Drei Frauen halten einander fest und lachen.
Foto: Priscilla du Preez | Unsplash

Gut erholt ins neue Jahr? – Über Mental Load, Sorgearbeit und neue Verbindungen

Unsere Autorin trifft zu Beginn des neuen Jahres durch Zufall eine Bekannte, die am Ende des Gesprächs zu einer Freundin wird. Warum ist es wichtig, dass wir als Verbündete für eine gleichberechtigte Welt kämpfen?

Zufällig treffe ich eine Bekannte zu Beginn des neuen Jahres. „Hattest du schöne Feiertage?” Wir können beide kaum noch smalltalken. Sind so müde, dass wir das irgendwie überspringen, um nicht im Gehen einzuschlafen. Wir haben denselben Weg, laufen nebeneinander durch die vom Feuerwerk sichtlich mitgenommenen Fassaden – und unterhalten uns. „Jetzt bloß nicht jammern”, sage ich reflexartig zu mir selbst, während die letzten Wochen im Zeitraffer an mir vorbeiziehen: Elternbesuche, Silvesterbesuche, Kinderunterhaltung, Arbeit, in letzter Minute Geschenke besorgen, an alle denken, nichts vergessen, nie allein sein, nie sitzen und ständig hören, dass man lieber etwas verändern soll, statt sich zu beschweren.

Die Kinder wollen allerdings nicht, dass ich etwas ändere. Niemand aus der Familie will, dass ich etwas ändere. Also: Jedenfalls nicht, wenn das bedeutet, dass ich weniger Sorgearbeit mache. Weniger Erwerbsarbeit hingegen wäre schön. Dann hätte ich mehr Zeit für noch mehr Sorgearbeit. Weil es gut ist, so wie es ist. Weil es gut ist, dass alles erledigt wird. Weil es gut ist, dass alle immer da ankommen, wo sie ankommen sollen. Weil es gut ist, dass die Maschine rattert. Und auch die meisten Menschen, mit denen ich oberflächlich spreche, finden gut, wie ich das „alles unter einen Hut” bekomme. Die Frage „Wann schläfst du eigentlich?” macht mich im ersten Moment stolz, statt nachdenklich. Sie ist eine Pseudo-Bestätigung, ich belüge mich selbst.

„Die Care-Arbeit ist der Kitt unserer Gesellschaft. Aber sie wird stillschweigend vorausgesetzt. Den Löwenanteil leisten immer noch die Frauen. Unbezahlt.“

Teresa Bücker

Wir hetzen durch den Tag, durch die Kitas, die Schulen, die Supermärkte, die Pflegeheime, die Ämter, über die Tastaturen… Aber je höher die Geschwindigkeit, desto weniger sichtbar sind die feinen Konturen der Welt. Das Leben fließt weg, die Zeit ist ein Phantom. Es gibt sie nicht mehr. Die Autorin Teresa Bücker schreibt in ihrem Buch „Alle Zeit“: „Die Care-Arbeit ist der Kitt unserer Gesellschaft. Aber sie wird stillschweigend vorausgesetzt. Den Löwenanteil leisten immer noch die Frauen. Unbezahlt.“ –

Welche Türen könnten sich öffnen?

In unserem Gespräch blitzen an diesem Abend Fragen auf wie die lauten Silvesterknaller vor ein paar Tagen: Wie viel Zeit könnten wir sparen, wenn wir nicht ständig erklären müssten, welche Dimensionen das Patriarchat hat und was das mit uns allen macht? Wie viel Zeit bliebe uns, wenn wir nicht immer wieder darlegen müssten, wie viele Lebensbereiche davon betroffen sind? Wie viel Energie hätten wir übrig, wenn wir nicht all die emotionale Arbeit leisten müssten, die das Leben für andere lebenswert macht? Wie viel mehr könnten wir sein, wenn Gleichberechtigung endlich existierte? Wie viele wirklich konstruktive Gespräche wären möglich, wenn wir den männlichen Personen am Tisch nicht erst stundenlang mit sanfter Stimme erklären müssten, dass uns schon klar ist, dass sie „nicht wie die anderen Männer” sind – nur um am Ende zu müde zu sein, um über das eigentliche Thema zu reden?

