Foto: Minitta Kandlbauer

„Wenn mich jemand fragt, ob mein Buch Gewalt braucht, sage ich: Ja, denn das Patriarchat ist auch sehr gewalttätig“

In ihrem Debütroman „Männer töten” schreibt Eva Reisinger über Freundinnenschaft, Zusammenhalt und Gewalt. Wieso Gewalt nicht immer so aussieht, wie wir sie uns vorstellen, erzählt sie im Interview.

Eine junge Frau zieht von der Großstadt in ein Dorf in Oberösterreich, weil sie sich beim Feiern in einen Landwirt verliebt und ihren Job als ewige Praktikantin Leid ist. Sie erwartet ein überschaubares Leben zwischen Kirche und Kuhstall. Was sie tatsächlich findet, ist ein Matriarchat.

In ihrem Debütroman „Männer töten” schreibt Eva Reisinger über Freundinnenschaft, Zusammenhalt und Gewalt. Wieso Gewalt nicht immer so aussieht, wie wir sie uns vorstellen, erzählt sie im Interview.

Dein Roman trägt den Titel „Männer töten” – eine Aussage, die doppeldeutiger nicht sein könnte: Töten die Männer oder werden sie getötet?

„Die Doppeldeutigkeit ist bewusst, denn wir alle wissen: Männer töten. Mein Buch enthält aber die Triggerwarnung: ,In diesem Buch sterben Männer.’ Interessanterweise sind viele beim Lesen dann doch über die Gewalt überrascht.“

Gewalt an Frauen ist Normalität – Gewalt an Männern ein Skandal?

„Offenbar schon. Wir sind so sehr daran gewöhnt, dass in der Literatur und im Film Frauen ständig Gewalt erfahren, Männer dagegen selten. Zumindest nicht von Frauen.
Mir geht es nicht darum, die Antwort oder eine Lösung für das Patriarchat zu liefern. Vielmehr geht es darum zu zeigen, was Gewalt mit Menschen macht, wie sie sich verselbstständigen kann und dass Gewalt Macht ist. Und wenn mich jemand fragt, ob mein Buch Gewalt braucht, sage ich: Ja, denn das Patriarchat ist auch sehr gewalttätig.“

In deinem Roman begeben wir uns gemeinsam mit der Protagonistin in eine Art geheimes Matriarchat in Oberösterreich. Würdest du das Leben dort als Utopie beschreiben?

„Die Frauen in Engelhartskirchen sind laut, sie nehmen Raum ein, beziehen hohe Ämter. Es gibt beispielsweise eine weibliche Pfarrerin in einer katholischen Gemeinde, die den Zusammenhalt unter den Frauen stärkt – in der Realität undenkbar.

Ich mag Engelhartskirchen und die Frauen dort. Ich würde den Ort gerne besuchen, aber ich habe kein Buch über ein Matriarchat geschrieben, in dem ich gerne leben würde.

Es handelt sich um ein Matriarchat mit ganz klaren Rachegedanken. Meine Frage beim Schreiben war: Was passiert, wenn wir die Gedanken umsetzen, die vermutlich jede Person schon mal hatte, die Grenzüberschreitungen erlebt hat? Was passiert, wenn ich zurückschlage?“

Ich musste beim Lesen an den Twitter-Trend #menaretrash denken, bei dem sich viele Menschen (Männer) über den wertenden Ausdruck echauffiert haben. Ging es dir um die bewusste Provokation?

„,Men are trash’, absolut. Jeder Mann, der sich von der Aussage angegriffen fühlt, sollte sich fragen, warum das so ist und alle Männer, die hinter der Bewegung stehen, verstehen, warum es sie braucht und in welchem System wir leben. Wenn mir Menschen schreiben, dass sie sich von meinem Titel angegriffen fühlen, schicke ich ihnen die Statistiken zu täglichen Femiziden, denn Männer töten, das ist Fakt.“

Zumal es ja auch nicht darum geht, dass alle Männer für die Tonne sind…

„Im echten Leben wie auch in meinem Roman gibt es wunderschöne Männercharaktere. Der Freund der Protagonistin ist liebenswert in seiner unkonventionellen, leisen Landwirt-Art. Ihm gegenüber steht der linke Typ, der ständig auf Instagram über Feminismus postet, im Endeffekt aber seine eigene Freundin wie Dreck behandelt. Klischees wie ihn kennen wir alle aus unserem Umfeld. Mir war wichtig, beide Charaktere zu erzählen und vor allem zu zeigen, dass oft der Partner, Ehemann oder Exfreund zum Täter wird. Und wenn es die Provokation braucht, damit wir darüber sprechen, ist das okay. Hauptsache, wir sprechen darüber. Gewalt fängt nicht erst beim Morden an.“

Du beschreibst auch Situationen wie einen Arztbesuch oder eine Taxifahrt, in denen Frauen auf Männer in bestimmten Positionen angewiesen sind, aber gerade in diesen Situationen Grenzüberschreitungen erleben.

