Foto: rawpixel.com

Alltagsaktivismus: Jede*r Einzelne von uns kann die Welt verändern

Warum Aktivismus so wichtig ist und wie jeder auf seine Art und Weise aktiv sein kann.

Weg von der Seitenlinie

Das Wort „Aktivismus“ klingt für viele Menschen erst einmal abschreckend. Es wirkt bedeutungsschwer und schürt Erwartungen. Vielleicht schüchtert es auch ein. Es klingt nach politischem Radikalismus und einschneidenden Veränderungen. Aktivismus bedeutet aber, ganz banal, vor allem eins: aktiv zu werden. In welcher Form auch immer. Es geht darum, nicht nur passiv an der Seitenlinie zu stehen, während die Welt sich konstant verändert.

Dabei muss es nicht immer die große, dramatische Geste sein. Nicht jede*r fühlt sich wohl dabei, sich in einem Baumhaus zu verschanzen, wie zuletzt Aktivist*innen im Hambacher Forst. Nicht jede*r traut sich, den eigenen Körper an Gleise zu ketten, um Atommülltransporte in Deutschland zu verhindern.

Solche mutigen Aktivist*innen braucht die Gesellschaft, aber es sind nicht nur sie, die etwas verändern können. Für einen echten gesellschaftlichen Wandel muss sich die große Mehrheit von ihrer beobachtenden Rolle verabschieden und anfangen, sich aktiv einzubringen. Alltagsaktivismus zeichnet sich dadurch aus, dass er kontinuierlich ist. Er nimmt in unserem Alltag viele verschiedene Formen an: sich täglich darum bemühen, dem Klimawandel zu trotzen, zum Beispiel. Weniger Plastik benutzen, öfter auf das Auto verzichten, sich aufs Fahrrad schwingen oder die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, regionales Obst und Gemüse kaufen, kürzer duschen, bei 40 anstelle von 60 Grad waschen oder weniger Fleisch essen. Es gibt unzählige Möglichkeiten, wie wir für uns im Alltag aktiv werden können. Dabei geht es nicht darum, dass wir alle zu perfekten Klimaschützer*innen werden, auch wenn das natürlich wünschenswert wäre. Es geht darum, dass die Summe dieser kleinen, alltäglichen Aktionen gebündelt etwas erreichen können.

Aktivismus in all seinen Formen

Eine der unkompliziertesten Formen des Alltagsaktivismus ist die Spende. So kann man zum Beispiel über Crowdfunding-Plattformen wie „Steady“ einen Podcast finanziell unterstützen, der antirassistische Aufklärungsarbeit leistet oder über die Probleme von gesellschaftlich marginalisierten Personen berichtet.

Alltagsaktivismus kann bedeuten, mit der eigenen Stimme jene zu unterstützen, die in unserer Gesellschaft sonst kein oder wenig Gehör finden. Er kann aber auch bedeuten, heute noch einen „Refugees Welcome“-Pullover zu tragen, selbst wenn die Reaktionen nicht so positiv ausfallen wie noch vor drei Jahren und damit weiterhin ein Zeichen zu setzen, für eine vielfältige und faire Gesellschaft.

Auch vom Sofa aus kann heutzutage, dank Internet, jede*r etwas bewegen. Onlinepetitionen auf Plattformen wie „Change.org“ und „Campact“ unterschreiben zum Beispiel. Diese leben davon, dass sich im Internet Einzelne zusammentun, um gemeinsam auf Missstände aufmerksam zu machen. Wenn eine Petition innerhalb von vier Wochen 50.000 Unterschriften bekommt, wird sie im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags öffentlich verhandelt.

Oder: sich aktiv in Foren einbringen, die wichtige soziale Bewegungen verfolgen, lesen, lernen, sich selbst informieren. All das sind bereits kleine Formen von Aktivismus und sie sind absolut notwendig. Wenn wir langfristig etwas verändern wollen, müssen sich mehr Menschen in den öffentlichen Diskurs einbringen, offline sowie online. Die eigene Stimme einer Petition zu leihen oder sich online zu einem Thema zu äußern und es zu unterstützen, verleiht einem Anliegen mehr Sichtbarkeit und Reichweite. Je mehr Aufmerksamkeit, desto besser. So erreicht das Thema nämlich auch die, die über unsere Gesetze und damit über die Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft entscheiden. Denn, und das darf auch bei dem Aufruf nach mehr individueller Beteiligung nicht vergessen werden, genau diese Rahmenbedingungen müssen sich ändern, um einen bundesweiten, gesellschaftlichen Umschwung einzuleiten. Jede*r Einzelne zählt, aber es ist Aufgabe der Politik großflächige Veränderungen zu implementieren, damit es großen Unternehmen zum Beispiel nicht mehr möglich ist ihre Produkte in anderen Ländern unter menschenunwürdigen Bedingungen herstellen zu lassen oder kontinuierlich skrupellos unsere Weltmeere vollzumüllen.

