Postpartale Depressionen sind ein Tabu-Thema. Umso wichtiger und mutiger ist das Interview, das die Sängerin Adele kürzlich gab und ihre Situation nach der Geburt ihres Kindes schilderte.
Postpartale Depressionen: Ein Tabu, das keines sein sollte
Postpartale Depressionen sind immer noch ein Thema, über das zu wenig gesprochen wird. Und damit wird sie für jede betroffene Mutter zu einer Insel-Erfahrung: etwas, womit man meist alleine klarkommen muss. Etwas, worüber sich wenn überhaupt nur sehr schwer sprechen lässt – und wenn, dann mit wem? Schließlich hält sich der Mütter-Mythos auch nach der Debatte von #regrettingmotherhood noch immer: Frauen sind glücklich und fühlen sich endlich ganz und vollkommen, wenn sie ihr Baby in den Armen halten. Nun, das mag für manche stimmen – für andere aber nicht. Darüber müssen wir sprechen und den Frauen die emotionale Last nehmen, das etwas mit ihnen völlig falsch sei. Denn davon, dass wir krampfhaft versuchen das Thema totzuschweigen, geht es nicht weg – ganz im Gegenteil.
Die Erfahrung des sogenannten „Baby Blues’“, eine relativ kurze Phase nach der Geburt, in der die Mütter ängstlich, leicht reizbar oder traurig sind, tritt etwa bei etwa 25 Prozent der Frauen auf. Unter einer postpartalen Depression, die wesentlich länger andauert und ausgeprägtere Symptome mit sich bringt, leiden etwa sechs Prozent der Mütter auf – und das sind immerhin rund 50.000 Frauen pro Jahr in Deutschland. Wollen wir diese Frauen damit alleine lassen? Ja, es ist ein Krankheitsbild, das behandelbar ist und behandelt werden muss – aber neben der medizinischen Versorgung braucht es eben auch einen offeneren Umgang in der Gesellschaft mit dem Thema und das gemeinsame Wissen: Das ist kein „Rabenmutter-Syndrom“, diese Frauen haben nichts falsch gemacht oder sind falsch. Es ist schlicht und einfach eine Erkrankung.
Adele: „Meine postpartalen Depressionen haben mich total verängstigt“
Umso wichtiger (und wahnsinnig mutig) ist es, wenn dieses Thema von jemandem angestoßen wird, der viel Gehör bekommt – wie die Sängerin Adele. Sie hat in einem Interview mit der Vanity Fair nun sehr offen über ihre postpartalen Depressionen nach der Geburt ihres heute 4-jährigen Sohnes Angelo gesprochen und gibt damit einen seltenen Einblick in das Seelenleben einer betroffenen Frau.
Auf die Frage der Interviewerin, ob sie noch mehr Kinder haben wolle, antwortet die Sängerin, dass sie dafür wahrscheinlich zu ängstlich sei. Denn nach der Geburt habe sie mit postpartalen Depressionen zu kämpfen gehabt, die sie in Angst versetzten – auch wenn ihr das Krankheitsbild schon bekannt ist, da Adele schon seit ihrer Jugend mit Depressionen zu kämpfen hat, wie sie erzählt. Eine Krankheit, die sie viel zu häufig auch mit Alkohol zu lindern versuchte. Aber bei den postpartalen Depressionen, da geht es eben nicht mehr nur um sie, als Adele, sondern als Mutter, die nicht mit und für ihr Kind funktioniert.
„I had really bad postpartum depression after I had my son, and it frightened me. ”
Sie blieb mit ihren Gefühlen, neben den Gesprächen mit ihrem Freund, weitestgehend alleine. Denn sie entschied sich, keine Antidepressiva zu nehmen und auch, nicht darüber zu sprechen – ganz besonders nicht mit anderen Müttern. Die Vorstellung, das Thema mit anderen zu teilen, ließ sie einfach unwohl fühlen – ganz besonders bei jenen, die sich scheinbar mühelos in das Mutterdasein eingefunden haben.
„But also, I didn’t talk to anyone about it. I was very reluctant (…) Fuck that, I ain’t hanging around with a fuckin’ bunch of mothers.“
Irgendwann saß sie dann einer Freundin, die ebenfalls Mutter ist, gegenüber und sagte schlicht: „Ich hasse all das.“ Und die Freundin brach in Tränen aus und sagte, auch sie hasse es. Das war ein Punkt, an dem sich viel veränderte, weil sie nun versuchte sich selbst besser zu verstehen und herauszufinden, was ihr guttun würde. Alles was sie bislang über postpartale Depressionen wusste, war, dass man sein Kind nicht will, dass man Angst hat, es zu verletzen. Aber bei ihr war es umgekehrt, sie sei besessen von ihrem Kind gewesen – und genau das machte sie fertig, ließ sie falsch fühlen – und löste in ihr den Gedanken aus, dass die Entscheidung Mutter zu werden, die schlechteste ihres Lebens gewesen sei.
Doch irgendwann begann sie sich davon freizuschwimmen und sie beschloss, einfach auch mal einen Nachmittag die Woche ohne ihr Kind zu verbringen.
„I felt like I’d made the worst decision of my life . . . It can come in many different forms. Eventually I just said, I’m going to give myself an afternoon a week, just to do whatever the fuck I want without my baby.“
Klingt easy? Nun, das es für die Sängerin aber nicht – und Adele war damit in ihrem Freundeskreis nicht allein. Nur sprach niemand darüber, weil es ihnen peinlich war. Weil sie Angst hatten, als schlechte Mütter dazustehen. Weil sie wahrscheinlich genau davor Angst hatten, dass jemand Außenstehendes zu ihnen sagt: „Jetzt stell dich doch nicht so an!“ Und genau das, muss endlich aufhören – Mütter müssen selbst entscheiden dürfen, wie und was ihnen und ihrer Familie gut tut. Denn, so bringt es Adele schön auf den Punkt: „Es macht dich zu einer besseren Mutter, wenn du besser mit dir umgehst und deine Zeit so einteilst, wie es für dich richtig ist.
„They thought everyone would think they were a bad mom, and it’s not the case. It makes you a better mom if you give yourself a better time.“
Ein wichtiges und mutiges Interview, das einmal mehr Anstoß dafür sein sollte, dass wir das Tabu brechen. Denn betroffene Frauen haben schon genug mit sich selbst zu tun – was sie ganz sicher nicht auch noch brauchen, ist die Angst davor, von anderen für ihre Depressionen verurteilt zu werden.
Artikelbild: marcen27 | Flickr | CC by 2.0
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