unwohl, ich vergoss Tränen, und doch blieb ich die ganze Nacht. Nur um am nächsten Tag von ihm beinahe völlig ignoriert zu werden und mich noch schlechter zu fühlen.
War das eine Vergewaltigung?
Ich hatte nein gesagt. Mehrmals und ausdrücklich. War es deswegen eine Vergewaltigung? Für mich war es keine.
Auf dem Nachhauseweg kam ich mit einem jungen Mann ins Gespräch, dem ich ganz verzweifelt von meinem nächtlichen Erlebnis erzählte. Denn ich fühlte mich hundeelend und benutzt und dreckig. „Das war ein One-Night-Stand“, sagte er, „Du fühlst dich jetzt ganz schlecht und sagst, es wird nie wieder passieren. Und dann passiert es dir doch wieder. Und manchmal fühlst du dich deswegen wieder schlecht, ein anderes Mal aber beflügelt.“
Er hatte Recht.
Diese Nacht war deswegen für mich keine Vergewaltigung, weil ein Nein nicht immer ein endgültiges Nein ist. Weil man von seinem Gegenüber nicht erwarten kann, ein Nein zu verstehen, wenn man dann doch auch ein Ja signalisiert. Man kann nicht nein sagen, aber den anderen dann weiter heftig küssen. Ich hätte jeder Zeit aufstehen können und weggehen können, aber das habe ich nicht getan.
Die Mär der Schlampe
Nach dieser Nacht wusste ich für mich: Ich wollte Sex haben, aber eben nicht mit vielen verschiedenen Männern. Deswegen wollte ich also unbedingt nochmal mit diesem Mann Sex haben. Denn wenn man mit vielen Männern schläft, ist man schließlich eine Schlampe, das dachte ich.
Also traf ich ihn wieder und wieder und wieder, um am nächsten Morgen wieder und wieder und wieder von ihm ignoriert zu werden.
Ich konnte mich nicht von ihm lösen. Ich bin eine selbstbewusste junge Frau, und damals war ich ein ebenso selbstbewusstes Mädchen. Und genau deswegen schäme ich mich heute so dafür, dass ich nicht gehen konnte, nicht nein sagen konnte. Nicht in dieser Nacht und auch die Monate danach nie. Obwohl ich so oft nein gesagt habe. Zu ihm, zu mir selbst, zu meinen Freundinnen. Aber warum?
Ironischer Weise war es genau dieser Mann, der einmal zu mir sagte, dass er das Gefühl habe, ich würde bestimmte sexuelle Dinge zu früh machen. Dass er, wäre ich seine kleine Schwester, mir sagen würde, dass ich lieber noch warten solle. Das ich auf eine Art und Weise vielleicht sexuell frühreif sei.
Zu früh für Sex
Und da stimme ich ihm heute zu. Ich hatte mein erstes Mal mit 15, weil ich dachte, dass mein damaliger Freund meine große Liebe sei und wir für immer zusammen sein würden. Drei Monate später trennte er sich von mir und für mich brach eine Welt zusammen.
Ich bereue mein erstes Mal nicht. Nicht in diesem Moment und mit dieser Person, aber im Nachhinein denke ich, dass es mir auch nicht geschadet hätte, noch zu warten. Weil es eben doch nicht irgendein Moment ist. Weil man, wenn man einmal mit jemandem schläft, auch immer einen Teil von sich weggibt, weil man dann eines der engsten Dinge mit jemandem teilt, die man zu teilen hat.
Weil man all das mit 15 noch gar nicht verstehen kann. Und weil einem Sex dann, wenn man ihn erst einmal hatte, komplett normal vorkommt. Aber vor allem deswegen, weil man mit 15, 16 oder 17 denkt, dass man alles über das Leben wisse, obwohl man genau gar nichts weiß.
Déjà-vus
Ich würde gerne behaupten können, dass das die einzige Situation war, die so ablief, doch leider stimmt das nicht. Ein knappes Jahr später war ich in der selben Situation, nur mit einem anderen Mann neben mir. Wieder sagte ich nein, weinte sogar, und trotzdem kam es zum Sex. Aber eine Vergewaltigung, die war es für mich nie. Weil ich zwar nein sagte, mein Körper letzten Endes aber ja gesagt hat. Und es gab auch Male, in denen ich das Nein nicht aussprach und nicht sagte, dass ich den Geschlechtsverkehr, zu dem es dann kam, eigentlich nicht wollte.
