Foto: flickr | Jean Koulev – CC BY 2.0

Nichi Hodgson glaubt: Ja, wir können respektvolle Pornos produzieren

Der Dreh darf jederzeit unterbrochen werden, es darf nach einem Kondom gefragt werden, allen am Set soll es gut gehen – diese Standards will Nichi Hodgson mit der „Ethical Porn Partnership“ in der Pornoindustrie etbalieren.

Sind Pornos ethisch vertretbar?

Die „Ethical Porn Partnership“ (EPP), würde diese Frage mit „Ja“ beantworten. Die EPP ist ein Zusammenschluss von Darstellerinen und Darstellern, Menschen, die Pornos konsumieren und produzieren und weiteren Unterstützern, die der Pornoindustrie Alternativen bieten wollen, damit sie weder ausbeuterisch noch menschenverachtend ist.

Mittels neuer Standards wollen sie die Gesundheit, das Wohlergehen und die Arbeitsrechte aller Beteiligten absichern sowie dem Konsumenten gleichzeitig qualitativ hochwertigen, jedoch – ganz wichtig – ethisch vertretbare pornografische Inhalte zu bieten. Nichi Hodgson will mit EPP die Standards in der Branche gehörig überholen.

Die Frau, die die Pornografie verändern will.                          Quelle: instagram | Nichi Hodgson

Denn, wer wäre für so eine Mission besser als eine Frau, die schon selbst Erfahrungen in der Branche gemacht hat: Nach ihrem Studium klappte es mit den Aufträgen und dem Schreiben nicht ganz so, wie es sich Nichi gewünscht hätte. Schlichtweg aus Geldnot führte eine Bekannte sie in die Welt der professionellen Dominas ein, in der sie schließlich als Escort-Dame arbeitete und bis zu 200 Pfund die Stunde verdiente.

All das, was sie dort selbst erlebte, erzählt sie in ihrem Buch „Bound to You“ – ihr Weg vom „Vanilla-Girlfriend“ zur professionellen Domina bis zurück ins Medienbusiness, wo sie heute unter anderem für The Guardian, Vice und Bustle schreibt.

Mit Nichi an der Spitze will die EPP dem Mainstream-Porno ordentlich Parole bieten. Wir haben mit der Britin über ihre Ideen gesprochen.

Du hast selbst schon als Sexarbeiterin Geld verdient. Wie bist du dann auf die Idee der Ethical Porn Partnership gekommen?

„In meiner Zeit als professionelle Domina und ,Kink Escort‘ habe ich viele Einblicke erhalten und Erfahrungen gemacht. Selbst habe ich nie bei Pornos mitgewirkt, aber die Leute waren sehr aufgeschlossen mir gegenüber und haben mir großzügig dabei geholfen, die Industrie kennenzulernen und zu verstehen. Auch meine Studienschwerpunkte Geschlecht und Sexualität sowie mein persönliche Dating-Erfahrungen haben mich dazu bewegt, etwas ändern zu müssen.“

Warum willst du denn etwas ändern?

„Ich betrachte Pornografie als Kunst. Und, Kunst ist nicht ausbeuterisch, sondern einfach schön anzuschauen, und gehört zum Alltag von jedem von uns dazu. Wendet man diese drei Kriterien auf die aktuelle Pornografie an, merkt man: nichts davon trifft momentan auf die Pornoindustrie wirklich zu. Daher müssen die Standards in der Pornografie endlich überholt werden.“

Wie soll die EPP dir dabei helfen? Was sollen die Konsumenten bei euch finden?

„Wir wollen keinen Inhalt selbst produzieren, sondern ein Portal sein, wo man Informationen zu Pornos und Empfehlungen für Seiten finden kann, die ethisch vertretbar sind. Wir wollen „Behind the Scenes“-Videos und Kommentare veröffentlichen, um zu zeigen, wie die guten Filme in Wahrheit gemacht werden.“

Was ist das größte Problem bzw. die größte Herausforderung für die Branche heute?

„Es gibt zwei Probleme: Zum einem gibt es zunehmend kostenlose Pornofilme – das ist das ökonomische Problem. Zum anderen ist die Ethik der Produktion eine große Herausforderung. Die neuesten Vorwürfe gegenüber Pornostar James Deen, übergriffig gegenüber Kolleginnen gewesen sein soll, haben die Industrie wirklich erschüttert, und gezeigt, wie schwer es ist, zu wissen, ob sich die Menschen am Set wirklich korrekt verhalten.“

Wie sollten Pornos deiner Meinung nach denn aussehen? Welche Standards müssen diese erfüllen, damit sie das EPP-Label bekommen würden?

„Wir verlangen von der Pornoindustrie, jeden transparent und fair zu bezahlen. Dass es regelmäßige Pausen gibt am Set, dass es immer Essen und Getränke gibt, dass Gesundheit die höchste Priorität hat und dass jede Woche konsequent Tests durchgeführt werden. Außerdem, dass jeder Darsteller, wenn er oder sie mag, um die Nutzung eines Kondoms bitten kann, dass ein Darsteller den Dreh, die „Action“, zu jeder Zeit unterbrechen kann, wenn sie oder er sich unwohl fühlen – warum auch immer. Dass es psychologische Unterstützung und Supervision gibt, dass die Darsteller genau wissen, wo ihre Inhalte im Internet geteilt und verkauft werden.“

Wie viele Menschen, Direktoren, Konsumenten unterstützen EPP bereits?