„Ich erlebe so oft beim Ausgehen oder in Gesprächen mit Bekannten, dass Männer von sich behaupten, selbst noch nie Grenzen überschritten zu haben. Dabei gibt es so viele Situationen, in denen Frauen nicht geglaubt wird, sie klein gemacht und unterbrochen werden oder ihnen gesagt wird, dass sie etwas nicht können. All das sind Grenzüberschreitungen. Und ich würde mir wünschen, dass mehr Männer das erkennen.“

Du schreibst an einer Stelle: „Heute leben wir im Patriarchat, wissen das aber immerhin” – was hat die Kaiserin Maria Theresia von Österreich damit zu tun?

„Mir war wichtig, dass der Ort, über den ich schreibe, eine Geschichte hat, denn ein Matriarchat ist genau wie ein Patriarchat nicht einfach da: Es wurde erschaffen. Maria Theresia ist die einzige Frau bis heute, die Österreich geführt hat – also habe ich sie als Begründerin dieses Matriarchats gewählt.
Es gibt viele Diskussionen darüber, ob sie eine Feministin war: Maria Theresia hat 16 Kinder zur Welt gebracht, gleichzeitig hat sie das Reich regiert und Kriege geführt. Sie war aber auch wahnsinnig konservativ, behauptete, dass Frauen keine Ahnung von Politik hätten, nur um selbst das Gegenteil zu beweisen.
Und auch wenn der Ort in meinem Roman erfunden ist, hat es die Kaiserin tatsächlich gegeben – genau wie ihre Tochter Maria Karolina. Also habe ich mich gefragt: Wie wäre es gewesen, wenn ihre Geschichte anders verlaufen wäre? Wenn sie ihre Tochter an einen Ort gebracht hätte, an dem ihr keine schlimmen Dinge widerfahren? Was würde jede Frau tun, um ihre Tochter zu beschützen? Was würde die Kaiserin tun?“

Obwohl wir beim Lesen gemeinsam mit der Protagonistin durch Engelhartskirchen laufen und den Frauen dort begegnen, erfahren wir erst einige Zeit später von ihr, was genau dort mit den Männern passiert ist. Müssen wir uns das Vertrauen erst erlesen?

„Wir beide wissen das: Frauen wird viel zu oft nicht geglaubt, wenn ihnen etwas angetan wird, weshalb viele erst gar nicht zur Polizei gehen oder sich anderen anvertrauen. Und auch Anna Maria wird von ihrer eigenen Freundin nicht geglaubt, als sie sich ihnen in einer Sache anvertraut. Indem sie die Frauen im Dorf schützt, wird sie in deren Kreis aufgenommen und wiederum von ihnen geschützt. Anders läuft es auch nicht im Patriarchat, wo du von ähnlichen Dingen profitierst, wenn du diejenigen schützt und unterstützt, die das Sagen haben.

Für die Frauen in der Geschichte ist zunächst jede Person, die von außen kommt, ein Risiko. Auch Anna Maria birgt das Risiko, dass die Nachricht über das geheime Matriarchat nach außen dringt, daher muss sie sich das Vertrauen Stück für Stück erarbeiten, indem sie die anderen Frauen unterstützt. Gleiches gilt für die Leser*innen. Sie müssen den Frauen glauben, erst dann dürfen auch sie mehr erfahren.“

Danke für das Gespräch und dein Vertrauen.

„Männer töten“ erscheint am 14. August 2023

„Männer töten” von Eva Reisinger – erscheint am 14. August 2023
Anna Maria lebt ein typisches Großstadtleben: Sie arbeitet in einer hippen Firma, geht am Wochenende mit ihren Freundinnen feiern und hat eine komplizierte Ex-Beziehung. Bis sie Hannes an der Bar eines Nachtclubs kennenlernt. Er ist aus Engelhartskirchen, einem oberösterreichischen Dorf, von dem sie bis dahin noch nie gehört hat. Und ganz sicher rechnet sie nicht damit, eines Morgens mit Hannes in diesem Nest aufzuwachen.
Als es doch passiert, lassen die Klischees zunächst grüßen: Kühe, Knödel, Kirchturmglocken. Dann aber bemerkt Anna Maria, dass nicht alles ins Bild passen will. Warum gibt es eine Pfarrerin, obwohl das Dorf katholisch ist? Wie kommt es, dass die Frauen hier viel lauter feiern als anderswo? Wo sind die Männer hin? Und was hat das alles mit Kathrin Glock zu tun?

„Männer töten” von Eva Reisinger
€ 24,50 (AT), €24,00 (D) | 288 Seiten | ISBN 978-3-7011-8297-8
Leykam Verlag

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