Foto: Evi Radauscher | Unsplash

Sommer, Sonne, Beine rasieren? Nicht dieses Jahr!

Mit dem Sommer kommt für viele auch das lästige Rasieren. Wäre es nicht schön, sich über natürlichen Haarwuchs einfach keine Gedanken mehr zu machen? Genau damit beschäftigt sich Anuschka Rees in ihrem neuen Buch „Beyond Beautiful“ und beschreibt wie sie sich von Schönheitsidealen getrennt hat, die ihr einfach nicht gut getan haben.

Der Sommer ist da und mit ihm die kurzen Hosen und luftigen Sommerkleider – und auch das lästige Rasieren von Beinen, Achseln und wo sonst überall noch „unerwünschte“ Haare wachsen. Aber wer sagt eigentlich, dass Beine und Co. von Frauen unbehaart und glatt wie ein Babypopo sein müssen? Ach ja, es sind natürlich die gesellschaftlichen Erwartungen an den Körper einer Frau.

Damit und wie man das auflösen kann beschäftigt sich Anuschka Rees in ihrem neuen Buch „Beyond Beautiful. Wie wir trotz Schönheitswahn zufrieden und selbstbewusst leben können“. Sie spürt dem nach, warum viele Frauen immer noch so kritisch mit ihrem Körper umgehen und woher die Ansprüche kommen. Und wie herrlich wäre es eigentlich, wenn niemand, egal zu welcher Jahreszeit, einen Gedanken an seine Figur – oder ans Rasieren – verschwenden müsste? 

Wir haben ein Buchauszug dem Buch von Anuschka Rees in dem sie darüber schreibt, woher die haarlosen Ansprüche an Frauen kommen und wieso wir sie nicht brauchen:

Wer sagt eigentlich, dass Frauen unbehaart sein müssen?

Die Geschichte weiblicher Haarentfernung ist das perfekte Beispiel für die extreme Willkür, der so viele unserer Schönheitsstandards unterliegen. Natürlich ist Haarentfernung nichts Neues und wurde schon seit Jahrhunderten in vielen Kulturen aus den verschiedensten Gründen praktiziert. Aber: Die Tatsache, dass die meisten Frauen heutzutage denken, sie müssten immer und überall glatt wie ein Babypopo sein, und sich schon wegen winziger Stoppeln ungepflegt fühlen, ist sehr neu.

Danke, Harper’s Bazaar!

Bis ins frühe 20. Jahrhundert hat sich in den USA und Europa kaum ein Mensch über seine Körperbehaarung Gedanken gemacht. Es gab zwar schon Enthaarungscremes zu kaufen, die waren aber hauptsächlich für einzelne Haare im Gesicht und auf Hals und Brust gedacht.

Als das amerikanische Magazin Harper’s Bazaar 1915 ein Bild von einem Model im ärmellosen Sommerkleid und mit gehobenen Armen mit dem Slogan veröffentlichte: „Unerwünschte Haare müssen weg – fürs Sommerkleid und fürs Tanzen“, änderte sich alles. Laut einem Artikel in The Journal of American Culture war dies der Startschuss für eine intensive, vierjährige Werbekampagne, organisiert von einer Gruppe von Firmen für Haarentfernungsprodukte, die allesamt ihre Zielgruppe von älteren Damen mit Härchen am Kinn auf alle Damen erweitern wollten.

Am Anfang wurden unbehaarte Achseln vor allem als besonders passend zur neuen Mode beworben. Slogans wie „Die modebewusste Frau von heute sagt: Achseln müssen genauso weich sein wie das Gesicht“ waren überall präsent. Die Kampagnen konzentrierten sich noch nicht auf den Hygiene-Aspekt, immerhin hatten sich Frauen ja bis dahin auch mit behaarten Achseln sauber und gepflegt gefühlt.

