Unsere Community-Autorin Anna-Lena Maier steckt gerade im Hamburger Wahlkampf und in der Kita-Eingewöhnung, außerdem arbeitet sie Vollzeit. Warum sie sich das antut? Weil es nicht damit getan ist, dass ab und zu ein Bild von einer Politikerin mit Baby im Parlament durch Twitter geistert, das dann alle feiern.
Termine, Termine und noch ein Termin
Diesen Text wollte ich eigentlich vor zwei Wochen schreiben. Ich kam aber nicht dazu, denn: Ich kandidiere für die SPD bei den Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft auf dem Landeslistenplatz 48 (da muss man zugegebenermaßen schon ein wenig suchen). Der Wahlkampf geht jetzt in die heiße Phase. Man könnte und sollte also eigentlich jeden Abend bei einem anderen politischen Termin sein. An den Wochenenden werden Infostände betreut und Tür-zu-Tür-Aktionen durchgeführt, und die regulären Sitzungen und Abstimmungstermine finden natürlich auch noch statt. So ein Wahlkampf fühlt sich an wie ein Studium während der Klausurenphase: man könnte immer noch mehr machen. Noch ein Gespräch mit potenziellen Wähler*innen, noch eine Veranstaltung mitnehmen, noch einen Hausbesuch einplanen. Doch mit Kleinkind, Vollzeitjob und einem Partner mit eigenen Verpflichtungen und Ambitionen stellt sich die Lage einfach ein wenig anders dar.
Die Vereinbarkeitslüge
Meinen Flyer haben mein Mann, der gerade ein Unternehmen gründet, und ich nachts designt. Meine Social-Media Posts mache ich abends während der Einschlafbegleitung, in der Hoffnung, dass meine Tochter es nicht bemerkt. Wenn ich fürs Zubettbringen überhaupt zuhause bin. Oft antworte ich nebenbei noch auf erschütternde Hassnachrichten von Rechtsextremen, an die ich mich immer noch nicht gewöhnt habe. Gleichzeitig befinde ich mich im Endspurt meiner Promotion und arbeite Vollzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Geistig gebe ich also Vollgas, körperlich macht sich der Druck bemerkbar: Nach einem Jahr Babytragen und vielleicht fünfmal Sport streikte plötzlich der Rücken, sodass ich wochenlang wie eine Piratin lief. Ach ja, und wir sind mitten in der Kita-Eingewöhnung. Im Januar und Februar. Eltern wissen, was das heißt – Erkältungen, wie man sie jahrelang nicht kannte, strecken die ganze Familie nieder. Dabei müssen gerade jetzt alle funktionieren, denn sobald eine*r von uns ausfällt, fällt das ganze Kartenhaus der Vereinbarkeit zusammen.
Politik und Leben
Natürlich treffe ich auf viele Genoss*innen, die großes Verständnis zeigen, wenn ich wegen eines fiebernden Kindes ausfalle oder nicht jede einzelne Parteiveranstaltung mitnehme, um Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Und trotzdem hält sich der Anspruch der ständigen Verfügbarkeit hartnäckig. Denn unsere Parteistrukturen sind, auch jenseits der besonderen Situation des Wahlkampfes, noch nicht darauf ausgelegt, dass alle – die mit Baby, die mit zu pflegenden Angehörigen, die mit Schichtdienst – sich gleichermaßen beteiligen können, geschweige denn kandidieren. Dabei brauchen wir dringend eine Beteiligungskultur, die Ehrenamtliche ehrt und stärker auf Inhalte und Impact als auf reine Anwesenheit setzt. Die anerkennt, dass auch Politiker*innen Menschen sind – mit Jobs, Passionen, Familien und Partner*innen, kurz: mit einem Leben.
Warum trotzdem
Warum tue ich mir das an? Es gibt viele gute Gründe, wieso ich mich trotzdem politisch engagiere. Es ist schließlich kein Geheimnis, dass die Lage der SPD schon einmal rosiger war, auch wenn wir in Hamburg vergleichsweise gut dastehen. Ich finde, dass die Sozialdemokratie eine der besten politischen Ideen der Menschheitsgeschichte ist. Als ich im vergangenen Jahr einmal kurz davor war, auszutreten, habe ich mich daran erinnert und kritisch selbst hinterfragt: Wer macht denn die Politik, die wir uns wünschen, wenn nicht wir selbst? Natürlich ist alles gerade viel. Aber ich will nicht länger hinnehmen, dass gerade Frauen ab 30 für eine ganze Zeit – die „zufällig“ mit der Familiengründungsphase korreliert – aus der aktiven Politik verschwinden. Es ist 2020, und unsere Perspektiven braucht es eben auch im Parlament. Es ist nicht damit getan, dass ab und zu ein Bild von einer Politikerin mit Baby im Parlament durch Twitter geistert, das dann alle feiern, während uns gerade dieser Umstand, dass es eben nicht völlig normal ist, dass auch Mütter Politik machen, zutiefst beunruhigen sollte. Ich hoffe, dass meine Tochter sich diesen Herausforderungen eines Tages nicht mehr stellen muss. Wenn meine Kandidatur ein wenig zu einer besseren Vereinbarkeit für alle beiträgt, ebenso zu einer wirklichen Erneuerung meiner hassgeliebten SPD, dann hat sich das alles gelohnt.