„Aktuell haben wir 200 Unterstützer auf unserer Liste, aber wir kriegen permanent E-Mails und Tweets von Menschen, die uns ermutigen, weiter zu machen. Die Idee ist, auch ein Gremium bzw. Aufsicht einzuführen, das die Angelegenheiten überblickt.“

Denkst du, dass sich junge Leute darüber im Klaren sind, welche Art von Pornos sie anschauen? Realisieren sie die Tatsache, dass die meisten völlig an der Realität vorbeigehen?

„Manche ja, manche nicht. Ich glaube, es gibt so viele Filme, dass sie nicht mehr unterscheiden können, was echt ist und was nicht. Jugendliche bekommen einfach nicht genug gute sexuelle Aufklärung, um ihren Pornokonsum auszugleichen. Wir alle sind das Produkt von dem, was wir aufnehmen – beim Porno ist das nicht anders.“

Letztes Jahr wurde eine Liste mit Sexakten herausgegeben, die fortan in der englischen
Pornoindustrie als verboten galten, beispielsweise die weibliche Ejakulation, wohingegen die männliche Ejakulation weiterhin gezeigt werden kann. Wie siehst du das?

„Sexualpraktiken wie ,Facesitting‘, Fisting oder eben die weibliche Ejakulation zu verbieten, ist komplett diskriminierend und weltfremd. Es verdeutlicht eine Kultur, die Frauen nicht ernst nimmt und ein beschränktes Verständnis von erfüllter Sexualität hat.“

Gab es jemals eine Zeit, in der du aufgeben wolltest, weil du dachtest, dass du sowieso keine ganze Industrie verändern kannst?

„Schon viele Male! Aber immer dann habe ich eine E-Mail bekommen von jemandem mit einer spannenden Sichtweise oder jemandem, der uns gratulieren oder helfen wollte. Das hat mein Vertrauen in das Projekt immer wieder stark gemacht.“

Was hilft dir, solch eine Phase zu durchstehen?

„Die Ziele des Projekts so zu setzen, dass ich sie auch wirklich erreichen kann. Ich möchte einfach eine Bewegung lostreten, dass sich die Leute zunehmend darüber Gedanken machen, welche Art von Porno sie denn da konsumieren. Ein Wandel wird natürlich nicht von jetzt auf gleich möglich sein, aber ich bin niemand, der aufgibt, und ich glaube stark an die Möglichkeit der Veränderung.“

Hast du ein Vorbild?

„Ich nehme meine Inspiration von vielen anderen Kampagnenträgern, die sich für die sexuelle Freiheit einsetzen, und Menschen wie Annie Sprinkle, Ex-Pornostar und Vertreterin des ,Sex-positive Feminismus‘, oder Menschenrechtsaktivist Peter Tatchell.“

Ertappst du dich manchmal dabei, dass dein Handeln deinen eigenen Idealen und ethischen Ansprüchen einer Frau bzw. eines Sexakts widerspricht?

„Nein – Alles, was ich tue, ist einvernehmlich und respektvoll anderen Menschen gegenüber, mit denen ich interagiere (so hoffe ich zumindest). Auf dieser Basis, denke ich nicht, dass du deinen eigenen ethischen Leitlinien widersprechen kannst.“

Glaubst du, eine Frau ist in der Lage, eine Industrie zu verändern, in der Frauen so oft als Objekt betrachtet und nicht so respektiert werden, wie sie eigentlich sollten?

„Ich glaube nicht, dass ich die gesamte Industrie verändern kann, aber denke zum Beispiel an die Fair-Trade-Bewegung in Großbritannien: Die ist auch aus einem kleinen Zusammenschluss von gemeinnützigen Vereinen entstanden und mit der Zeit haben sie es geschafft, multinationale Unternehmen bzw. Kooperationen zu durchdringen. Ein Wandel der Pornoindustrie von jetzt auf gleich wird nicht möglich sein, es wird eben so lange dauern, wie es dauern wird, aber da ist definitiv Raum für ein ethisch korrekten Abschnitt in der Industrie. Und ich bin niemand, der aufgibt.“

Hast du auch männliche Unterstützer?

„Unsere Kernunterstützerinnen sind Frauen, weil ihnen auch mehr daran liegt, die Industrie zu verändern und gute Arbeitsbedingungen zu schaffen. Es gibt immer mehr weibliche Darsteller, die jetzt auch Regie führen, und Einfluss darauf nehmen wollen, wie ihr Körper wahrgenommen, wie das Bild, ihr Image geformt, verkauft, und verbreitet wird. Trotzdem gibt es auch viele Männer, die uns unterstützen.“

Bezeichnest du dich selbst als Feministin?

„Ja, absolut – keine Frage.“

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