Muss ein Mann, wenn eine Frau nein sagt, sofort aufhören? Ja.
Muss ein Mann, wenn eine Frau nein sagt, aber dann weiter küsst, weiter berührt, weiter umarmt, sofort aufhören? Ich weiß es nicht.
Ich weiß nur, dass ich es nicht tun würde, weil man durchaus davon ausgehen kann, dass das Gegenüber mehr will, wenn die Körpersprache ja sagt aber aus dem Mund ein Nein kommt.
Ich will nicht sagen, dass ein Nein nicht ausreichend ist, denn das stimmt nicht. Ein Nein muss genügen. Aber ich finde, wir sollten überdenken, warum es in Situationen, in denen wir nein sagen, es trotzdem zum Geschlechtsverkehr kommt.
Schweigend zustimmen
Ich rede nicht von gewaltsam erzwungenem Sex, sondern von jenem, den wir eigentlich nicht wollen, aber stillschweigend zustimmen, weil wir nicht nein sagen können. Weil wir uns nicht trauen nein zu sagen, oder weil wir es emotional nicht können.
Wir reden so viel über Männer, die lernen sollen, ihren Trieb unter Kontrolle zu haben. Und darüber, dass wir Jungen von Anfang an beibringen sollen, dass sie eine Frau zu respektieren haben, dass sie ein nein zu respektieren haben. Und das ist gut und richtig.
Aber noch wichtiger wäre es, Frauen und junge Mädchen darin stärken, Nein zu sagen und keinem Druck nachzugeben, der dazu führt, dass wir doch Ja sagen. Dass wir es uns anders überlegen und glauben, wir hätten das Nein vielleicht gar nicht so gemeint. Wir müssen unseren Töchtern unseren Freundinnen und Schützlingen beibringen nein zu sagen und auch nein zu machen – in den Situationen, in denen das möglich ist. Aufzustehen und zu gehen. Nicht das Gefühl zu haben, einem Mann etwas (zurück-)geben zu müssen.
Der Schlampenstempel frisst Selbstbewusstsein
Wir müssen aufhören Frauen und auch Männer, die Spaß an Sex und an Promiskuität haben, als Schlampen abzustempeln. Denn auch das bringt sie um die sexuelle Selbstbestimmung. Denn auch wenn man gerne mit anderen Sex hat gefällt es niemandem, wenn andere deswegen tuscheln und schlecht über einen reden. Das macht etwas mit dir, es schränkt dich ein in der freien Entfaltung und vor allem bei der Partnerwahl, es macht, dass du Dinge verstecken willst und dich vielleicht in blöde Situationen bringst.
Ich glaube einer der wichtigsten Punkte der sexuellen Zustimmung ist, mit sich selbst im Reinen zu sein. Wer sich selbst gut kennt, kann nein sagen, denn er hat nicht das Gefühl, die andere Person wüsste es vielleicht besser. Lernen nein zu sagen, ist wirklich nicht einfach. Und das betrifft uns in vielen Situationen.
Nein. Nein. Nein.
Ich will nicht sagen, dass ich nie wieder in eine Situation kommen werde, in der ich eigentlich keinen Sex haben will aber doch irgendwie kurz davor bin. Aber jetzt, zwei Jahre später nach diesen Ereignissen und vier Jahre nach meinem ersten Mal, kann ich wirklich nein sagen. Ich kann jetzt aufstehen und gehen. Ich habe jetzt den Mut zu sagen: „Nur weil ich Kuscheln mag und Küssen und Petting, heißt das nicht dass ich Sex mit dir haben muss. Nur weil ich es angefangen habe und du jetzt geil bist, heißt das nicht, dass ich es auch zu Ende bringen muss”.
Nein sagen zu können braucht eine ganze Menge an Mut und Erfahrung und das sollten wir unseren Kindern, sowohl unseren Töchtern als auch unseren Söhnen, von Anfang an beibringen. Damit sie selbstbewusst und vor allem selbstreflektiert ihre Sexualität erkunden können. Ich wünschte mir, ich hätte in diesen Situationen wirklich nein gesagt, wünschte mir, ich hätte zuerst gelernt nein zu sagen, bevor ich ja gesagt habe.
Denn nur wer nein sagen kann, sollte auch ja sagen.
Titelbild: France Gimenez – Flickr – CC BY-ND 2.0
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