Medien haben eine unglaubliche Macht

Lange Zeit wurden die sozialen Medien als politisch irrelevant verpönt. Die Berichterstattung um den Arabischen Frühling 2011 auf Twitter und Facebook und der Einfluss von Hashtags wie #Metoo zum Beispiel haben uns eines Besseren belehrt. Die neuen Medien haben eine unglaubliche Macht, die jede*r sich zunutze machen kann. So kann Alltagsaktivismus zum Beispiel auch heißen, E-Mails und Briefe an Abgeordnete zu schreiben, sie mit dem eigenen Anliegen am Telefon zu nerven oder Jens Spahn auf Instagram und Twitter regelmäßig daran zu erinnern, dass seine Fünf-Millionen-Studie zu den Folgen von Abtreibungen Schwachsinn ist.

Aktivismus – das kann aber auch bedeuten, zu entscheiden, dass man bei bestimmten Marken nicht mehr einkauft. In unserer marktorientierten Gesellschaft ist das eine der stärksten Waffen, die wir als Konsument*innen haben. So können wir zum Beispiel überlegen, auf Fair-Fashion umzusteigen und nicht mehr bei Billigketten wie H&M oder Primark einzukaufen, oder aktiv bestimmte Marken zu boykottieren und uns über nachhaltigere, faire Alternativen zu informieren.

Sich im Alltag stark zu machen für andere Menschen, etwas bewegen zu wollen und sich mit voller Überzeugung hinter eine Idee zu stellen, auch das ist Aktivismus. Das kann auch heißen, sich beim Abendessen mit der Familie gegen Hass, Faschismus, Sexismus und Rassismus auszusprechen und klarzumachen, dass solche Kommentare nicht mehr toleriert werden. Sei es, dass man dem Onkel erklärt, warum seine Witze über Homosexuelle menschenverachtend sind, oder der Mutter ins Wort fällt, weil sie ganz beiläufig das N-Wort benutzt.

Konfrontation suchen und in die Rolle des Gegenüber annehmen

Alltagsaktivismus heißt auch: die Konfrontation suchen und sich und andere immer wieder in teils unangenehme Gespräche verwickeln. Nur so werden wichtige Diskussionen auch im privaten Raum angestoßen. Die Rolle der*des Antagonist*in anzunehmen, wenn der Konsens im Freund*innenkreis oder der Familie ein anderer ist, kann schwierig sein. Es kann sich aber nichts verändern, solange es nicht auch unangenehm wird. Im Alltag treffen wir alle immer wieder auf Situationen, in denen Menschen vor uns niedergemacht oder ausgegrenzt werden. Es braucht dann die mutigen Beobachter*innen, Nicht-Betroffene, die öffentlich Solidarität bekunden, um klarzumachen, dass manches Verhalten nicht nur von den Betroffenen nicht weiter toleriert wird, sondern dass es gesamtgesellschaftlich ausgedient hat. Ein Zeichen setzen, wie es so schön heißt, kann jede*r jeden Tag aufs Neue.

Im Endeffekt hilft Alltagsaktivismus dabei, die Politik der Gegenwart anzupassen. Er nährt die Grundfesten unserer Demokratie, indem er sicherstellt, dass nicht nur die Stimmen von etablierten, festgefahrenen politischen Eliten gehört werden, sondern gibt auch Bewegungen direkt aus der Gesellschaft eine Stimme.

Mehr bei EDITION F:

Martin Neuhof: „Mir machen in meinem Umfeld alle Mut, die auch politisch aktiv sind“. Weiterlesen

Solange Knowles: „Jede Form von Aktivismus ist gültig und notwendig“. Weiterlesen

Franziska von Kempis: „Noch viel mehr Menschen sollten einfach mal machen“. Weiterlesen

Anzeige