Seit dem 1. November ist es endlich so weit: Das Selbstbestimmungsgesetz ist in Kraft getreten und die ersten Menschen konnten bereits ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern. Doch leider zeigt sich auch jetzt noch: Trotz des SBGG wird weiterhin stark an binären Strukturen festgehalten. Ein Kommentar von Mona Siegers.
Die Hoffnung war, dass man einfach zum Standesamt gehen und mit einer Erklärung das eigene Geschlecht und den eigenen Namen rechtlich ändern kann. Dass es nicht ganz so einfach ist, war vom überbürokratisierten Deutschland eigentlich schon zu erwarten.
Es ist seit Längerem bekannt, dass das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) eine „Voranmeldung“ von drei Monaten vor Erklärung der Geschlechtsänderung voraussetzt. Dass es überhaupt eine dreimonatige „Wartezeit“ gibt, ist in meinen Augen vollkommen unnötig und respektlos, TIN-Personen gegenüber. Die Annahme, dass sich Menschen innerhalb weniger Monate noch einmal „umentscheiden“, ist die institutionelle Form der diskriminierenden Aussage: „trans sein ist nur eine Phase“. Das passt allerdings gut zum Rest. Insgesamt wurden durch das Selbstbestimmungsgesetz neue Hürden konstruiert und existierende Hürden nicht hinreichend abgebaut.
Selbstbestimmung unter Umständen?
Eine Leserin erzählte uns im August von ihrer Anmeldung für das Selbstbestimmungsgesetz beim Standesamt. In Deutschland gibt es vier Geschlechtsoptionen: männlich, weiblich, divers und kein Geschlechtseintrag. Lucy wollte ihren Geschlechtseintrag streichen lassen und ihren Vornamen zu „Lucinda“ ändern. Lucy ist eine Abkürzung. Das Standesamt meldete sich zurück mit der Info, dass es nicht möglich sei, ihren Namen zu einem „weiblichen“ Namen zu ändern, da sie ihren Geschlechtseintrag streichen lassen wolle, „somit wäre ein Unisex-Name zu wählen.“
Begründet wurde das damit, dass laut Paragraf 2 Absatz 3 des SBGG „[…] Vornamen zu bestimmen [sind], […] die dem gewählten Geschlechtseintrag entsprechen.“ Welche Vornamen aber den jeweiligen Geschlechtseinträgen entsprechen, ist nirgendwo erläutert. Wir haben kurz darauf ebenfalls beim Standesamt Berlin-Mitte angefragt, die keine klare Antwort darauf geben konnten, welcher Name bei welchem Geschlecht gewählt werden dürfe. Selbst das für das Gesetz zuständige
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) konnte uns zunächst keine hinreichende Antwort darauf geben, ob Lucy ihren Namen tragen darf oder nicht.
Glücklicherweise wurde noch vor dem tatsächlichen Inkrafttreten des SBGGs laut der Deutschen Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit (dgti) ein Schreiben herausgegeben, das eine Empfehlung bezüglich Lucys Problem ausspricht. Die Regelung sieht so aus: Für „divers“ und keinen Geschlechtseintrag gibt es keine Einschränkung bei der Vornamenswahl. Es dürfen männliche, weibliche und Unisex Namen gewählt und beliebig kombiniert werden. Bei „männlich“ und „weiblich“ gibt es allerdings eine Einschränkung. Es dürfen keine Vornamen gewählt werden, die dem jeweils anderen binären Geschlecht zugeordnet werden. Zu „weiblich“ passen keine männlichen und zu „männlich“ keine weiblichen Namen.
Für Lucy sind das erstmal gute Nachrichten, da sie ihren Namen tragen darf. Sie freut sich sehr. Allerdings kann man sich trotzdem noch die Frage stellen, warum es überhaupt Einschränkungen bei der Vornamenswahl geben soll.
Geschlechtliche Bevormundung
Warum müssen die gewählten Namen nach dem Gesetz überhaupt zum Geschlecht passen? Denn auch wenn es häufig von offiziellen Stellen behauptet und von der Allgemeinheit vermutet wird: Für die Namensgebung von Kindern ist nirgends festgeschrieben, dass der offizielle Vorname zum Geschlecht des Kindes passen muss. Meistens wird das einfach ohne Grundlage von Ämtern und unter Bewahrung des Kindeswohls durchgesetzt. Denn wenn einem (vermeintlichen) Jungen ein weiblich gelesener Name gegeben wird, könnte das Kind unter Umständen unter diesem Namen leiden – vor allem, wenn es cis ist. Kleiner Denkanstoß: Für trans Kinder wird dieses Leiden einfach hingenommen.
Zur Erinnerung: Die vier gesetzlich verankerten Geschlechter sind männlich, weiblich, divers und kein Geschlecht. Das Geschlecht eines Menschen – gerade das von nicht-binären Menschen – ist allerdings nicht so leicht auf ein Wort zu reduzieren. Geschlechter sind komplex und welcher Name zum eigenen Geschlecht passt, weiß man selbst am besten. Trans Männer schulden niemandem Männlichkeit, trans Frauen schulden niemandem Weiblichkeit und nicht-binäre Menschen schulden niemandem Androgynität – nicht dem Staat und nicht durch ihren Namen.
