2014 kam der große Knall – plötzlich war Susanne ihren Job los. Heute sagt sie: Was für ein Glück, dass mir das passiert ist.
Jeden Tag: Hetze und schlechtes Gewissen
Vor zwei Jahren um diese Zeit war vermeintlich noch alles ok. Ich hetzte wie jeden Tag vom Büro zur Kita, im Gepäck ein schlechtes Gewissen, die nötigsten Einkäufe und große Kopfschmerzen. Ich rieb mich auf zwischen einer „Teilzeit“-Stelle in einer Agentur und meinem Kind. Bis zu jenem Tag kurz vor Ostern war das so, dann verlor ich meine Arbeit – total überraschend. Außer mir traf es noch eine Kollegin. Schlechte Zeiten, hieß es lapidar. Ja, so konnte man das nennen.
Ich war geschockt und wurde krank. Mein Körper streikte. Irgendwann kam meine Energie aber zurück. Ich hatte viel Erfahrung und gute Kontakte. Da geht doch was? Wenn du über 40 bist und alleinerziehende Mutter, ist das allerdings nicht so einfach. Ein Personaler sagte mir offen, dass er mich deswegen sofort aussortiert hat. Das ist jetzt zwei Jahre her.
Ich war lange ohne Job. In den ersten vier Wochen fühlte ich mich wie ein aus dem Rad gefallener Hamster. Die Chancen, eine Teilzeitstelle in meiner Branche zu finden, gingen gegen Null. Freiberuflich zu arbeiten, war erstmal keine Option. Das hatte ich schon einmal versucht, und war dabei ziemlich auf die Nase gefallen. Ich verlagerte die Suche auf Portale wie Tandemploy. Eine Supersache – für meinen Bereich gab es aber nichts. Also bewarb ich mich auf Vollzeitstellen. Alles ist besser, als arbeitslos zu sein.
Ich erhielt nur freundliche Absagen. Nach drei Monaten kam der erste Frust: Im Arbeitsamt saß ich öfter zwischen Menschen, die ohne Unterlass ins Telefon brüllten und anscheinend keine Lust auf Friseur hatten. Mir passiert das nicht, schwor ich mir trotzig.
Unvermittelte Chancen
Kurze Zeit später war ich allerdings auch dran: Für Haartönungen hatte ich kein Geld mehr. Ich saß missmutig im Arbeitsamt und motzte in mein Telefon. Es traf eine arme Frau, die mich freundlich an einen Arzt-Termin erinnern wollte. Ich war im freien Karrierefall und anscheinend kurz vorm Durchdrehen. In diesem Moment fiel mein Blick auf ein dickes VHS-Programm, das im Wartebereich auslag. Ich suchte nach Yoga-Kursen: Selbstfindung und zur Ruhe kommen – wenigstens das muss drin sein für Frauen über 40?
Gerade als ich die Kursnummer notieren wollte, wurde ich aufgerufen. Dieses Mal ging es um individuelle Fördermöglichkeiten: Ich hatte die Wahl zwischen einem Bewerbertraining „MS Office“ und einer „Call Center Info-Veranstaltung. Für Frauen in meinem Alter sehe es ganz düster aus, meinte meine Beraterin tröstend. Ich fragte verzweifelt nach anderen Optionen. „Ganz schlecht gerade bei uns“ – meine Beraterin guckte auf die Uhr, und tätschelte liebevoll einen Stapel Akten. Ich ging und nahm wenigstens das Heft von der VHS mit.
God save the Volkshochschule
Nach dem Termin im Amt ballte ich die Faust in meinem Max-Mara-Mantel, den ich nur noch für Termine im Amt aus dem Schrank holte – ansonsten verlotterte ich zusehends. Laut Statistik war ich karrieretechnisch tot, dafür war mir allerdings ziemlich kalt. So konnte es nicht weitergehen. Das war doch nicht die erste Krise in meinem Leben. In den nächsten Tagen machte ich eine Bestandsaufnahme meiner Talente und Möglichkeiten.
Ich interessierte mich schon länger für das Bloggen, Schreiben war mein Hobby, und Social Media Marketing fand ich sehr spannend. Kommunikation war und ist mein Ding. Vielleicht konnte ich ja daraus was machen? Aber wie sollte ich das schaffen? Ich mobilisierte das, was mich früher durch Projektkrisen gebracht hatte: Quer denken und kreative Lösungen suchen. Und die trug ich quasi längst mit mir rum. Im VHS-Programm fand ich, was ich brauchte: Ich belegte einen Kurs namens „Bloggen mit WordPress“ – sechs Module à drei Stunden. Für den Kurs zahlte ich aberwitzige 40 Euro. Zugegeben, die Ausstattung der VHS war bescheiden, aber immerhin funktionierte das W-LAN und man konnte seinen eigenen PC mitbringen. Ich entstaubte mein uraltes MacBook, ignorierte meinen Haaransatz und ging wieder unter Menschen. Das war mir zunehmend schwergefallen, weil ich mich schämte für meine Situation.
Anders, aber besser
Inzwischen ist viel passiert: Nächste Woche gehe ich zum ersten Mal wieder „richtig“ zum Friseur. Es gibt das volle Programm: Tönen, Schneiden, Föhnen. Ich arbeite nämlich wieder und das sogar im Bereich Social Media Marketing. Es ist bisher nur ein Mini Job, den ich mit einer 20-Stunden-Stelle in meiner alten Branche kombiniere. Ich komme mit beiden Jobs gerade so über die Runden. Es könnte mehr sein, aber es ist eine Perspektive. Nebenbei schreibe ich einen Blog. Über mich, meine Erfahrungen und meinen Alltag.
Das Bloggen ist ein schöner Ausgleich für mich und eine praktische Übung: Ich schule mich jeden Tag selbst ein bisschen um. Mit Yoga habe ich auch angefangen. Überhaupt kümmere ich mich mehr um mich, soweit das eben geht als Alleinerziehende. Im Nachhinein war dieser Karrierebruch das Beste, was mir passieren konnte. Zwischendurch packt mich die Panik und ich denke: Oh Gott, was wird im September, wenn meine 20 Stunden-Stelle ausläuft? In diesen Momenten rolle ich die Yoga-Matte aus und atme tief in meinen Haaransatz. Wird schon irgendwie.
Das, was kommt
Wie mir geht es vielen. Wer über 40 ist und mit Kind in die Arbeitslosigkeit gerät, der hat es schwer. Doch Krisen und Karrierebrüche betreffen nicht nur Frauen, die sich überhaupt oder spät für Kinder entscheiden. Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Unsere Arbeit wird mobiler und flexibler. Das ist ist nicht unbedingt schlecht. Es bedeutet aber auch, dass Arbeitsverhältnisse nicht dauerhaft fortbestehen.
In Zukunft wird es immer weniger Festanstellungen geben. Das sagt zum Bespiele der Wirtschafts- und Politikwissenschaftler Awad Al Ani. Darauf müssen wir uns einstellen. Unser soziales Sicherungssystem ist auf diese Brüche übrigens noch weniger vorbereitet als wir selbst. Verzweifeln muss man trotzdem nicht: Wer sich mit den unangenehmen Erfahrungen, die eine berufliche Krise mit sich bringt, auseinandersetzt und nach kreativen Lösungen sucht, der hat die große Chance, etwas nachhaltig zu verändern. Ich erlebe das gerade in kleinen, aber wichtigen Schritten. Das macht mir Mut.
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