Langeweile im Büro ist kein schmuckes Leiden, kein Luxusproblem. Permanente Unterforderung führt in eine Abwärtsspirale: Boreout. Ein erzwungener innerer Abschied von jeder Produktivität.
Ich bin jung, flink, lösungsorientiert, manchmal ungeduldig, auf keinen Fall perfektionistisch, trotzdem gewissenhaft, getrieben von Tatendrang und habe viel Energie. Ereignisvolle Wochen mit abwechslungsreichen Arbeitstagen und anschließender Abendaktivität sind mir die liebsten. Ich mache mir wenig Sorgen um den nächsten Tag, wenn ich um Mitternacht noch mit meinen Freunden bei einem bis fünf Gläsern Wein auf der Terrasse sitze, auch wenn nach wenigen Stunden der Wecker wieder klingeln wird. Und das auch, wenn ich morgens noch vor der Arbeit zum Yoga will, weil ich abends wieder verabredet sein werde. Was ich damit sagen will? Ich bin kein Drückeberger, kein dauerhaft müder Mensch, nicht faul und auch nicht lethargisch. Natürlich bin ich nicht an jedem Arbeitstag bis nach Mitternacht unterwegs, aber ich mag und schaffe es, meine Tage mit viel Aktivität zu füllen.
Kann ich dabei zusehen wie mir wertvolle Lebenszeit durch Nichtstun durch die Finger rinnt? Ich acht Stunden darauf warte, dass ich das Büro verlassen kann? Wann ist „genug“ genug?
Wer hoch fliegt, fällt tief
Nach Studium und erstem mittelmäßigen Job bin ich vor zwei Jahren in meiner jetzigen Anstellung angekommen, klassisches Projektmanagement im Veranstaltungsbereich mit Fokus auf internationale Märkte. Was sich so beschrieben ganz ordentlich anhört, war es auch lange Zeit für mich. Ein spannender Job, kreativ trotz Bildschirmarbeit, abwechslungsreich durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Menschen unterschiedlicher Kulturen in diversen Sprachen. Und nach kurzer Zeit bot sich mir die Chance, einen Schritt nach oben zu kommen, von der Assistenz zur Managerin und trotz kalten Wassers in dem ich anfangs unterzugehen drohte, habe ich mich in kurzer Zeit zurechtgefunden. Aus dem Ärmel geschüttelt habe ich meine Arbeit, immer viel zu tun, nicht viel Zeit zum Durchatmen, doch immer im richtigen Fahrwasser. Das Projekt war ein Erfolg. Ich habe bewiesen, dass ich Projekte führen kann.
Umstrukturierung, neue Unternehmensstrategien, andere Anforderungsprofile
Seit etwa neun Monaten ist mein Projekt abgeschlossen. Ganz prima den Tag in moderatem Tempo zu starten, Ordnung zu schaffen, in der Kaffeeküche tratschen, anfallende Aufgaben mit Perfektion zu erledigen, andere Teams unterstützen, sich endlich eigenen Anliegen widmen, morgens online kurz die Neuigkeiten checken. Ganz prima – vielleicht zwei Monate lang. In meinem Fall ging es so einher, dass irgendwann alle To-Dos erledigt waren, nur wenige neue Aufgaben kamen nach. Die Stelle, auf der ich saß, hatte sich im Anforderungsprofil komplett verändert. Meine Position war zu diesem Zeitpunkt (und ist es auch noch heute) obsolet. Seit sieben Monaten braucht mich mein Unternehmen nicht. In meiner täglichen Anwesenheitszeit von acht Stunden fülle ich maximal zwei Stunden mit wirklichem Arbeiten.
Auf permanenter Lösungssuche
Ich ließ nichts unversucht und suchte mehrmals das Gespräch. Zuerst vorsichtig, denn es war mir fast unangenehm, nicht wie meine Kollegen ständig am Limit zu arbeiten. Ich habe mich gefragt, ob ich ganz fundamentale Aufgaben übersehe. Ich ergriff die Initiative, schlug weitere Projekte vor. Nach so vielen Monaten, so vielen Gesprächen, so vielen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, so viel Langeweile, so viel Eigeninitiative gab ich irgendwann auf. Ich war das Rädchen in dem großen Unternehmen, welches untergeht und nicht auffällt, wenn andere fünfhundert Räder normal laufen. Tag für Tag war ich auf der Suche nach Sinnhaftigkeit und Wertschätzung. Von Tag zu Tag wurde es schwieriger, mich selbst zu motivieren und irgendwann war keine Motivation mehr da.
Hinterher weiß man immer mehr
In welcher wahnwitzigen Lage ich mich tatsächlich befinde, weiß ich seit drei Monaten. Ich habe es lange geahnt, dass man mich eigentlich nicht braucht. Aber natürlich wollte ich es mir nicht eingestehen. In einer Welt, wo alles stetig effektiver und schneller wird und man den Eindruck gewinnt, dass derjenige, der am lautesten jammert, weil er wohl am meisten arbeitet, dann auch noch am weitesten kommt, ja, da will man als motivierter Arbeitnehmer nicht stundenlang im Büro Geburtstagskarten basteln. Da will man etwas erreichen, mit Leidenschaft, sich verwirklichen, Erfolge feiern, irgendwas nach vorne bringen. Abends wissen, was man am Tag geschafft hat. Da empfindet man es nicht als klasse – und das ist offensichtlich die erste Vermutung all jener, die noch nie in dieser Lage waren – den ganzen Tag unfreiwillig irgendwo abzuhängen, wo man nicht abhängen will. Und das geht eben nicht nur den hyperengagierten Menschen so, die sich langfristig mindestens sechzig Stunden pro Woche in irgendeiner Chefetage sitzen sehen. Das kann alle treffen. Und es betrifft mich.