Eigentlich geht den Staat unser Geschlecht nichts an. Die Frage ist, wofür er es überhaupt braucht? Zum Beispiel diente die offizielle Angabe früher dazu, Homosexualität strafbar zu machen oder die Ehe exklusiv heterosexuellen Paaren zu gewähren. Der Staat nimmt sich also immer noch das Recht heraus, unser Geschlecht festzuhalten und darüber zu bestimmen, welche Namen dazu passen sollen. Das Patriarchat muss aufrechterhalten bleiben, und das passiert nicht ohne das Festhalten an einer klaren Geschlechterordnung.
Vielleicht gibt es sogar ein paar gute Gründe dafür. Zum Beispiel, um Femizide zu einem Strafbestand zu machen – was längst überfällig wäre. Oder generell, um Sexismus und Queerfeindlichkeit sichtbar zu machen. Aber trotzdem sollten die Behörden kein Bestimmungsrecht bezüglich unseres Geschlechts haben, sondern die eigenen Angaben des Menschen hinnehmen – ohne Wenn und Aber.
Zukunftsvisionen
Das BMFSFJ schreibt auf seiner Seite: „Die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Achtung der Privatsphäre und die Nichtdiskriminierung gehören zu den durch das Grundgesetz garantierten Rechten. Das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (Selbstbestimmungsgesetz, SBGG) möchte diese Rechte für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre (sic!) Menschen sicherstellen.“ In der Praxis ist das allerdings nur ein erster Schritt in die Richtung tatsächlicher Selbstbestimmung. Klar, das Geschlecht wird nicht mehr „überprüft“, aber es gibt immer noch eine klare Vorstellung davon, wie ein Mann, eine Frau oder eine nicht-binäre Person zu sein hat. Das wird über die Vornamens-Regelung umgesetzt und darüber hinaus mindestens impliziert.
Einige Queerfeminist*innen sehen den sogenannten „Gender Abolitionism“, die Abschaffung von Geschlecht, als Ziel für eine gerechte Welt. Der Gedanke dahinter ist, dass Geschlechter niemals vollständig von den Zwängen des Patriarchats befreit werden können. Geschlechter werden immer mit bestimmten (Körper-)Merkmalen, Eigenschaften und gesellschaftlichen Normen assoziiert – vor allem werden sie immer gewertet. Eine tatsächliche Geschlechtergerechtigkeit ist demnach nicht möglich. Das heißt, um das Patriarchat zu überwinden, muss auch das Konzept von Geschlecht überwunden werden. In der Theorie wirkt das zunächst unrealistisch und vielleicht unangenehm. Allerdings ist der Gedanke, dass wir voll und ganz als eigener Mensch gesehen und nicht auf unser Geschlecht reduziert werden, meiner Meinung nach ein sehr schöner.
Um dorthin zu kommen, müssen wir damit beginnen, Geschlecht von Vorstellungen, Rollen und Erwartungen zu trennen. Es wäre ein guter Anfang, das „amtliche“ Geschlecht abzuschaffen. Aber sind wir dafür schon bereit? Solange Geschlechter relevant sind, dürfen wir sie nicht ignorieren, um systematische Diskriminierung klar benennen zu können. Genauso dürfen wir das Patriarchat und seine Obsession mit normierten Geschlechtern nicht ignorieren, damit wir es bekämpfen können. Was wir jedoch jetzt schon tun können, ist, die Komplexität der Geschlechter anzuerkennen, um die Grenzen zwischen ihnen langsam aufzubrechen und schließlich abzuschaffen. Das gilt auch für cis Personen. Gerade wenn Männer und Frauen anfangen, aus ihren Rollen auszubrechen, wird die Basis der geschlechtlichen Ordnung aufgewühlt.
Gruselige Zeiten
Aber nun zurück zur Realität. Beim Selbstbestimmungsgesetz erkennen wir, dass transfeindlichen Leuten und ihrem Schüren von Angst Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Das zeigt sich beispielsweise in der Wartezeitregelung oder beim Absatz über das Hausrecht.
Die Situation für TIN-Personen in Deutschland ist aktuell sehr prekär und es ist wichtig, folgendes im Hinterkopf zu behalten: Das Selbstbestimmungsgesetz ist ein wichtiger Schritt, aber es ist nicht die große Rettung. Genauso wie die Legalisierung der Homo-Ehe die Homophobie nicht ausgelöscht hat, wird Transfeindlichkeit durch ein Gesetz nicht plötzlich verschwinden. Der Trend geht eher in die andere Richtung
Queerfeindliche Angriffe steigen seit Jahren wieder an, Rechtsextremismus verbreitet sich. Es ist absolut notwendig, all dem etwas entgegenzusetzen. Eine in Teilen progressive und queerfreundliche Regierung reicht dafür leider nicht aus. Aber so gruselig es auch wird, die Community hält zum Glück stand. Verschiedene CSD-Paraden in Deutschland haben 2024 erneut Teilnehmer*innen- und Besucher*innen-Rekorde gebrochen, in Bautzen, Winsen und Leipzig wurde rechtsextremen Gegendemonstrationen getrotzt. Wir brauchen mehr davon. Mehr Sichtbarkeit, mehr Forderungen, mehr Community, mehr Allies. Wir müssen weiter laut sein, uns beschweren, stören und selbst für unseren Platz in dieser Gesellschaft kämpfen. Wir müssen mit Geschlechternormen brechen und unsere Geschlechtervielfalt feiern und leben.