Wie viel weniger Trauer gäbe es? Wie viel weniger Gewalt – körperliche, sexualisierte, psychische, digitale oder finanzielle? Was wäre möglich, wenn all die Texte, Bücher und Filme, die die Probleme so treffend benennen, endlich echte Konsequenzen nach sich zögen? Welche Türen könnten sich öffnen, wenn wir nicht mehr an dieser endlosen Front kämpfen müssten – die einen viel mehr, die anderen viel weniger, aber alle auf ihre Weise, ob sie es wollen oder nicht?

Auf die Straße rennen und schreien

Meine Bekannte und ich laufen jetzt an zahllosen zerbrochenen Fensterscheiben vorbei. Unter unseren Füßen knirrscht es. Sie sagt: „Ich glaube, das geht so alles nicht mehr weiter.” Wir wussten bisher kaum etwas über unsere Leben. Jetzt erfahre ich, dass sie kaum schläft. Dass sie versucht, sich in Deutschland irgendwie anzupassen, obwohl ihr so sehr nach Schreien zumute ist: auf die Straße rennen und schreien, zusammen mit all den anderen Frauen, Lesben, inter, nicht-binären, trans und agender Personen, die bei Social Media zig Probleme benennen und zig Videos drehen und noch immer nicht gesehen oder gehört werden. Darunter kommentieren vornehmlich Männer: „Ja, ihr seid ja auch dumm, wenn ihr keine Grenzen zieht.” Es sind dieselben Männer, die nach einem Ausflug mit den Kindern „erstmal ankommen” müssen, während die „jammernde Mutter” die Kinder beschäftigt, das Essen macht, aufräumt, den ganzen Scheiß eben. Es sind dieselben Männer, die vom Sofa aus fragen „Soll ich dir noch was helfen?”, statt aufzustehen und stumm einfach zu erledigen, was zu erledigen ist. Statt selbstverständlich da zu sein.

„Etwas muss sich ändern”, sagt also meine Bekannte, die an diesem Abend zu einer Freundin wird. Ja, es müsste sich etwas ändern, aber geht es gerade nicht zurück in die andere Richtung? Die Bundestagswahlen stehen an, und wir sehen uns tatsächlich konfrontiert mit einer Person, die aller Voraussicht nach der neue Kanzler wird. Friedrich Merz. Der findet, dass er als Mann ein anderes Selbstbewusstsein hat und somit auch einen anderen Respekt in Anspruch nehmen kann (Quelle: Bild am Sonntag). Man tue den Frauen keinen Gefallen, wenn man nur aus Paritätsgründen Besetzungen vornimmt, die sich hinterher als krasse Fehlbesetzungen erweisen (Quelle: FAZ, Tagesschau). Ihr wollt noch mehr?

Die Wut, die bleibt

Ein Spiegel-Artikel protokolliert ein Gespräch zwischen dem österreichischen Landespolitiker Michael Lindner und der Autorin Mareike Fallwickl. Im Rahmen ihrer ersten Begegnung sagte Mareike Fallwickl: „Das Problem ist, dass die Menschen, denen es am meisten bewusst ist, die es tatsächlich erleben, die Care-Arbeit leisten, dass genau diese Menschen an den politischen Tischen nicht anwesend sind und sein können.” Michael Lindner war nach der Lektüre des Romans von Mareike Fallwickl „Die Wut, die bleibt” von allen Ämtern zurückgetreten, um ganz für die Familie da zu sein. Und genau das ist es. Hier muss etwas verstanden werden. Es geht nämlich nicht darum, dass jemandem etwas weggenommen wird, sondern dass wir alle gewinnen. Die Bücher, Filme, Serien, Artikel, Instagram-Posts werden für die ganze Gesellschaft produziert. Nicht nur für Menschen, die ohnehin schon aktivistisch unterwegs sind. Sie werden auch für Männer produziert. Damit sich der Schalter gesamtgesellschaftlich umlegt.

Und so kann dieser Satz meiner Verbündeten an diesem Abend ermutigend sein: „Etwas muss sich ändern.” Er beinhaltet eine Entschlossenheit und die Erkenntnis, dass wir mit dem Prozess, dem aktuell weltweit riesige Felsen in den Weg gelegt werden, nicht alleine sind. Ich wünsche uns allen für dieses jetzt schon täglich herausfordernde Jahr 2025, dass wir aus den Begegnungen im Alltag etwas machen und am 23. Februar für die Demokratie und für die Menschen wählen. Und nicht gegen sie.

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