Die Stunde null, oder: tiefe Müdigkeit
Natürlich merkte ich seit vielen Wochen und Monaten, wie es mit mir bergab ging – retrospektiv. Der Moment in dem der Vorhang fiel, meiner Erkenntnis, dass ich absolut sinnlose Arbeit erledige, die ich mir selbst vorher zuteile, sodass die acht Stunden des Arbeitstages nur wenigstens einigermaßen ertragbar vorbeiziehen. Dass ich in Rechtfertigungsdrang gerate, wenn mich jemand fragt, wie meine Projekte laufen, dass ich „Du hast bestimmt auch viel zu tun“ am liebsten mit „Nö, ich hänge nur rum“ beantworten würde.
Und mir wurde endlich klar, dass ich für diese ungeheure Antriebslosigkeit nichts konnte, es nicht an mir liegt, dass ich nach Feierabend zwei Stunden Freizeitprogramm brauche um mich auf ein angemessenes Stresslevel zu bringen. Dass diese so tiefe Müdigkeit, die nicht mehr mit Schlaf zu bewältigen war und die Selbstzweifel und Schlafstörungen nicht mir als Person geschuldet sind. Sondern einzig der geistigen Unterforderung, der Langeweile, der fehlenden Wertschätzung, meinem Job.
Schlimm ist, dass ich glaubte, ich werde dumm
Bei all den körperlichen Symptomen, liegt die Quelle doch im Geist – ich glaubte, ich verdumme. Für Routinearbeit brauchte ich wesentlich länger, machte viele Fehler, erreichte nie das Maß an Konzentration um mich in ein produktiveres Fahrwasser zu lotsen. Je weniger Aufgaben ich hatte, desto antriebsloser wurde ich. Ich habe seit Monaten keine Erfolge mehr gefeiert, nicht mal ein kleines Projekt abgeschlossen. Objektiv weiß ich, was ich kann, aber ich fühle es nicht mehr. Manchmal bin ich wütend, dass man mein Potenzial so verschenkt, sich niemand die Zeit nimmt und sich kümmert, wenn eins der Rädchen stockt. Ich habe große Zweifel an dieser Unternehmenskultur, den Führungskräften, die hier versagen. Stärken fördern und passend einsetzen, das scheint mir nicht allzu schwer, doch stehe ich Hufen scharrend seit Monaten vor einer Wand. Ich will, aber man lässt mich nicht. Der innere Abschied ist schwer zu verdrängen.
Schreibtisch voller Unterlagen, Headset für Musik
Nun könnte ich meine acht Stunden durchaus sinnvoller gestalten, aber ich habe mich schon eingerichtet in meiner nutzlosen Anwesenheit. Alles – selbstverständlich – nur solange es unter dem Deckmantel „Schwer am arbeiten“ laufen kann. Dann kommen unwissende Kollegen mit zu vielen Aufgaben nicht auf die Idee dich „Drückeberger“ zu nennen, denn Vorsicht, die Situation ist für alle delikat.
Der Tag gehört mir! Sprachen lernen: online okay, Karteikarten und Bücher auf dem Tisch ja, jedoch nicht in den Stoßzeiten. Buch lesen: hat man es als E-Book, wunderbar, ansonsten in einem riesigen Chaos auf dem Tisch verstecken, nicht ganz so einfach in der Handhabung. Am Handy rumhängen: wenn wenig los ist geht das natürlich klar, bisschen Handy geht auch immer. Festplatten sortieren, alten Freunden lange Nachrichten schicken, Spotify-Playlists erstellen oder Artikel schreiben klappt sehr gut. Mein Favorit: Zeitung lesen. Damit mir nicht auch noch die Allgemeinbildung abhanden kommt.
Ich muss raus
Ihr glaubt, das ist ein Witz? Das ist es nicht. Klingt ja irgendwie ganz nett? Das ist wiederum wie alles auf der Welt eine Frage der Perspektive. Man bekommt durchaus manches geschafft, was man in der Freizeit wochenlang vor sich herschiebt. Für zwei Monate maximal finde ich wenig Arbeit (bitte niemals gar keine) ganz nett. Dann hat man allen alten Freunden längst vergessener Kontaktlisten geschrieben, den Stromanbieter gewechselt und spricht Türkisch auf A2-Niveau. Für mich kann es so nicht weitergehen. Ich werde den Job wechseln. Meine Schmerzgrenze ist seit sieben langweiligen inklusive drei wirklich gemütsbelastenden Monaten vorbei. Keine Erinnerung an die guten alten Zeiten kann so nachhaltig sein, die mühsame Gegenwart damit zu bezwingen.
P.S. Neben unzähligen kleinen Geburtstagsgeschenken ist dieser Artikel das Produktivste, was ich seit Monaten erarbeitet habe.
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