Das änderte sich in den 1920ern, als immer mehr Menschen in engen Räumen wie Fabriken oder Büros arbeiteten und Körperpflege zur zentralen Frage wurde, damit man seine Kolleg*innen „nicht belästigt“. Die Werbung suggerierte nun, dass unbehaarte Achseln sich „sauberer“ anfühlen. Und nur kurze Zeit später zählte Achselbehaarung, genau wie schlechter Atem, Schweiß und Körpergeruch, zu den Dingen, die als „schmutzig“ galten und von einer „guten“ Frau unbedingt vermieden werden mussten.

Wie unsere Beine ihre Lizenz zum Haarigsein verloren

Auch wenn die Röcke langsam kürzer wurden, war den meisten Frauen noch eine ganze Zeit lang egal, dass sie unter ihren Strumpfhosen Haare auf den Beinen hatten, und sie rasierten sich allerhöchstens für bestimmte Outfits oder Ereignisse. Mit dem Zweiten Weltkrieg wurden Pin-up-Girls dann populär, und Beine wurden zum neuen Objekt männlicher Bewunderung. Außerdem wurden während des Krieges auch Seiden- und Nylonstrumpfhosen knapp.

Die Kosmetikindustrie nutzte diese Gelegenheit, um weitere Kampagnen zu schalten, und schaffte es dann tatsächlich, das ganze Land davon zu überzeugen, dass unbehaarte Beine eine absolute Voraussetzung dafür seien, um sich ohne Strümpfe oder in kurzen Röcken zu zeigen. Behaarte Beine galten ab sofort als altbacken und unmodern. Schon 1939 konnte man in Harper’s Bazaar lesen: „Söckchen auf dem Campus zu tragen ist ja schön und gut, aber bitte nicht mit pelzigen Beinen. Wenn Sie schon Söckchen tragen müssen, schulden Sie es Ihren Kollegen, sich regelmäßig und gründlich zu enthaaren. Und nicht nur alle paar Wochen.“ Nach Europa schwappte der Trend zur Haarentfernung dann vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg über.

Es lebe der „Busch“

Mit der Pin-up-Kultur wurde auch der Bikini immer beliebter, und damit nicht nur Haarentfernung auf den Beinen, sondern auch in der Bikinizone. Der restliche Intimbereich durfte haarig bleiben – vorerst jedenfalls.

In Pornofilmen vor den 1980er-Jahren sah man die Schauspielerinnen immer nur mit natürlicher, voller Schambehaarung. Auch wenn man heute vor allem die 1970er Jahre damit verbindet, war der „Busch“ natürlich auch schon in sämtlichen Jahrzehnten vorher Normalität.

In den 1980ern expandierte die Pornoindustrie dann, Budgets wurden größer, Kameras besser, und das Motto war: Je weniger Behaarung, desto mehr kann man sehen.

Die meisten Quellen bestätigen allerdings, dass Frauen ihre Schambehaarung zwar zu Streifen oder Dreiecken trimmten, aber noch nicht komplett entfernten. Erst zu Beginn des neuen Jahrtausends wurde mit dem soge ­nannten Brazilian Waxing die komplette Haarentfernung zum Trend. Eine Folge von Sex and the City, in der Carrie sich professionell die Schamhaare ausreißen lässt, etablierte den „Hollywood Style“ schließlich als erste Wahl für die moderne Frau des 21. Jahrhunderts.

Seitdem ist die vollständige Enthaarung des Intimbereichs vom modernen Trend zum Muss geworden. Laut Statistik entfernen 67 Prozent der deutschen Frauen ihre Schambehaarung komplett. Peggy Orenstein, die Dutzende junger Frauen für ihr Buch Girls & Sex interviewt hat, glaubt, dass die meisten Frauen zwar behaupten, sich aus hygienischen Gründen zu enthaaren, aber in Wahrheit Scham dahintersteckt. Ohne es zu hinterfragen, haben wir akzeptiert, dass Haare „da unten“ einfach peinlich sind.

Anuschka Rees: Beyond Beautiful: Wie wir trotz Schönheitswahn zufrieden und selbstbewusst leben können. Dumont Verlag, 25,00€.

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